Ist das auch der Grund, warum bisher vorsichtig mit Grundfähigkeiten umgegangen worden ist?
Wir sind seit anderthalb Jahren mit Invaliditätsdeckungen im Vermittlermarkt tätig. Eine Invaliditätsdeckung direkt zu verkaufen, ist sehr schwierig und beratungsintensiv. Das macht man am besten Face to Face und nicht in einem Telefonat oder online. Deshalb haben wir es bisher nicht für nötig gehalten, eine Grundfähigkeitsversicherung anzubieten. Wir wollen im Vermittlermarkt erstmal mit der Berufsunfähigkeitsversicherung maximal gut werden und dort alle Services erfolgreich anbieten. Wie andere Versicherer auch, wollen wir später parallel dazu eine Grundfähigkeitsversicherung anbieten. Aber das muss Schritt für Schritt erfolgen. Wenn wir uns am Ende des Jahres noch mal unterhalten, sind wir dann bestimmt schon ein Stückchen weiter.
Was kennzeichnet für Sie diesen Markt? Vielleicht auch im Unterschied zu anderen Vermittlergruppen?
Ich würde sagen, dieser Markt ist hochanspruchsvoll und dieser Markt ist schnell. Vermittler richten klare Forderungen an uns und bestehen auf bestimmte Services. Wird das nicht umgesetzt, wandert das Geschäft ab. Das ist der größte Unterschied zum Direktmarkt. Insofern ist das schon eine große, vor allen Dingen technische, Herausforderung.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Hier in Hannover sitzt einer der führenden Vermittlervertriebe. Dieser Vermittler setzt sich mit jedem seiner Versicherer auseinander und führt jedes Jahr ein Audit durch, um mitzuteilen, wieviel Prozent ihrer technischen Anforderungen umgesetzt sind. Zu Beginn unseres Eintritts in den Vermittlermarkt konnten wir 2022 zwischen 35 und 40 Prozent der Anforderungen erfüllen. Ende letzten Jahres konnten wir bei dem Audit über 90 Prozent erfüllen. Daran kann man schon erkennen, wieviel wir in BiPRO-Prozesse und Schnittstellen investiert haben, um den Ansprüchen von Vermittlern gerecht zu werden, die wir so aus dem Direktvertrieb nicht kannten.
Wieviel Zeit haben Sie, um diese Investitionen zu rechtfertigen oder wieder einzuspielen?
Die VHV-Gruppe ist bereit, mehrere hundert Millionen Euro in Digitalisierung zu investieren. Davon gehört auch ein dreistelliger Betrag der Lebensversicherung. Ich glaube, dass sich diese Investition absolut rechtfertigt, weil wir ansonsten auf Dauer verschwinden werden. Wenn wir weiter mitspielen wollen, müssen wir investieren. Und das haben wir getan.
Fast alle unserer Produkte laufen im Neugeschäft auf dem neuen System.
Ob sich die Investition gelohnt hat, ist keine Frage der Zeit. Dass es sich lohnt, werden wir an den Rückmeldungen aus dem Vermittlermarkt erkennen, wenn Biometriegeschäft mit uns geschrieben wird.
Gibt es eine konkrete Zielsetzung? Vielleicht die Anzahl der angestrebten Neuverträge?
Unser Ziel ist es, jedes Jahr deutlich im Biometriegeschäft zu wachsen. Seit mindestens zehn Jahren geht das Risikogeschäft zurück. Dennoch haben wir es bislang geschafft, unsere Marktanteile zu vergrößern. Im Invaliditätsgeschäft beträgt unser Marktanteil im Augenblick um die ein Prozent. Wir können uns also noch um 99 Prozent Marktanteil bemühen. Deshalb haben wir in diesem Bereich Wachstumsambitionen.
Bei dem Erreichen welcher Zielmarke würden Sie von einem erfolgreichen Start im Biometriegeschäft sprechen?
Für den Start in der Berufsunfähigkeitsversicherung würde ich von einem Erfolg sprechen, wenn wir fünfstellig geworden sind. Ob das in diesem Jahr passiert ist, verrate ich Ihnen bei der Bilanzpressekonferenz am 9. April.
Welche Herausforderungen sehen Sie im Kontext des demografischen Wandels und steigender Zinsen?
Der demografische Wandel bedingt, dass das Altersband, das für Biometrie überhaupt in Frage kommt, immer kleiner wird. Beim Absatz von Risikolebensversicherungen ist dieser Trend seit zehn Jahren zu beobachten und die steigenden Zinsen haben diese Entwicklung noch verstärkt. Risikolebensversicherungen, die zur Absicherung von Hypothekenkrediten genutzt worden sind, sind ebenfalls zurückgegangen. Allein im letzten Jahr ging das Hypothekengeschäft um 50 Prozent zurück. Das wirkt sich natürlich auch auf den Vertrieb von Risikolebensversicherungen aus. Auch für dieses Jahr erwarte ich einen deutlichen Rückgang.
Das gilt aus meiner Sicht für Berufsunfähigkeitsversicherungen nicht so stark. Hier ist die Sättigung im Markt auch noch nicht so groß. Wir gehen nur von einem Sättigungsgrad von um die zehn Prozent bezogen auf alle Erwerbstätigen aus. Es gibt dort also noch Wachstumspotenzial. Und das Geschäft ist nicht so abhängig von Haus- oder Wohnungskauf, sondern eher eine Frage der persönlichen Absicherung.
Wie könnte sich die Provisionsdebatte auf das Biometriegeschäft auswirken?
Wir sind dafür, dass Vermittler angemessene Provisionen bekommen. Wäre das nicht so, käme dieses Geschäftsfeld in großen Teilen zum Erliegen und die Menschen hätten keine Beratung. Ihnen bliebe nur noch der staatliche Erwerbsminderungsschutz, der qualitativ deutlich schlechter als eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist.
Was können Sie als Versicherer dafür tun, dass Vermittler weiterhin angemessen bezahlt werden?
Vertriebe und Versicherungsgesellschaften müssen gemeinsam mit der Politik sprechen und die Vorteile von Vermittlung und Verkauf über Vermittler klar in den Vordergrund stellen. Ob Biometrie- oder Spargeschäft: der Anteil von Kunden, die einen Vertrag ohne Vermittler abschließen, ist viel zu gering. Wenn unsere Gesellschaft eine Versorgung der Bevölkerung mit solchen Produkten sicherstellen will, braucht es aus meiner Sicht auch Vermittler.
Lässt sich Verkauf und Beratung sinnvoll voneinander trennen?
Ich finde, da lohnt ein Blick in die Vergangenheit: Gab es nennenswerte Erfolge solcher Modelle? Ich würde sagen, dass Makler einen ganz erheblichen Teil der Beratungsleistung erbringen, und deshalb glaube ich, dass es gut ist, wie es im Augenblick geregelt ist.
Die durchschnittliche Höhe einer Berufsunfähigkeitsrente beträgt 1.000 Euro. Würden Sie sagen, das ist zu gering oder gehören Sie eher zum ‚Team Einsteiger-Preis’?
Die finanziellen Möglichkeiten der Menschen müssen berücksichtigt werden. Aber ich glaube, dass Versicherer Tarife bauen sollten, die einen flexiblen Ausbau der versicherten Rente bieten, auch ohne zusätzliche Gesundheitsprüfung. Bei Gehaltserhöhungen, Geburt eines Kindes oder Hausbau müssen Optionen da sein, die Rente anzupassen. Tausend Euro sind im Fall einer Berufsunfähigkeit wirklich nicht so viel. In der Beratung muss darauf geachtet werden, dass die abgesicherten Renten auch adäquat sind. Mir ist natürlich klar, dass dann die Prämien steigen, aber da muss ein vernünftiges Mittel gefunden werden. Aus meiner Sicht sind die Summen zu klein. Das gilt im Übrigen auch für die Risikolebensversicherung. Dort beträgt die durchschnittliche Versicherungssumme 120.000 Euro, inklusive aller Hypotheken und mit Familienschutz. Das ist viel zu niedrig. Wir raten grundsätzlich dazu, das Drei- bis Fünffache des Bruttoeinkommens abzusichern und zusätzlich die Hypotheken.