Um das Finanzloch in der Kranken- und Pflegeversicherung zu stopfen, sieht ein Vorschlag vor, die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung (West) anzuheben. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) schlägt nun Alarm: Dies würde Unternehmen und Beschäftigte mit 14,3 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Vor allem Branchen, die unter Fachkräftemangel leiden, wären von den Mehrkosten überproportional betroffen.
Wie kann das Milliardenloch in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gestopft werden? Das Bundesgesundheitsministerium bereitet derzeit eine umfassende Gesundheitsreform vor, die auch auf diese Frage eine Antwort geben soll. Ein Vorschlag, der vor allem von SPD und Grünen unterstützt wird, ist die Anhebung der so genannten Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung. Sie würde von derzeit 59.850 Euro auf dann 87.600 Euro steigen.
Die Beitragsbemessungsgrenze gibt an, bis zu welcher Einkommenshöhe Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu zahlen sind. Für Einkommen oberhalb dieser Grenze werden keine Beiträge fällig. Würde die Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung entsprechend angehoben, würden also zunächst Gutverdiener stärker zur Kasse gebeten. Doch nicht nur sie, denn die Krankenkassen-Beiträge werden paritätisch gezahlt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen sich die Kosten.
Bayerische Wirtschaft warnt: Lohnzusatzkosten würden deutlich steigen
Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat deshalb jetzt ein Positionspapier vorgelegt. Darin wird vor einem deutlichen Anstieg der Lohnnebenkosten zu Lasten der Arbeitgeber gewarnt. Konkret rechnet der Verband vor, dass für die Arbeitgeber die Lohnzusatzkosten durch die Kranken- und Pflegeversicherung für alle Einkommen von 59.850 Euro bis 87.600 Euro um bis zu 46,4 Prozent steigen. Das entspreche einem Plus von 2.671 Euro pro Jahr und Arbeitnehmer. Für die Arbeitgeber würde das Mehrbelastungen von 7,1 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten, berichtet der Verband weiter.
Besonders betroffen vom Anstieg der Lohnzusatzkosten seien Wirtschaftszweige, die qualifizierte Fachkräfte beschäftigen. Bei einem Maschinenelektroniker in der Metallindustrie, dessen Jahres-Einkommen der Verband mit 64.712 Euro beziffert, würden die Lohnzusatzkosten von 5.760 Euro auf 6.229 Euro (+ 8,1 Prozent) klettern. Der Arbeitgeber einer Controllerin mit einem Jahreseinkommen von 78.130 Euro müsste einen neuen Arbeitgeberbeitrag von 7.520 Euro aufbringen. Das entspreche einem Anstieg der Lohnzusatzkosten von 30,6 Prozent. Sogar um 46,4 Prozent klettern die Zusatzkosten den Berechnungen zufolge bei einem Softwareinformatiker, dessen Jahreseinkommen mit 88.638 Euro angegeben wird.
Verband rechnet mit hohen Einkommen
Auffällig ist allerdings, dass der Lobbyverband sehr hohe Einkommen für die Berufe ansetzt. Man habe aus Berichten des Statistischen Bundesamtes „konkrete, arbeitnehmertypische Beispiele“ ausgewählt, heißt es dazu in der Studie. Um das erstgenannte Beispiel aufzugreifen: Die Webseite „gehalt.de" des Personaldienstleisters Stepstone beziffert das Bruttojahresgehalt eines Maschinenelektronikers bei 40 Wochenstunden im Median auf 45.032 Euro im Jahr: 50 Prozent der Datensätze, errechnet aus tausenden Profilen, liegen darüber, 50 Prozent darunter. Das Einstiegsgehalt in der Metallindustrie wird mit 2.900 bis 3.200 Euro Monatsbruttoeinkommen angegeben: und liegt folglich nicht in Reichweite der Beitragsbemessungsgrenze.
Hier stellt sich die Frage, ob der Verband die hohe Lohnspreizung in den Berufen ausgeklammert hat, um auf hohe Summen und mehr Betroffene zu kommen. Die Höhe des Einkommens von Fachkräften hängt zum Beispiel auch von der Region ab, in der sie beschäftigt sind, sowie von weiteren Faktoren wie etwa der Art der Tarifbindung und der Betriebsgröße.
Fakt aber ist: Viele Unternehmen würden durch die Reform mit zusätzlichen Kosten für die Beschäftigung von Fachkräften belastet. Schon heute beliefen sich die Lohnzusatzkosten allein für die Sozialversicherung in Deutschland auf über 225 Milliarden Euro pro Jahr, rechnet der Wirtschaftsverband vor. Und schießt gleichzeitig gegen die Gewerkschaften. "Auf einem durch Fachkräftemangel gekennzeichneten Arbeitsmarkt gelingt es den Arbeitnehmern zunehmend, die Arbeitnehmerbeiträge über Lohnrunden auf die Arbeitgeber zu überwälzen. Umfang und Ausmaß der Überwälzung hängt nicht unwesentlich von Branche und Wirtschaftszeig ab", heißt es im Positionspapier.
"Die Analyse zeigt: In umlagefinanzierten Sozialversicherungszweigen drohen bei demografischem Wandel beträchtliche Beitragssteigerungen. Die Folgen für die Lohnzusatzkosten wären erheblich und entwickeln sich zum Standortnachteil. Wirtschaftliche Stärke ist aber die Grundlage für Wohlstand und soziale Sicherung", kommentiert vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt die Studie. Der Verband spricht sich dafür aus, die Leistungen der Sozialversicherung mit Blick auf die Demografie zu hinterfragen und die Lebensarbeitszeit zu verlängern.
Brossardt weiter: "Wenn jetzt die nötigen Reformmaßnahmen ausbleiben, droht eine erhebliche Beitragssatzdynamik. Völlig fehlgeleitet sind die Ideen, durch eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze schleichend eine Bürgerversicherung einzuführen. Eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung belastet sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber". Grundsätzlich gelte: Der Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen wirke dämpfend auf die Lohnzusatzkosten. Daher müsse die Dualität erhalten bleiben.