Die Debatte um die Provisionsverbot ist auch nach dem Rückzieher von EU-Kommissarin Mairead McGuinness noch nicht final vom Tisch. Dabei will die EU-Kommission eigentlich nur Gutes tun: Denn sie will Kleinanleger schützen. Doch gut gedacht, ist nicht gut gemacht. Denn die Pläne würden vor allem diejenigen Verbraucher treffen, die Beratung am dringendsten benötigen würden. Davon ist Martin Gräfer, Vorstand der Versicherungsgruppe die Bayerische, überzeugt.
Die Provisionsberatung hat zu Unrecht ein schlechtes Image. Wir können uns auch alle denken, woher das kommt. Wenn Vermittler nicht das Wohl ihrer Kunden, sondern den eigenen Profit im Blick haben, kommt das bei Verbrauchern eben nicht gut an. Für diese Fälle gibt es aber – wen wunderts – eine Behörde, die ihre Aufsichtspflicht streng und konsequent wahrnimmt. Dennoch haftet anscheinend jeder Beratungsleistung, die über Provisionen vergütet wird, etwas Intransparentes, ja Unseriöses an.
McGuinness trifft mit ihrer Initiative also in dieser Gemengelage voll ins Schwarze und wird dafür von Verbraucherschützern gefeiert. Dass das Provisionsverbot aber mitnichten Verbrauchern und Kleinanlegern nützt, könnte ein Blick ins Vereinigte Königreich zeigen. Nach 10 Jahren Provisionsverbot und stattdessen ausschließlich Honorarberatung gibt es einige Erkenntnisse, die anscheinend nicht bis zur EU-Kommission durchgedrungen sind: Zum einen hat das Provisionsverbot von 2013 nicht zu mehr Beratungsgesprächen geführt, sondern dazu, dass sich 66 Prozent der Menschen gar nicht mehr beraten lassen. Zum anderen – und das ist eigentlich viel schlimmer – hat sich gezeigt, dass sich der Verzicht auf fachkundige Beratung schlecht auf die finanzielle Vorsorge fürs Alter auswirkt. Ohne das Provisionssystem fehlt zudem eine wünschenswerte gesamtwirtschaftliche Umverteilung, da größere Verträge stärker belastet werden als kleinvolumige Verträge. In Ländern mit Provisionsverbot sind demnach diejenigen Verbraucher, die Beratung am dringendsten benötigen würden, nicht bereit bzw. in der Lage, Beratungsvergütungen wie Honorare zu bezahlen.
Mein Standpunkt ist deshalb klar - und dies belegen auch Studien aus Irland, Kanada und dem Vereinigten Königreich: Kunden, die beraten wurden, sorgen besser fürs Alter vor. Das bedeutet eine robuste Anlagestrategie, die der Volatilität auf den Finanzmärkten widerstehen kann, und der Aufbau von Vermögen fürs Alter mit einer vernünftigen Rendite. Meines Erachtens ist die Koexistenz von Provisionsberatung und Honorarberatung der verbraucherfreundlichste Ansatz. Der Kunde sollte wählen können, wie er die Beratung vergüten möchte.
Die Initiative der EU zitiert zudem eine Studie des Marktforschungsunternehmens Kantar, die zahlreiche Experten als unzureichend bzw. methodisch fehlerhaft betrachten. In der öffentlichen Diskussion werden aus dieser Studie vor allem die Kostenargumente für ein Provisionsverbot abgeleitet. Tatsächlich hat die Kantar-Studie weder irgendeine Aussage in Bezug auf Provisionen bei Versicherungs- und Altersvorsorgeprodukten getroffen noch überhaupt Analysen hierzu durchgeführt. Der Kostenvergleich in der Studie umfasst vielmehr nur Fonds und schließt Versicherungsprodukte explizit aus. Es wird auch kein Vergleich vorgenommen, ob die Kosten bei einer provisionsbasierten Vergütung der Beratung höher oder niedriger sind als bei anderen Formen der Beratung. Das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (IFA) hat in einer Studie zum Nutzen des EU-Vorstoßes dieses ganz klar festgestellt.
Die jüngste Rede von McGuinness in Stockholm hat zu Spekulationen geführt, dass die EU-Kommission möglicherweise nicht mehr auf ein vollständiges Provisionsverbot abzielt. Die EU-Kommissarin hat dabei die verschiedenen Aspekte des Provisionsverbots für die Finanzberatung erörtert und die damit verbundenen Herausforderungen und Bedenken angesprochen. Das Gleichgewicht zwischen Verbraucherschutz und der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Marktes für Finanzberatung sei ihr sehr wichtig. Dabei erwähnte sie auch mögliche negative Auswirkungen, wie den eingeschränkten Zugang zu Beratung für Verbraucher und die Belastung kleinerer Finanzberatungsunternehmen. Die EU-Kommission hat also scheinbar die Bedenken und Einwände der verschiedenen Interessengruppen zur Kenntnis genommen hat und ist bereit, alternative Lösungen in Betracht zu ziehen.
Aber Vorsicht! Das Provisionsverbot ist nach der Stockholmer Rede, anders als die häufige Interpretation, nicht vom Tisch! Zu den Details einer neuen Kleinanlegerstrategie wollte sie sich noch nicht äußern. Nur eins hat sie schon klar gemacht: Der Gesetzesentwurf soll eine Revisionsklausel enthalten, die ein Provisionsverbot zu einem späteren Zeitpunkt erlaubt, falls die Branche sich nicht ausreichend bewegt.
Es ist wichtig, die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich genau zu beobachten.