Ein Berufsunfähigkeitsversicherer kann bei einer leicht fahrlässigen Anzeigepflichtverletzung nicht einfach vom Vertrag zurücktreten und die Leistung verweigern. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken (OLG) hervor. Im Rechtsstreit wollte ein Versicherer eine Frau nicht auszahlen, die nach einem Autounfall Kopfschmerzen hatte - damit sollte sie ihren kompletten BU-Anspruch verlieren.
Ein aktuelles Urteil zeigt erneut, dass Versicherer nicht bei jeder fehlenden Angabe im Antrag eine Anzeigepflichtverletzung des Antragstellers annehmen und deshalb vom Vertrag zurücktreten können. Danach handelt ein Versicherungsnehmer nicht „grob fahrlässig“, wenn er folgenlos abgeheilte Kopfschmerzen über einen Zeitraum von ca. 2 Monaten nicht angibt, die nach einem Autounfall aufgetreten sind, obwohl im Antrag nach Kopfschmerzen mit einer „Häufigkeit von mehr als 2 x pro Monat“ gefragt wurde. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken in einem aktuellen Urteil vom 08.01.2024 zum Aktenzeichen 16 U 107/22 entschieden und den Rücktritt einer Berufsunfähigkeitsversicherung für unwirksam erklärt. Auf das Urteil macht aktuell Tobias Strübing von der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte aufmerksam.
Im verhandelten Rechtsstreit klagte eine Versicherungsnehmerin, nachdem ihr der Versicherer eine Berufsunfähigkeitsrente verweigert hatte und aufgrund einer grob fahrlässigen Anzeigepflichtverletzung vom Vertrag zurücktreten wollte. Der Versicherer hatte in den Gesundheitsfragen danach gefragt, ob im Zeitraum der letzten fünf Jahre „Kopfschmerzen (Schmerzdauer > 5 Stunden täglich, Häufigkeit > 2 x pro Monat) oder Migräne“ bestanden hätten. Diese Frage hatte die Frau im Versicherungsantrag mit „nein“ beantwortet.
Tatsächlich aber hatte sie in dem von der Berufsunfähigkeitsversicherung erfragten Zeitraum einen Unfall, in dessen Folge sie etwa zwei Monate lang unter Kopfschmerzen litt. Einige Jahre später wurde die Klägerin berufsunfähig und stellte einen Leistungsantrag bei der Versicherung. Diese erkannte die Leistung zwar an, erklärte aber unter anderem wegen der Kopfschmerzen nach dem Unfall den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Gegen diesen Rücktritt nun klagte die Frau.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken gab der Frau Recht, sodass der Versicherer vom Vertrag nicht zurücktreten darf und eine BU-Rente zahlen muss. Zunächst wurde auch darum gestritten, ob die Frau auch Rückenbeschwerden hätte angeben müssen, die nach dem Unfall aufgetreten waren. Nach Begutachtung der ärztlichen Unterlagen hoben die Richter jedoch vor, dass es sich hierbei nicht um Rückenbeschwerden handle, sondern um Nackenschmerzen infolge des Unfalls. Diese bedurften keiner weiteren Behandlung, heilten folgenlos aus und waren laut dem OLG als „Bagatelle“ nicht anzeigepflichtig.
Anders bei den Kopfschmerzen: Diese waren gefahrerheblich und hätten von der Versicherungsnehmerin grundsätzlich angezeigt werden müssen, wie Rechtsanwalt Strübing berichtet. Eine „grob fahrlässige Anzeigepflichtverletzung“ der Klägerin konnte das OLG jedoch nicht erkennen. Es führt aus, dass aufgrund der oben wiedergegebenen Frage nach Kopfschmerzen von mehr als 5 Stunden/Tag und einer Häufigkeit von mehr als 2 x im Monat durchaus der Eindruck entstehen konnte, dass nur chronisch wiederkehrende Kopfschmerzen gemeint seien. Soweit die Klägerin aufgrund dieses Verständnisses der Frage die Kopfschmerzen nicht angegeben hat, war das aus Sicht des OLG jedenfalls nicht grob fahrlässig.
Aber auch bei grob fahrlässigem Verschweigen der Kopfschmerzen wäre der Rücktritt in diesem Fall nach § 19 Abs. 4 VVG unwirksam gewesen, so das Oberlandesgericht. Nach dieser Klausel ist ein Rücktritt ausgeschlossen, wenn die Anzeigepflicht zwar grob fahrlässig verletzt wurde, der Versicherer den Versicherungsvertrag aber auch bei Kenntnis der verschwiegenen Kopfschmerzen geschlossen hätte. Dies sei hier gegeben: Der Versicherer hätte den Versicherungsvertrag auch bei Kenntnis der Kopfschmerzen mit Risikozuschlag abgeschlossen. Damit hätte sie auch bei grob fahrlässigem Verhalten der Klägerin nur ein Vertragsanpassungsrecht gehabt, aber kein Rücktrittsrecht. „Dieses Urteil zeigt einmal mehr, dass auch bei einem Rücktritt die Interessen von Versicherungsnehmern erfolgreich durchgesetzt werden können“, so Strübig, „Allerdings müssen dafür immer auch die Fragen im Versicherungsantrag genau geprüft werden.“