Ähnliche Chancen und Herausforderungen gibt es im Underwriting und der Schadenbearbeitung. So können Versicherer mit GenAI beispielsweise über synthetische Daten und Szenarien ihr Predictive Modeling weiterentwickeln. Das ermöglicht ihnen, künftige Trends und Risiken besser zu antizipieren und in robustere aktuarielle Modelle zu überführen – insbesondere bei neuen Risiken mit mangelnden historischen Daten. Ebenso unterstützt GenAI die Bewertung und Weiterentwicklung von Underwriting-Strategien und Zeichnungspolitiken auf Basis umfassender Analysen, Simulationen und Risikobewertungen.
Im Underwriting wie auch in Schaden lassen sich die Dunkelverarbeitungsquoten durch GenAI nochmals signifikant steigern. So werden beispielsweise Bilder von Schäden automatisiert ausgewertet, der Schaden wird binnen Sekunden bewertet, und wo immer möglich wird unmittelbar ein Regulierungsangebot gemacht. Darüber hinaus werden parallel bereits Unregelmäßigkeiten zwischen Schadensbild und Schadensbeschreibung erkannt und mögliche Implikationen wie Betrugswahrscheinlichkeit oder Rückfragethemen abgeleitet. Dahinter stehen typischerweise Simulationen mit synthetischen Daten, die unterschiedlichste Betrugsarten und Szenarien berücksichtigen und die Betrugserkennung damit auf ein neues Level bringen.
Wichtig auch hier: GenAI bedeutet nicht ausschließlich die intelligente Vollautomatisierung von Prozessen. Im Underwriting und in der Schadenbearbeitung kann GenAI ebenso bewusst als Unterstützung der persönlichen, manuellen Bearbeitung genutzt werden. Daraus folgt eine immer wichtiger werdende bewusste Entscheidung des Versicherers: Welche Prozesse bzw. Prozessschritte sollen künftig manuell aber intelligent unterstützt stattfinden, wo macht eine vom Experten überwachte maschinelle Bearbeitung Sinn, und wo kommt vollständige Dunkelverarbeitung zum Einsatz. GenAI wird die Grenzen zwischen diesen drei Bearbeitungsoptionen sukzessive weiter verschieben – übrigens deutlich schneller und umfassender als es durch den bisherigen Einsatz von Data Analytics und AI der Fall war. Dennoch wird es auch künftig noch Felder geben, in denen das Zusammenspiel aus Mensch und Maschine die effektivste und effizienteste Prozessbearbeitungsform ist.
Neue Chancen und neue Herausforderungen in IT- und Datenmanagement
Die Fähigkeiten von GenAI eröffnen auch zahlreiche neue Möglichkeiten bei der Programmierung von Anwendungen. Vereinfacht gesagt, kann GenAI bei der manuellen Programmierung intelligent unterstützen und beschleunigen, beispielsweise durch Vorschläge zum nächsten Programmierschritt, durch automatische Vervollständigung von Code-Zeilen oder durch die Übersetzung von Code. Zudem macht GenAI es in einem gewissen Umfang sogar möglich, das Programmieren komplett automatisiert erledigen zu lassen – basierend auf mündlich oder schriftlich formulierten Anforderungen und Beschreibungen der erwarteten Lösung.
Für die Versicherungsindustrie ergibt sich daraus eine riesige Chance: Typischerweise ist nämlich die Verfügbarkeit von IT-Ressourcen einer der größten Engpässe in einem Versicherungsunternehmen. Daraus folgen alljährlich schwierige Priorisierungsentscheidungen, obwohl der Modernisierungsbedarf von IT-Landschaften und Datenmanagement seit Jahren eher noch größer wird. GenAI kann daher einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, diese Knappheit an Ressourcen und Skills zu überwinden. Dies gilt insbesondere für die Herausforderungen rund um Legacy-Anwendungen, alte Programmiersprachen oder auch Datenmigrationen.
Neben diesen enormen Chancen gibt es aus Daten- und Technologiesicht allerdings auch noch eine Reihe an Herausforderungen und Risiken, die bestmöglich adressiert werden müssen. Dies betrifft natürlich zuallererst das Thema Datenschutz, wo beispielsweise ein geeigneter Umgang mit sensitiven Daten und die Implikationen der „Blackboxverarbeitung“ sichergestellt und berücksichtigt werden müssen. Daneben geht es um die Qualität und Richtigkeit der verwendeten Daten: So hat GenAI das Risiko, falsche Informationen eventuell als wahr einzustufen – ein Risiko, das durch die Auswahl der verwendeten Quellen, geeignete Validierungsmodelle und menschliche Steuerung kontinuierlich gemanagt werden muss. Die Herausforderungen zeigen: Auch bei den Themen Datenschutz und Datenvalidierung braucht es keine Use-Case-bezogenen Antworten, sondern einen gesamtheitlichen Lösungsansatz für ein Versicherungsunternehmen.
Neuer Kerntreiber von Wettbewerbsfähigkeit
Die Versicherungsindustrie hatte sich in den vergangenen Jahren deutlich mehr Potenziale aus Data und AI erhofft; letztlich ließen sich aber die angestrebten Mehrwerte meist nur mit viel Aufwand und auf Basis individueller Use Cases erzielen. GenAI bietet dagegen eine echte Chance, von kleinteiligen Anwendungsfällen hin zu einer Gesamtransformation zu kommen, die zugleich von Business und Technologie getrieben wird. Das bedeutet in der Breite der Themen eines Versicherers weit mehr als die Weiterentwicklung des bisherigen Machine Learnings, da GenAI in der Lage ist, auf Basis vorhandener Informationen und Vorgaben selbst neue Inhalte zu erzeugen.
GenAI bietet zahlreiche Möglichkeiten, die derzeit kritischen Herausforderungen der Versicherungswirtschaft besser bewältigen zu können – sei es der zunehmende Fachkräftemangel in Business und IT-Funktionen, die sich verändernden Erwartungen von Kunden und Vertriebspartnern oder die nächste Stufe der Produktivitäts- und Effizienzsteigerung in Verkauf und Service. Eines lässt sich damit mit ziemlicher Sicherheit voraussagen: Der erfolgreiche und effektive Einsatz von GenAI wird in den kommenden Jahren zu einem wesentlichen Treiber für die Wettbewerbsfähigkeit am Versicherungsmarkt werden.