Künstliche Intelligenz (KI) im Underwriting und mehr Effizienz bei der Schadenbearbeitung; doch Vertrieb und Marketing spielten auf der Insuretech Connect, der größten Versicherungsmesse der Welt in Las Vegas, kaum eine Rolle. Dr. Robin Kiera (Digitalscouting) war dort und schildert seine Eindrücke.
Als Exits verkleidete Insolvenzen, Aktienkurse mit bis zu 95% Wertverlust, Notverkäufe vor und hinter den Kulissen - Insurtech hat schon mal bessere Tage gesehen. Das war auch auf der größten Insurtech Konferenz der Welt - der InsureTech Connect in Las Vegas - letzte Woche zu sehen. Die Zeiten, in denen Insurtech CEOs ganze Hallen mit ihrer Version einer besseren Assekuranz füllten, sind vorbei - mit ganz wenigen Ausnahmen. Bei der InsureTech Connect dominierten Versicherer und vor allem Dienstleister. Letztere kamen aus der ganzen Welt und boten ihre Produkte an - beispielsweise Bees360, die supereffizient Drohenanalysen für Schäden und Underwriting anbieten. Oder auch Joshu, die eine schlanke Produktengine entwickelt haben. Auch spannend, Percipience mit einer neuen Datenanalyseplattform für Versicherer oder Synatic, die unterschiedlichste IT-Systeme über APIs miteinander verbinden. Besonders beeindruckte das israelisch-amerikanische Unternehmen Planck, von dem viele sagten, es biete als eine der wenigen Unternehmen eine echte sinnvolle Integration von KI und generative KI an.
Also Insurtech ist tot - aber es lebe Insurtech - denn neben Hiobsbotschaften der Direktversicherer hat sich ein neues, dynamisches Ökosystem von Dienstleistern und Technologieanbietern entwickelt. Und das sind gute Nachrichten für Versicherer - auf dieser und der anderen Seite des Atlantiks.
2. Die Deutschen glänzten durch Abwesenheit
Bei über 8.000 Teilnehmern schafften es gerade einmal knapp 30 Deutsche zur ITC. In den Jahren vor der Pandemie pilgerten hunderte - Entscheider, Experten und Großmakler über den großen Teich. Mir ist nicht ganz klar: Hat das Interesse an Innovation und Technologie nachgelassen, verlangen Krisen von Inflation, Kriegen und neuen Risiken die Aufmerksamkeit oder gibt es einfach genug gute Konferenzen in Europa - ITC/DIA, Insurtech Insights, Magic of Innovation, Insurance Innovators, InsureNxt oder auch DKM.
Es gab aber auch Ausnahmen: Eine davon war Dr. Stefan Knoll, CEO der Deutschen Familienversicherung, der einen der Prime-Spots auf der ITC erhalten hatte. Viele Amerikaner rieben sich verwundert die Augen. Denn die DFV, die schon vor 5 Jahren vor ihrem IPO mit ihrer Wachstumsstory das Publikum überrascht hatte, war kaum wieder zu erkennen. Verdreifachung des Umsatzes auf ca. 200 Millionen, pro Jahr 100.000 Kunden gewonnen auf ca. 600.000 - und nun weiter wachsend und signifikant profitabel. “You are one of the last insurtech standing strong,” merkte der Moderator des Panels von Dr. Knoll im bis auf den letzten Platz gefüllten Auditorium an. Ein anderer Panelteilnehmer bezeichnete ihn als “Godfather of direct sales.” Das dürfte dem Gründer des Frankfurter Versicherers gefallen haben.
Auch andere vertraten die deutsche Versicherungsindustrie, wie etwa Bastian Knutzen und Chris Maslowski von Emil, Nils Mahlow von Claimsforce und Marc Lampe und Anna Bojic von Moneypenny Technologies und Karl Grandl von Zero Insurance hoch.
3. Die Todeszone für Versicherer wird größer
Die Fläche der Aussteller bei der ITC hätte auch mehrere Football-Felder füllen können. Das Ausmaß großer und kleiner Anbieter von Technologie und Dienstleistungen war schlichtweg atemberaubend. Für scheinbar (fast) jedes Problem, bot ein Anbieter eine charmante Lösung. Eines wird aber auch klar. Die Versicherer, die systematisch effiziente Lösungen für ihre Herausforderungen scouten und anwenden, können sich systematisch Vorteile erarbeiten. Dies kann von der Senkung der Schaden-Kostenquote, Aussortierung schlechter Risiken, besserer Vertrieb und Marketing reichen. Wer allerdings glaubt, er hätte dies nicht möglich und könnte alles weitermachen wie bisher oder sich mit homöopathischen Dosen von Technologie oder Fake-Innovation den Aufsichtsrat vom Hals halten, sei eine Reise nach Las Vegas empfohlen. Denn irgendwann sind die Vorreiter und mutigen Modernisierer nicht mehr einholbar - und die anderen sind dann in der Todeszone.
4. Modernisierung von Marketing und Vertrieb - (fast) kein Thema
Effizienzsteigerung bei der Schadenbearbeitung, KI beim Underwriting dominierten. Aber Vertrieb und Marketing waren bei Ausstellern, Entscheidern und Experten fast keine Themen - obwohl die Organisatoren versucht hatten das zu puschen - beispielsweise mit der Einladung das Marketing-Gurus als Opening Keynote Speaker Gary Vaynerchuk oder der Medienpartnerschaft von Insurtech Blogs, Social Media Marketing Agenturen und Influencer aus Europa.
5. Abgefahren teuer
Mir lässt ja schon der Gang ins Restaurant oder Supermarkt in Deutschland manchmal den Atem stocke. In den USA waren die Preise aber noch extremer. Ein kleines Bier 15 Euro, 5 Minuten Taxi-Fahrt 35 EUR, billiges Wasser aus der Plastikflasche 5 EUR, Essen gehen in einem regulären Restaurant 200 EUR - pro Person. Ich hatte das Gefühl, dass die Preise teilweise verdoppelt oder verdreifacht waren.
Hoffentlich bleiben wir von solchen dramatischen Preissteigerungen verschont.
Fazit: Insurtech hat für einen Schub an technologischen Lösungen und innovativen Dienstleistungen geführt. Dies können Versicherer für sich nutzen. Einige werden das tun und langfristig erfolgreich werden. Andere werden das nicht tun oder nicht richtig. Dies wird noch 3-4 Vorstandsverträge gut gehen. Aber irgendwann wachen diese Versicherer auf - in der Todeszone. Da hilft dann nur Verkauf oder Run-Off. Ironischerweise wäre das genau der Weg, den das ein oder andere Insurtech antreten musste. Vielleicht unterscheiden sich die Akteure am Markt nicht von jung vs. alt, sondern gut vs. schlecht?