Wird über die gesetzliche Rente unter falschem Vorzeichen diskutiert, wenn es um die Gefahr der Altersarmut geht? Diese These vertritt Renten-Chefin Gundula Roßbach in einem Gastbeitrag für die FAZ. Die öffentliche Diskussion schade dem Vertrauen in die Stabilität des Rentensystems und verunsichere die Menschen unnötig, argumentiert die Juristin.
Ist die Rente doch sicher - zumindest sicherer als gedacht? So zumindest lässt sich ein Kommentar zusammenfassen, den Gundula Roßbach, Präsidentin der DRV Bund, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht hat. Sie beklagt darin, dass vereinfachte Modellrechnungen ein Zerrbild zeichnen, wonach die gesetzliche Rente fast zwangsläufig zu Altersarmut führe. „Das schadet dem Vertrauen in die Stabilität des Rentensystems und verunsichert die Menschen unnötig“, schreibt Roßbach.
Die Juristin greift hierbei Medienberichte und Studien der letzten Monate auf, in denen immer wieder vorgerechnet wurde, was derzeit Erwerbstätige von der gesetzlichen Rente zu erwarten haben - oder besser nicht erwarten können, denn diese zeichnen ein alarmistisches Bild von der Zukunft der Rente. Zum Beispiel erhält mehr als jeder dritte deutsche Rentner bereits heute nur eine gesetzliche Rente unterhalb der Grundsicherung. Das hat Wirkung: Laut einer Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Banken (BdB) geht mittlerweile fast die Hälfte der Menschen im erwerbsfähigen Alter davon aus, dass sie kein auskömmliches Alterseinkommen haben wird. Altersarmut ist ein stark angstbesetztes Thema.
“Zu geringe Rente zunehmend unausweichlich?“
Für Aufsehen sorgte zum Beispiel eine Meldung, wonach 9,3 Millionen Vollzeitbeschäftigte nach jetzigem Stand deutlich weniger als 1.500 Euro Monatsrente erhalten werden: selbst dann, wenn sie 45 Jahre durchgehend in Vollzeit tätig sind. Das zeigen Zahlen des Bundesarbeitsministeriums. “Im Alter in Armut leben – folgt man der aktuellen Debatte, bedroht dieses Szenario inzwischen auch eine große Gruppe der Vollzeitbeschäftigten. Dabei wird der Eindruck vermittelt, gegen das Risiko von Armut im Ruhestand schütze selbst jahrzehntelange Arbeit in Vollzeit nicht mehr, eine zu geringe Rente werde zunehmend unausweichlich“, fasst Roßbach diese Schlagzeilen zusammen.
Diese Darstellung sei jedoch „faktisch falsch“ und erzeuge in der Öffentlichkeit ein falsches Bild, beklagt die Renten-Chefin. Grund dafür seien „stark vereinfachte Rechenmodelle“. Sie würden unterstellen, „dass der betrachtete Personenkreis sein ganzes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsleben lang ein und denselben Lohn erhält – und zwar einen Anteil vom statistischen Durchschnittsverdienst, der immer gleich bleibt“. Tatsächlich basiert zum Beispiel der sogenannte Eckrentner, der auch für das Rentenniveau maßgeblich ist, auf der Vorstellung, dass ein Beschäftigter immer über 45 Jahre den Durchschnittslohn verdient.
Zwar könne eine solche „holzschnittartige Modellrechnung“ helfen, sich die Auswirkungen von niedrigen Löhnen auf die Höhe von Renten zu veranschaulichen, gesteht Roßbach zu. Sie dürfe aber nicht dazu dienen, daraus eine vermeintlich typische finanzielle Situation für den Ruhestand der Zukunft abzuleiten. Sie schreibt: „Wer künftige Renten realistisch schätzen will, muss die Versicherungsverläufe so ganzheitlich betrachten, wie sie im wirklichen Leben geschrieben werden: mit Karriereeffekten und mit Leistungen beispielsweise für Kindererziehung“. Stark vereinfacht argumentiert sie an dieser Stelle, dass Menschen mit derzeit niedrigem Einkommen dieses steigern können, wenn sie auf der Karriereleiter nach oben klettern: und folglich dann auch höhere Rentenansprüche erwerben.
Roßbachs Argumentation überrascht insofern, weil viele Beschäftigte schon heute die 45 Beitragsjahre nicht erreichen können, die dazu berechtigen, eine Altersrente für besonders langjährige Versicherte zu beziehen. Von den derzeitigen 18,5 Millionen Altersrentnern erfüllen diese Bedingung nach Zahlen der Bundesregierung nur etwa fünf Millionen Ruheständler: Das entspricht circa 27 Prozent. Selbst von den besonders langjährig Versicherten erhalten 36 Prozent nur eine monatliche Nettorente, die unterhalb des sogenannten „Schwellenwerts Armutsgefährdung“ von derzeit 1251 Euro liegt. Wer nach 45 Versicherungsjahren eine Monatsrente von 1.500 Euro erreichen will, müsste über die gesamte Zeit durchgehend einen Bruttolohn von 3.602 Euro im Monat erzielen. So zumindest nach den einfachen Modellrechnungen, die Roßbach kritisiert. In vielen Berufen dürfte dies selbst mit Karriereleiter kaum realistisch sein: etwa in der Pflege, im Einzelhandel etc.
Gesetzliche Rente nicht das einzige Alterseinkommen
In einem zweiten Argumentationsschritt lenkt Rossbach dann den Blick weg von der gesetzlichen Rente: und räumt damit indirekt ein, dass die gesetzliche Rente vielen Beschäftigten eben doch kein auskömmliches Alterseinkommen sichert. Denn sie schreibt: „Wir haben uns in Deutschland dafür entschieden, dass die Rente neben der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge eine geringere Rolle spielt als früher“. Im deutschen Drei-Säulen-Modell hänge das Einkommen eines Rentners oder einer Rentnerin davon ab, welche weiteren Einkommensquellen neben der gesetzlichen Rente vorhanden seien. „Es wird viel mit schiefen Zahlen zu Altersarmut hantiert. Das schadet denen, die betroffen sind“, schreibt Roßbach.
Mit anderen Worten: Für das Alterseinkommen ist gemäß dieser Interpretation nicht nur die gesetzliche Rente verantwortlich, sondern ebenso vorhandenes Vermögen und Privatvorsorge. Aktuell würden die über 65-Jährigen durchschnittlich 61 Prozent ihres Alterseinkommensvolumens aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, berichtet die Juristin. Der Rest ihrer Einnahmen stamme aus anderen Quellen. Sie schreibt: „Auch die meisten derzeit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten werden im Alter neben ihrer Rente aus weiteren Quellen schöpfen. So haben derzeit rund zwei Drittel eine private und/oder betriebliche Altersvorsorge. Hinzu kommt der Haushaltskontext: Wer selbst nur ein geringes eigenes Einkommen hat, kann in Verbindung mit dem Einkommen des Partners trotzdem gut abgesichert sein“.
Rentner seien "in einer guten Lage"
Zahlen zur Altersarmut, die nur die Höhe der gesetzlichen Rente in den Blick nehmen, könnten die tatsächliche Einkommenssituation folglich nicht abbilden, so Roßbach. Ein realistischeres Bild der Einkommenslage von Rentnern vermittele stattdessen der aktuelle Alterssicherungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2020. „Danach erreichen Ehepaare in Deutschland ein durchschnittliches Netto-Gesamteinkommen aus Alterssicherungsleistungen und zusätzlichen Einkommen in Höhe von 2.907 Euro im Monat. Unter den alleinstehenden 65-Jährigen und Älteren beziehen Männer im Durchschnitt ein Gesamteinkommen von 1.816 Euro, Frauen verfügen über 1.607 Euro“, schreibt die Renten-Chefin.
Ursula Roßbach schlussfolgert aus den Zahlen, die Rentnerinnen und Rentner stünden „im Schnitt“ gut da. Und greift an dieser Stelle selbst auf vereinfachte Modellrechnungen zurück, denn Durchschnittswerte sagen nichts über die Spreizung der Alterseinkommen aus. An dieser Stelle argumentiert Roßbach, dass „vergleichsweise wenige Rentner im Alter Grundsicherung beziehen müssen - im Jahr 2022 waren es 2,8 Prozent“. Der Anteil liege damit deutlich unter dem der Gesamtbevölkerung (8 Prozent). Wer Grundsicherung im Alter beziehe, könne zudem meist keine langen Versicherungsverläufe vorweisen. Häufig hätten diese Menschen gebrochene Erwerbsbiografien. An dieser Stelle könnte die „Generation Praktikum“, die in den Nullerjahren trotz guter Ausbildung oft lange in schlecht bezahlten Praktika feststeckte, interessiert aufhorchen.
Ein Phänomen, auf das Roßbach nicht eingeht, ist verdeckte Altersarmut. Im Jahr 2019 sorgte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin für Aufmerksamkeit, der auf ein hohes Maß an verdeckter Altersarmut hindeutete. Danach wird Grundsicherung im Alter von rund 60 Prozent der Anspruchsberechtigten – hochgerechnet etwa 625000 Privathaushalten – nicht in Anspruch genommen. Ursache hierfür seien zum Beispiel Scham und Nichtwissen.