Die deutschen Lebensversicherer stehen laut einer Analyse des Versichererverbandes GDV sehr stabil da. Auch im letzten Jahr verbesserte sich die Finanzstärke der Branche: Sie profitiert von gestiegenen Zinsen am Kapitalmarkt und weniger Garantieverpflichtungen im Bestand. Doch noch dürfen die Versicherer mit Übergangsmaßnahmen rechnen, wovon sie auch Gebrauch machen.
Die Finanzstärke der deutschen Lebensversicherer hat sich nach Schätzungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im letzten Jahr verbessert. „Die deutschen Versicherer sind sehr stabil“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen. „Unsere Berechnungen zeigen: Die Unternehmen verfügen über ausreichend Eigenmittel, um Finanzmarktschwankungen und hohe Inflation abzufedern.“
Nach Berechnungen des GDV waren die Lebensversicherer zum Jahresende 2022 sehr gut mit Eigenmitteln ausgestattet. „Die Solvenzquoten betrugen durchschnittlich 510 bis 530 Prozent“, so Asmussen. Zum Vorjahresstichtag lag die Quote bereits bei rund 450 Prozent. Ein Grund für den weiteren Anstieg der Solvenzquoten sei das höhere Zinsniveau, das sich positiv auf die Lebensversicherer auswirke.
Lebensversicherer dürfen mit Übergangsmaßnahmen rechnen
Allerdings gilt es zu beachten: Bis 2032 dürfen die Versicherer noch mit Übergangsmaßnahmen rechnen, um ihre Kapitalstärke nachzuweisen. Das soll ihnen helfen, die Geschäftsprozesse anzupassen und Risiken schrittweise zu minimieren. Unter anderem dürfen langjährige Anleihen höher bewertet werden, wenn sie einen festen Wert zum Ende ihrer Laufzeit haben. Deshalb weisen die Anbieter eine Brutto- und Netto-Solvenzquote aus. Ohne Berücksichtigung von Übergangsmaßnahmen lag die Solvenz laut GDV bei schätzungsweise 270 bis 290 Prozent und damit leicht über dem Wert des Vorjahres (262 Prozent). Die Versicherungsaufsicht fordert hier ein Maß von mindestens 100 Prozent.
Ein weiterer Grund für die bessere Solvenz: Weil die Versicherer neue Anlagen wieder mit höheren Zinsen zeichnen können, müssen sie auch weniger Geld der sogenannten Zinszusatzreserve zuführen. Das ist ein zusätzlicher Finanzpuffer, den die Versicherer verpflichtet sind anzusparen, um Garantiezusagen an ihre Kundinnen und Kunden langfristig abzusichern. Im Gegenteil: Bei einem stabilen oder steigenden Referenzzins könnten Lebensversicherer ihre gebildete Zinszusatzreserve allmählich auflösen. Bereits im April schätzte der GDV, dass der Puffer im Laufe des Jahres 2022 um drei Milliarden Euro abgeschmolzen werden kann. Zum Jahresende 2021 hatten sich circa 96 Milliarden Euro an Reserven angesammelt. Die Rückflüsse helfen den Versicherern sichtlich. Zum einen müssen sie keine zusätzlichen Mittel reservieren, zum anderen wird Kapital freigesetzt, das wiederum neu investiert werden kann.
Als Problem könnten sich hingegen die sogenannten stillen Lasten erweisen. Vereinfacht gesagt: Festverzinsliche Anlagen, die in Zeiten niedriger Zinsen abgeschlossen wurden, verlieren zunächst an Wert, weil neue Anlagen wieder zu höheren Zinsen abgeschlossen werden können. Das muss kein Problem sein, denn wenn diese Papiere bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden, haben sie einen festen, vorher vereinbarten Endwert. Ihr Wertverlust ist also nur vorübergehend. Ist der Versicherer aber gezwungen, sich vorzeitig von diesen Anlagen zu trennen, etwa um sich frisches Kapital zu beschaffen, kann er diese Anlagen nur mit einem Wertverlust verkaufen. Experten des Analysehauses Assekurata schätzen, dass sich 155 Milliarden Euro stille Reserven 2022 in 50 Milliarden Euro stille Lasten verkehren.
Die Solvenzquote bezeichnet das Verhältnis von Eigenmitteln zur Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR). Bei einer Solvenzquote von 100 Prozent könnten Versicherer auch in einem theoretischen Krisenszenario, das laut GDV nur alle 200 Jahre eintritt, alle Verpflichtungen erfüllen. Die Übergangsmaßnahmen wurden beschlossen, um einen reibungslosen Übergang auf den europäischen Regulierungsrahmen Solvency II zu ermöglichen und laufen spätestens 2032 aus.