Die Europäische Union (EU) setzt mit verschiedenen Verordnungen auf eine neue Datenstrategie. Das wird die Wettbewerbsintensität für Versicherungsunternehmen steigern, meint Markus Zimmermann (Accenture). In seiner neuen Kolumne erklärt er, wie sich die Assekuranzen vorbereiten sollten.
Seit vielen Jahren hört man quer durch alle Industrien: „Daten sind das neue Gold". Die enorm wachsende Relevanz von generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) verstärkt diese Aussage noch zusätzlich, da jeder AI-Einsatz vom Umfang und der Qualität der dahinterliegenden Datenbasis abhängt. Bisher beschäftigten sich viele Versicherer primär mit der Frage, wie sie eigene Datenschätze aufbauen und Zugang zu den „eigenen“ Daten ermöglichen können. Dies ist in der Regel mit hohem Aufwand verbunden und war in vielen Fällen nur eingeschränkt erfolgreich, wie z.B. der Unfallmeldedienst in der Kfz-Versicherung gezeigt hat. Versicherer haben hier häufig das Nachsehen gegenüber Anbietern, die näher am Kunden bzw. den versicherten Objekten wie Auto oder Haus sind.
Ein neuer Impuls in diesem Kontext geht nun von der EU-Datenstrategie aus, deren Ziel es ist, datenbasierte Geschäftsmodelle in der EU zu fördern. Was ändert sich hierdurch für Versicherer, und welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?
EU-Datenstrategie – Einfluss von Data Act und FiDA
Die europäische Datenstrategie beinhaltet diverse Initiativen, wobei der Data Act und die Financial-Data-Access-Verordnung (FiDA-Verordnung) die höchste Relevanz für Versicherungsunternehmen haben. Im Data Act geht es darum, den Austausch von IoT-Daten aus vernetzten Geräten branchenübergreifend zu erleichtern und einen rechtlichen Rahmen für das Teilen dieser Daten zu etablieren. Die FIDA-Initiative hingegen zielt auf eine verbesserte Handhabung und Zugänglichkeit von Daten im Versicherungssektor ab. Der sichere und standardisierte Austausch von personenbezogenen und nicht-personenbezogenen Daten wie Vertragsdaten, Schadensinformationen, Risikoprofilen oder Kundenprofilen soll dadurch ermöglicht werden. Diese Daten, die entweder direkt von den Kunden bereitgestellt oder durch deren Interaktionen mit Finanzinstituten generiert werden, sollen in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden – sofern der Kunde dies wünscht. Dieser Ansatz ist vergleichbar mit der Zahlungsdiensterichtlinie Payment Services Directive2 (PSD2) im Bankbereich und soll datengetriebene Innovationen und „Open Insurance“ fördern.
Neue Chancen für Produkt-, Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen entstehen
Im Kontext des Data Acts rücken somit neue Möglichkeiten zur Innovation von Produkten und Geschäftsmodellen in Versicherung in den Vordergrund: Beispiele hierfür sind die effizientere (Daten-) Vernetzung mit Partnern zur Implementierung von Usage-Based Insurance (UBI) oder neue Services zur Konsolidierung und Interpretation von branchenspezifischen Rohdaten. Durch die FIDA-Verordnung wird die Datentransparenz erhöht und der Aufwand für Datenpflege signifikant reduziert. Dies ermöglicht beispielsweise Prozessinnovationen im Vertrieb durch eine noch gezieltere und personalisierte Kundenansprache. Besonders im Bereich Sparen und Vorsorge fördert dies neue Vertriebsansätze und Geschäftsmodelle – und zwar nicht nur für die Versicherer. So können beispielsweise Neo-Banken und Neo-Broker durch ihre hohe Kundeninteraktion in Verbindung mit einer vollständigen Vermögensübersicht aus Banking und Versicherung viel frequenter und maßgeschneiderter auf Kunden zugehen. Für klassische Versicherungsvertriebe wird die Beratungsqualität und persönliche Kundenansprache zu einem noch wichtigeren Unterscheidungsmerkmal gegenüber rein digitalen Anbietern werden. Anbieter, die diese Fähigkeiten mit umfassenden Data-Analytics-Kompetenzen verbinden, werden klar im Vorteil sein. Denn auf mittlere Sicht bleiben viele Versicherungsprodukte unverändert „Push“-Produkte, für die Kunden oft persönlich und mit vertrieblicher Überzeugung gewonnen werden.
Datenstrategien in Versicherung weiterentwickeln – die Ziele dahinter müssen klar sein
Die veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen erfordern deshalb eine neue Philosophie im Umgang mit Daten: Weg von der rein eigenständigen Datensuche und -sammlung, hin zur kontinuierlichen und strukturierten Anreicherung mit Daten von Partnern und Kunden. Dies erfordert eine neue Ausrichtung von Datenstrategie und datengetriebenen Initiativen, um endlich weg von Datensilos hin zu übergreifendem Datenmanagement und Data Analytics zu kommen.
Traditionell sammeln Versicherungsunternehmen benötigte Daten für die Entwicklung datengetriebener Innovationen direkt von ihren Kunden und kombinieren diese mit vorhandenen Kundendaten in neu erstellten Datensätzen. Daten über Fremdversicherungen befinden sich hingegen in den Datenbanken der lokalen Vermittler, insbesondere bei Versicherern mit eigenem Vertriebsnetz. Ebenso wurden für spezifische Daten, wie z.B. Telematik, meist spezielle Datenbanken eingerichtet, ohne dabei die Möglichkeit der Wiederverwendung innerhalb der gesamten Organisation zu berücksichtigen.
Um eine „Daten-Zersplitterung“ zu umgehen, sollten Versicherer in ihrer Datenstrategie klar definieren, welche fachlichen Datensätze sie aufbauen möchten und welche Ziele sie damit verfolgen. Künftige „Datenprodukte“ beinhalten somit ein klares Zielbild der Daten und ihrer Qualität für einen bestimmten Bereich. Für die Datenprodukte werden Verantwortliche definiert, die kontinuierlich diese Datensätze auf- und ausbauen sollen – mit Blick auf fachliche Ziele ebenso wie auf Analytics- und AI-Nutzung. Dies bedeutet eine langfristige Strategie, da viele Daten erst in Kombination mit anderen die Chance bieten, echten Mehrwert zu erzeugen. Wichtig ist ein Start mit einem klaren Zielbild, auch wenn in den ersten Schritten die Daten natürlicherweise noch nicht vollständig vorliegen.
Umfassendste Datennutzung als Erfolgsfaktor im Wettbewerb nutzen
Durch die Verordnungen der EU-Datenstrategie steigt die Transparenz und Wettbewerbsintensität für Versicherungsunternehmen aber es entstehen auch neue Wettbewerber. Versicherer sollten sich neben konkreten Überlegungen zu Produkt-, Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen insbesondere mit ihrer grundsätzlichen Datenstrategie beschäftigen. Hierbei müssen neben den Data & Analytics Teams vor allem die Fachbereiche einbezogen werden, um ein klares Zielbild der zukünftig benötigten Daten zu definieren. Im Wettbewerb der Zukunft werden diejenigen Versicherer gewinnen, die am effektivsten einen Datenschatz aus allen relevanten internen und externen Quellen sammeln und holistisch für alle Teile ihrer Wertschöpfungskette nutzen. Übrigens: Die neuen Regeln zur Datennutzung bieten auch für andere Player grundlegend neue Möglichkeiten im Versicherungskontext, so dass das Feld der Wettbewerber in den kommenden Jahren weiter wachsen dürfte.