Die Lebensversicherer stehen im Zuge der stark gestiegenen Kapitalmarktzinsen verbessert da. Die aufsichtrelevante Solvenzquote verbesserte sich im Schnitt um rund 29,6 Prozent. Dennoch befinden sich zwei Versicherer weiterhin in Manndeckung der BaFin.
Wie stabil stehen die Lebensversicherer da - und sind sie für mögliche Krisen gerüstet? Darüber sollen die sogenannten Berichte zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) Aufschluss geben. Zum siebenten Mal mussten die deutschen Anbieter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Bericht über ihre Solvenz erstatten.
Die aufsichtrelevante Solvenz der Lebensversicherer stieg im Schnitt um 139,02 Prozentpunkte und liegt bei 609,05 Prozent. Darin sind auch etwaige Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen enthalten. Die durchschnittliche Netto-Solvenzquote bzw. SCR-Quote (ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung) kletterte noch deutlicher. Sie liegt bei 315,97 Prozent und damit 48,71 Prozentpunkte über dem Wert des Vorjahres. Das zeigt die Auswertung der Solvenzberichte durch das Analysehaus Assekurata.
Bereits im Jahr 2021 hatte sich das Zinsniveau gegenüber den historischen Tiefständen im Zuge der Corona-Pandemie etwas erholt und die Lebensversicherer konnten eine erste Entlastung bei der Bedeckung der Solvenzanforderungen feststellen. Durch die veränderte Geldpolitik der Zentralbanken im Kampf gegen die Inflation erholten sich auch die Marktzinsen. So sind zehnjährige Bundesanleihen mittlerweile mit über zwei Prozent bewertet.
Die Versicherer dürfen aktuell noch mit erleichterten Übergangsregeln rechnen, damit der Übergang ins neue Aufsichtsregime gelingt: unter Solvency II sind die Kapitalanforderungen deutlich verschärft worden. Hier lässt bereits aufhorchen, wie viele Gesellschaften nach wie von dieser Stütze Gebrauch machen.
Aktuell nehmen noch 64 der 75 Versicherer für ihre Solvenzberichte Bilanzierungshilfen in Anspruch. Die erleichterten Bedingungen müssen bei der BaFin angemeldet werden. Bis zum Jahr 2032 dürfen die Versicherer mit erleichterten Bedingungen rechnen, um nachzuweisen, wie finanzstark sie sind. Volatilitätsanpassung zählen jedoch nicht zu den Übergangsmaßnahmen. Dieses Mittel können die Versicherer auch nach dem Jahr 2032 noch in Anspruch nehmen. Während die Finanzaufsicht also auf die Bruttoquoten schaut, bildet die Nettoquote ab, wie die Versicherer ohne diese Erleichterungen dastehen würden. Im Schnitt verbessern die Übergangsmaßnahmen die Quoten um stolze 262,37 Prozentpunkte (2021:181,5).
Die Spannweite zwischen den einzelnen Anbietern ist allerdings beachtlich. So verteilen sich die Nettoquoten im regulatorischen Nachweis von unter 200 Prozent bis weit über 1.400 Prozent. Den Spitzenwert erzielt dabei die Signal Iduna Lebensversicherung a.G. mit 1.442 Prozent. Auf den Plätzen zwei und drei folgen R+V Leben mit 1.416 Prozent und Condor mit 1.409 Prozent. Branchenweit konnten 56 Unternehmen ihr Solvenzniveau gegenüber dem Vorjahr erhöhen, während es bei 18 niedriger ausfällt. „Gerade bei traditionellen Lebensversicherungsbeständen, die sensibel auf Marktzinsen reagieren, lassen sich sehr große Anstiege beobachten“, erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata.
3 Lebensversicherer nur mit Übergangshilfen ausreichend solvent
Beim genauen Blick auf die Kennzahlen gilt es zu differenzieren. Denn grob vereinfacht zeigt die Bedeckungsquote, ob der Versicherer einen ausreichend großen Kapitalpuffer besitzt, um alle Ansprüche der Kunden auch dann bedienen zu können, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern. Ein Wert unter 100 Prozent wird hierbei als kritisch bewertet. Fällt die Solvenquote ohne Übergangsmaßnahmen (SCR + VA) des Versicherers unter diesen Wert, greift die Versicherungsaufsicht der BaFin ein. Dann muss der Versicherer Maßnahmen vorlegen, um seine Finanzstabilität zu verbessern: und die Aufsichtsbehörde prüft den Erfolg. Aufsichtschef Frank Grund sprach von einer „Manndeckung“, in der sich die Versicherer befinden.
Zur besseren Einordnung weist Assekurata mehrere Solvenzquoten aus. Für die Finanzaufsicht wichtig ist die Brutto-Solvenzquote, die von den Versicherern standardmäßig berichtet wird. Hier sind bereits Übergangsmaßnahmen und sogenannte Volatilitätsanpassungen eingerechnet. Diese liegt bei 609,05 Prozent.
Darüber hinaus weist die Studie auch die Netto-Quote der Versicherer aus. Sie zeigt den Kapitalpuffer ohne Übergangshilfen (Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen) an. Insgesamt drei Versicherer hätten ohne diese Hilfen den Schwellenwert von 100 nicht erreicht. Im vergangenen Jahr waren es noch acht Unternehmen. Insgesamt zwei Versicherer befinden sich in „enger Manndeckung“ der BaFin. Bei diesen Gesellschaften liegt die Solvenzquote ohne Übergangsmaßnahme (SCR +VA) unter dem Schwellenwert von 100. Im vergangenen Jahr waren es noch fünf Unternehmen.
Diese Versicherer haben eine Nettoquote unter 100 Prozent:
- LPV Leben (13,77 Prozent)
- Öffentliche Lebensversicherung Oldenburg (49,15 Prozent)
- Cosmos Leben (91,07 Prozent)
Diese Versicherer würden die Hürde der Bedeckungsquote von 100 Prozent - ohne Übergangshilfen und mit Volatilitätsanpassungen - reißen:
- Öffentliche Lebensversicherung Oldenburg (63,63 Prozent)
- LPV Leben (70,46 Prozent)
Ähnlich wie bei der aufsichtrelevante Solvenzquote gab es auch bei der Nettoquote sowie der Basis-Solvenzquote (ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung) Bewegungen nach oben und nach unten. Zwar gehen auch hier die Werte mehrheitlich, aber nicht bei allen Anbietern nach oben. Bei der Basis-Quote weisen 22 und bei der Quote ohne Übergangsmaßnahmen 20 Gesellschaften geringere Werte auf als im Vorjahr.
45 Lebensversicherer mit großen Risikopuffern
Einige Versicherer stehen trotz der etwas entspannteren Lage nun vor noch größeren Herausforderungen. Das betrifft vor allem kleinere Versicherer mit hohem Garantiebestand und diejenigen, die bereits in der Vergangenheit nur mit Übergangsmaßnahmen eine Solvenzquote von über 100 Prozentpunkten erreicht haben.
Die wichtigsten Zahlen in Kürze:
- Aufsichtsrelevante Bruttoquote: 609,05 Prozent (2021: 470,03 Prozent)
- Nettoquote (SCR-Quote +VA): 346,53 Prozent (2021: 288,53 Prozent)
- Basis-Solvenzquote (SCR-Quote): 315,97 Prozent (2021: 267,26 Prozent)
- 2 Versicherer mit Nettoquote +VA < 100 Prozent (2021: 5)
- 3 Versicherer mit Nettoquote < 100 (2021: 8)
- 53 Versicherer haben sich bei der Nettoquote im Vergleich zum Vorjahr verbessert
- 22 Versicherer haben sich bei der Basis-Solvenzquote im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert
- 50 von 75 Lebensversicherern (2021: 58 von 80) haben bei der BaFin Übergangsmaßnahmen
- 63 von 75 Lebensversicherern (2021: 67 von 80) haben Volatilitätsanpassungen bei der BaFin
- Übergangsmaßnahmen verbessern die Quoten im Schnitt um 262,37 Prozentpunkte (2021:181,5)
45 Lebensversicherer mit großen Risikopuffern
Darüber hinaus hatte Henning Kühl, Leitender Aktuar von Policen Direkt und Versicherungsmathematiker (DAV), in den vergangenen Jahren die Versicherer in verschiedene Korridore eingeteilt. Aus den Nettoquoten leitete er ab, welches Unternehmen sich auch im Neugeschäft Garantien leisten kann und welches bei der Produktentwicklung tendenziell eher kleinere Spielräume hat.
Zwei Unternehmen vor großen Herausforderungen (Nettoquote unter 150 Prozent): Bei 14 Unternehmen (2021: 14) ginge es um bestehende Garantieanforderungen und darum, sich in Zukunft überhaupt noch Neugeschäft leisten zu können.
28 Unternehmen weitgehend gerüstet (Nettoquote +VA 150 – 300 Prozent): 28 Unternehmen (2021: 36) sieht Kühl im grünen Bereich, mit einer Nettoquote von 150 bis 300 Prozent, und damit weitgehend finanzstark und gerüstet für Extremszenarien. Sie seien in der Lage, den eingegangenen Versprechen unverändert auch in Zukunft nachzukommen.
45 Unternehmen mit Spielraum für Garantien (Nettoquote +VA über 300 Prozent): Erfreulich ist, dass immerhin 45 Unternehmen (2021: 30) aufgrund ihrer vergleichsweise komfortablen Solvenzkapitalausstattung sehr gut gewappnet sind und weitere Verschärfungen der Lage bewältigen oder im Neugeschäft weitreichende Zusagen geben könnten.
„Auch wenn die Wirkung der Übergangsmaßnahmen bis 2032 jedes Jahr abnimmt, können fast alle Gesellschaften ihre Kapitalanforderung mittlerweile komfortabel bedecken. Die zum Teil äußerst hohen Quoten könnten künftig sogar die Frage nach der Kapitaleffizienz aufkommen lassen.“, sagt Heermann. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die überwiegend deutliche Überbedeckung der Kapitalanforderungen nach Solvency II die Sicht nunmehr wieder stärker auf die HGB-Bilanzen verlagert, wo der rasante Zinsanstieg zu teils beträchtlichen stillen Lasten ge führt hat. Auch wenn die deutschen Lebensversicherer insgesamt vom Zinsanstieg profitieren, gelte es weiterhin, beide Rechnungslegungswelten im Blick zu behalten.