Sprachmodelle wie GPT werden zum festen Bestandteil eines exzellenten Kundenservices werden und sind heute der Hebel, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Was das für die Versicherungsbranche bedeutet, erläutert Luise Hübbe, Psychologin und Chief Strategy Officer bei Experience One, im Gastbeitrag.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit jedem Einzelnen Ihrer Versicherten in den Dialog gehen und eine passgenaue Beratung bieten. Genau das ist mit generativer KI möglich. Large Language Models wie GPT „sprechen” unsere Sprache und beantworten Fragen, wie wir sie auch einem Berater stellen würden, in flüssiger Sprache. So macht die Technologie individuelle Beratung digital für alle Nutzer zugänglich, auch für solche, die vorher lieber zum Telefon gegriffen haben, um die Servicehotline anzurufen. Das bietet enormes Potenzial für den Kundenservice – vor allem in den komplexen und häufig erklärungsbedürftigen Bereichen der Versicherungsbranche.
Kundenservice: Deal-Maker oder Deal-Breaker
Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach schätzt die Generation der heute 30- bis 59-Jährigen sich selbst als finanziell schlecht für das Alter gerüstet ein. „Nur noch 30 Prozent der 30- bis 59-Jährigen bezeichnen die eigene Absicherung fürs Alter als ausreichend“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Diese Personen wissen selbst, dass ihr Verhalten eigentlich unzureichend ist – nur scheint die Barriere zu hoch, diesem Wissen Taten folgen zu lassen. Eine der größten Barrieren stellt dabei die Komplexität der Produkte dar und damit der Beratungsaufwand, um die für den eigenen Bedarf passende Lebensversicherung zu finden – oder überhaupt erst zu verstehen, dass sie dieses Produkt benötigen. Diese Barriere kostet Versicherungen jedes Jahr Millionen – und führt im schlechtesten Fall zu stark unterversicherten Kunden.
Unternehmen, die eine leicht zugängliche, individuelle Beratung bieten, können Kunden für sich gewinnen – der Rest wird perspektivisch Kunden verlieren. Deshalb ist es zwingend notwendig, am Puls der Zeit zu bleiben und relevante, technische Chancen zu nutzen. Und das bedeutet maßgeblich den Einsatz von generativer KI. Viele Unternehmen gehen bereits voran: Laut einer Gartner-Umfrage gaben knapp fünf Monate nach dem Launch von ChatGPT fast die Hälfte der Führungskräfte an, ihre Investitionen in KI erhöht zu haben. Dabei standen das Kundenerlebnis und die Kundenbindung klar im Fokus. Unternehmen, die sich heute nicht mit den Möglichkeiten dieser Technologie auseinandersetzen, werden also mittelfristig reale Wettbewerbsnachteile spüren. Auch für die Versicherungsbranche ist es höchste Zeit.
Win-win: Versicherer und Versicherte profitieren gleichermaßen
Generative KI-Assistenten bieten Versicherern die Möglichkeit, jederzeit ansprechbar zu sein und gezielte Informationen auf Nutzeranfragen zu geben – zu Stoßzeiten genauso wie mitten in der Nacht. Gefüttert mit Informationen zum Unternehmen und seinen Angeboten sowie anonymisierten Daten aus bisherigen Kundeninteraktionen, verfügen KI-basierte Assistenten über fundiertes Fachwissen und sind in der Lage, verständliche Erklärungen auf spezifische Fragestellungen zu geben. So kann eine KI, die mit den FAQ eines Versicherungsanbieters trainiert wird, bereits circa 80% der Anfragen abdecken, die regelmäßig an den Kundenservice gestellt werden.
Auf diese Weise wird eine personalisierte Beratung möglich, wo Unternehmen aufgrund fehlender Ressourcen zuvor keine bieten konnten. Dadurch steigert KI nicht nur die Produktivität und Effizienz auf Seiten der Versicherer, sondern bietet auch entscheidende Mehrwerte für die Nutzer. Beispielsweise in der Pflegeberatung: Wie beantrage ich Pflegegeld? Wie und wo erhalte ich die im Pflegegutachten bewilligten Leistungen? Was tun, wenn ich im Urlaub bin und kurzfristig eine Aushilfe benötige? Grundlegende und allgemeine Fragen können geduldig, zielgerichtet und in Echtzeit vom KI-Berater aufgefangen werden. Die Pflegenden erhalten sofort Unterstützung und werden zu den richtigen Formularen, Anträgen oder Ansprechpartnern weitergeleitet, ohne lange in Warteschleifen ausharren zu müssen. Währenddessen kann sich das Fachpersonal gezielt der individuellen Beratung bei kniffligen Problemstellungen und Einzelfällen widmen, die besondere Empathie und zwischenmenschliches Gespür erfordern.
Fazit: Wie starten Versicherer ins KI-Zeitalter?
Die letzten zwei Jahre haben gezeigt: Die neue KI-Generation erhöht die digitale Transformation um ein Vielfaches – und das in atemberaubendem Tempo. KI-basierte Assistenten versprechen nicht nur effizientere Abläufe innerhalb der Organisation, sondern bergen auch massive Potenziale für den Kundenservice. Die Basis bildet dabei ein Company-LLM, das für die eigenen Use Cases trainiert wird und gezielt auf relevante, unternehmenseigene Daten zurückgreift. Um zu starten, müssen Versicherer daher jetzt anfangen – Verständnis aufbauen, den Reifegrad der eigenen Organisation in puncto KI realistisch einschätzen und auf dieser Basis eine klare Roadmap für die eigene KI-Transformation entwickeln. Denn Fakt ist: Wer sich jetzt nicht mit generativer KI auseinandersetzt, wird bereits in den nächsten zwei Jahren hinter den Nutzererwartungen – und der Konkurrenz – zurückbleiben.