Wie entwickelte sich die Vermittler-Branche in Zeiten von Rekordinflation und steigenden Zinsen? Und braucht es ein Provisionsverbot? Für die Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler e.V. (IGVM) antwortet der Vorsitzende Stefan Rumpp – Versicherungsmakler und seit 1985 in der Branche aktiv.
(Beim Thema Provisionsverbot kann die Branche inzwischen aufatmen. Denn wie die Finanzkommissarin Mairead McGuinness vom der EU-Kommission in einer Rede auf dem 'Eurofi High Level Seminar' in Stockholm mitteilte, ist das EU-weite Provisionsverbot vorerst vom Tisch, wie Versicherungsbote berichtete).
Versicherungsbote: Rekordinflation, Energieknappheit, lähmende Bürokratie und marode Infrastruktur: In Deutschland herrscht derzeit Krisenstimmung. Wie ist Ihr Eindruck: Hat sich die Krise auch auf das Versicherungs- und Vorsorgegeschäft ausgewirkt? Wo stehen die Vermittler in Zeiten der Krise?
Stefan Rumpp: In zahlreichen Gesprächen, die ich unter anderem in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der IGVM e.V. führe, berichten mir die Kollegen von vollen Auftragsbüchern. Offensichtlich haben die zurückliegenden, schwierigen Zeiten bei vielen dazu geführt, sich Gedanken über die eigene Vorsorge zu machen. Unabhängig davon nehmen allerdings die Klagen über Bürokratie und dramatisch gesunkene Qualität in der Sachbearbeitung auf der Seite der Anbieter deutlich zu.
„Deutschland hat tendenziell zu viele Finanzvermittler und Bankberater. Es ist nicht Aufgabe von Kleinsparern, dieses Überangebot zu subventionieren“, sagte Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband im Januar der ZEIT. Dies war auch eine Antwort auf die Warnung von Vermittlerverbänden, ein Provisionsverbot in Deutschland würde ein Vermittlersterben bewirken. Was entgegnen Sie Ihr?
Zur Aussage von Frau Dorothea Mohn möchte ich einen Mathematiklehrer von mir zitieren. Er sagte, dass eine falsche Grundannahme bzw. ein Fehler im ersten Rechenschritt dazu führt, dass die Lösung einer Aufgabe im Gesamten falsch sein wird. Dies trifft auch hier zu. Frau Mohn hätte recht, wenn im Versicherungs- und Finanzanlagengeschäft eine breite Nachfrage vorhanden wäre.
Tatsächlich ist es allerdings so, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung erst dann aktiv wird, wenn das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist. Man fragt nach Altersversorgung, wenn die ersten Schulkameraden in Rente gehen wollen, man fragt nach Berufsunfähigkeitsversicherungen, wenn der Arzt die ersten nicht normalen Untersuchungsergebnisse thematisiert hat.
Als leuchtendes Beispiel für eine gelungene Abkehr von der bösen Beratung gegen Provision/Courtage wird Großbritannien genannt. Spätestens seit der Studie der britischen Finanzaufsicht vom Dezember 2020 müsste dieser Mythos entzaubert sein.
Ernüchtert stellt die Finanzaufsicht fest: »Viele Verbraucher scheinen nicht die Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die ihnen Unterstützung bieten würden, die sie sich wünschen und von denen sie profitieren würden.« Und weiter: »Wohlhabendere Verbraucher neigen dazu, sich mehr mit dem Markt zu befassen, diejenigen mit einem investierbaren Vermögen von mehr als 100.000 £ nehmen Finanzberatung verstärkt in Anspruch.«
Das ist nicht überraschend, außer vielleicht für Frau Mohn. Menschen mit höheren Vermögen verfügen häufig auch über eine höhere Bildung. Sie sind sich darüber im Klaren, dass die eigenen Stärken in ihrem Fachgebiet und eben nicht in der Geldanlage liegen. Sie suchen sich professionelle Hilfe und sind auch bereit, dafür ein angemessenes Honorar zu bezahlen. Das unterscheidet sie von Haushalten, die mit knappen Budgets auskommen müssen.
Wie viele Menschen würden mit ihren Kraftfahrzeugen zu einer Hauptuntersuchung fahren und dafür Geld bezahlen, wenn es nicht gesetzlich vorgeschrieben wäre? Sicher würde ein großer Teil der Fahrzeugbesitzer davon ausgehen, dass ein Werkstattbesuch und regelmäßige Wartung die Hauptuntersuchung überflüssig machen. Dass sie dennoch vorgeschrieben ist, liegt am Umstand, dass nicht alle Fahrzeuge im Dreijahresturnus, wie zum Beispiel bei Firmenfahrzeugen, ausgetauscht werden. Die Regelung betrifft also, analog der Honorarthematik, nicht diejenigen, die ohnehin schon aktiv richtig handeln.
Vielmehr werden die abgehängt, die bereits heute zu wenig Wert auf die eigenen Finanzen legen. Unsere Branche leistet hier einen wichtigen Beitrag zum sozialen Ausgleich. Dies aus ideologischen Gründen zu gefährden, halte ich für fahrlässig. Wenn diese Forderung aus einer Ecke kommt, die von einer verpflichtenden Beratung gegen Honorar mutmaßlich profitieren würde, den Verbraucherschutzzentralen, stellt sich die Frage nach den Beweggründen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Nachfrage nach Honorarberatung ein?
Wenn der Markt Beratung gegen Honorar nachfragen würde, wäre die Zahl der Versicherungsberater und der Finanzanlagenvermittler nach Paragraph 34h sprunghaft angestiegen. Dies ist ausweislich der IHK-Zahlen nicht der Fall.
Unser Vorschlag ist seit vielen Jahren, dass man den beiden betroffenen Parteien, Kunde und Vermittler, die Wahl lassen sollte, in welcher Art und Weise die erbrachte Leistung des Beraters vergütet wird. Die Zulassungsvoraussetzungen für Versicherungsmakler und Versicherungsberater sind identisch, was den fachlichen Teil angeht. Es spricht also nichts dagegen, die Form der Vergütung im Vorfeld der Beratungen mit den Betroffenen zu thematisieren und festzulegen. Die immer wieder angeführten Bedenken, es könne dabei zum Missbrauch in Form von Honorar plus Courtage/Provision kommen, sind vorgeschoben. Immerhin ist es bereits heute vorgeschrieben, dass die entstehenden Kosten transparent im Vorfeld des Abschlusses auszuweisen sind.
Es ist also jedem Kunden klar, welche Zahlungen sein Vertragsabschluss auslöst. Eine Verrechnung mit einer Honorarforderung wäre völlig unproblematisch darstellbar. Hier hat sich der Staat ohne Not in die Rechtsbeziehung zwischen Kunde und Berater regulierend eingemischt – zum Nachteil aller Beteiligten! Jetzt lautstark zu beklagen, was man selbst verursacht, hat eine gewisse Tragik.
„In kurzer Zeit könnte man Verhandlungspartnern gegenüberstehen, die 50 % der Vertriebsleistung des gesamten Marktes kontrollieren“
Hand aufs Herz: Wäre eine Marktbereinigung vielleicht sogar im Interesse vieler Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler? Oder anders gefragt: Wo sehen Sie aktuell noch Fehlanreize in der Branche, die dazu beitragen könnten, dass der Ruf der Vermittler leidet?
Stefan Rumpp: Die größten Exzesse in diesem Bereich findet man in BaFin-kontrollierten Unternehmen – Stichwort Courtagesätze bei Risiko-Lebensversicherungen zur Finanzierungsabsicherung. Dem Ansinnen, alle Unternehmen unter die Aufsicht dieser Einrichtung zu stellen, ist schon aus diesem Grund zu widersprechen.
Ein weiterer Bereich sind regelmäßige Umdeckungen, die man häufiger bei Kranken- und Lebens-/Rentenversicherungsprodukten vorfindet. Hier wäre eine angemessene laufende Vergütung ein wirksames Mittel, um gegenzusteuern. Damit verbunden ist allerdings ein erschwerter Marktzugang für Neugründungen.
Der Aufbau einer auskömmlichen laufenden Vergütung erfordert Zeit und damit finanzielle Mittel. Diese sind regelmäßig bei Existenzgründern nicht im erforderlichen Umfang vorhanden. Vor dem Hintergrund, dass viele Unternehmen in den nächsten Jahren in jüngere Hände übergeben werden müssen, scheint es aber Lösungen zu geben. Statt Neugründungen könnten Betriebsübernahmen ein Zugang zum Markt sein.
Wir reden oft über Bürokratie und Überregulierung für die Vermittlerbranche. Um das Argument mal umzukehren: Wo sehen Sie aktuell positive Signale oder sogar politische Reformabsichten, die Vermittlern Hoffnung für die Zukunft machen können?
Positive Signale im Bereich der Reduzierung von Bürokratie sehe ich aktuell leider nicht. Das ist bedauerlich, zumal sehr viele Vorschriften völlig sinnbefreit sind. Es wäre mit wenigen Schritten möglich, die tägliche Papierflut im Sinne von Kunden und Beratern erheblich zu reduzieren. Hier fehlt dem Gesetzgeber offensichtlich sowohl die notwendige Fachkenntnis als auch der politische Wille. Wir stehen hier als Ansprechpartner gerne zur Verfügung.
In den letzten Monaten beobachten wir, dass sich vermehrt Investoren, zum Teil aus Nicht-EU-Staaten, in Maklerpools einkaufen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Und wo sehen Sie Ursachen für diesen Trend?
Die Notwendigkeit, sich in größeren Einheiten zusammenzufinden, um die Anforderungen an Dokumentation und Prozesse stemmen zu können, führt dazu, dass Marktteilnehmer entstehen, die für Finanzinvestoren interessant sind – große Vertriebe, die erhebliches Potenzial durch die Verschlankung von Prozessen und Einsparung von Personal erwarten lassen. Das sind Aussichten, die den sogenannten Heuschrecken perfekt gefallen. Die Gegenseite, die Anbieter von Finanzdienstleistungen und Versicherungen, scheinen diesen Trend aktuell etwas zu verschlafen.
Es könnte passieren, dass man sich in kurzer Frist einem Verhandlungspartner gegenübersieht, der 50 Prozent der Vertriebsleistung des gesamten Marktes kontrolliert. Das kann nicht im Interesse der Anbieter sein. Man wäre schnell erpressbar. Aus unserer Sicht wird das für die verbliebenen unabhängigen Marktteilnehmer zu einer neuen Qualität ihrer Verbindungen zu Anbietern führen.
Voraussetzung wird allerdings sein, dass die technischen Herausforderungen, also die Hausaufgaben im eigenen Unternehmen, gemacht worden sind. Für die Anbieter von Branchensoftware, Maklerverwaltungs- und Vergleichsprogramme bricht damit der Markt in naher Zukunft vollständig weg. Es werden keine ausreichenden Mengen zahlender Kunden für diese Anbieter übrig bleiben. Verbünde wie zum Beispiel IGVM e.V. oder auch die VEMA e.G. werden an Bedeutung gewinnen. Die Sicherheit vor einer ungewollten Übernahme durch Investoren dürfte einem Teil der Berater ein wichtiges Anliegen sein.
Die Investoren haben eine klare Absicht: Sie wollen den Wert des Maklerpools steigern und damit Gewinne erzielen. Sehen Sie hier einen Interessenkonflikt mit Blick auf die Unabhängigkeit der Pools? Müssen Makler vielleicht sogar umdenken und autarker von Anbindungen werden? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.
Im Auge behalten sollten die Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler, dass sie technisch in der Lage sind, die komplexer werdenden Prozesse digital abzubilden. Dabei wird es entscheidend sein, wer die Datenhoheit hat. Hier entstehen sehr schnell Abhängigkeiten, die eine Entscheidung auf Ebene des eigenen Unternehmens schwierig oder unmöglich machen. Die Überalterung der Branche dürfte einen Beitrag dazu leisten, dass dieses Problem noch nicht ausreichend im Fokus steht. Die nächsten Jahre werden weiterhin eine hohe Dynamik in Sachen Veränderungen unseres Berufsalltages mit sich bringen. Es gilt, fachlich und prozessual auf Ballhöhe zu bleiben.
Die Komplexität unseres Berufes wird allerdings dafür sorgen, dass auch auf mittlere Sicht der fachlich gut ausgebildete Berater seinen Platz haben wird. Die KI wird im Arbeit abnehmen, ihn aber nicht ersetzen.
Hintergrund: Das Interview erschien zuerst im kostenlosen Fachmagazin des Versicherungsboten.