Bancassurance könnte Wachstumstreiber für Versicherer sein, meint Markus Zimmermann (Accenture). In seiner neuen Kolumne geht er darauf ein, welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen.
Der Anteil von Bancassurance am Vertriebswegemix der deutschen Versicherer ist seit Jahren mehr oder weniger unverändert. Hauptfokus im Verkauf von Versicherungen über Bankpartner sind Lebensversicherungsprodukte, während Sach- oder Krankenversicherungsprodukte in den meisten Kooperationen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das ist insofern erstaunlich, da Kund:innen kontinuierlich steigende Erwartungen an integrierte (digitale) Lösungen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten haben – so auch rund um Finanzen und Vorsorge.
Dabei hätten Bank und Versicherer gemeinsam optimale Voraussetzungen, ihre Kunden bestmöglich zu verstehen und dementsprechend passende Angebote im integrierten oder auch stand-alone Verkauf bereitzustellen. Diese Voraussetzungen haben sich in jüngster Zeit noch weiter verbessert, da der Einsatz von Daten und künstlicher Intelligenz (KI) neue Potenziale bietet. Banken und Versicherer können von diesen in einem neu definierten Bancassurance-Modell gemeinsam profitieren. Was braucht es also, um Bancassurance endlich zum Wachstumstreiber zu machen?
Ein gemeinsamer Datenschatz für umfassendes Kundenverständnis
Um eine der viel diskutierten Hürden hier gleich vorab zu nennen: Häufig wird mit Blick auf den gemeinsamen Datenschatz von Bank und Versicherer argumentiert, dass dieser Schatz aufgrund von regulatorischen Rahmenbedingungen leider nur sehr begrenzt nutzbar sei. Völlig richtig an diesem Argument ist, dass eine Vielzahl an Datenregulatorik und Compliance sorgfältig zu berücksichtigen ist, wenn man im Kontext von Bancassurance über Kundendatenanalyse und datengetriebene Ansprache- und Verkaufsmodelle nachdenkt. Richtig ist aber auch, dass innerhalb dieser regulatorischen Grenzen viel mehr möglich ist als heute in der Regel bei den meisten Bancassurance-Kooperationen stattfindet.
Im einfachsten Fall kann beispielweise der Versicherer die inhaltlich relevanten Kriterien und Parameter für die Kaufwahrscheinlichkeit einzelner Produkte dem Bankpartner zur Verfügung stellen. Dadurch kann die Datenanalyse und deren Folgeaktivitäten wie Lead Generierung und Kundenansprache vollständig auf Seiten der Bank stattfinden. In der intelligenten Nutzung von Daten aus der digitalen Beratungs- und Abschlusstrecke liegen zusätzliche Potenziale. Ebenso lassen sich auf Basis anonymisierter Daten die Kaufwahrscheinlichkeiten und Trigger innerhalb von relevanten Kundenclustern oder Segmenten treffgenauer bestimmen – auch hier wieder ohne Weitergabe und gemeinsame Nutzungen individueller Kundendaten durch das sogenannte „Matching“ auf Gruppenebene. Sofern Consent vorliegt, wird darüber hinaus die Nutzung von Transaktionsdaten und ein „Matching“ der Daten auch auf Personenebene möglich, was die eben skizzierten Möglichkeiten zusätzlich erweitert. Unbedingt zu erwähnen sind hier auch die Chancen aus aktuellen regulatorischen EU-Initiativen wie FiDA oder dem Data Act, die einen neuen Rahmen für das Teilen und gemeinsame Nutzen von Daten setzen.
Differenzierung und Personalisierung bei Journey, Ansprache und Angebot
Banken und Versicherer sprechen bereits seit längerem von der Möglichkeit, ihre Kund:innen individueller und gezielter anzusprechen. Der Reality Check zeigt leider oft ein anderes Bild: Die Ansprache erfolgt oftmals noch immer nach dem Gießkannenprinzip, was zu geringen Erfolgsraten führt. Niedrige Conversion Rates und unzufriedene Kund:innen führen somit zu der Notwendigkeit, Customer Journeys in Bancassurance neu zu denken und gezielter zu gestalten.
Eine konsequente Nutzung der oben skizzierten Datenquellen macht es möglich, die spezifischen Bedarfe, Lücken und Wünsche der Kunden besser zu verstehen und entsprechende Angebote zu entwickeln. Künstliche Intelligenz (KI) kann die Personalisierung weiter verbessern, automatisieren und in die Customer Journeys integrieren. Dies bietet die Chance, jeden Kundenkontaktpunkt ohne großen Aufwand individuell anzupassen und eine effizientere und zielgerichtetere Kundenansprache sicherzustellen – egal ob in digitalen Kanälen oder in der Filiale. Dass bestimmte Lebensereignisse oder veränderte Bedarfssituationen ein guter Vertriebsanlass sind, ist an sich keine neue Erkenntnis; die Fähigkeiten von AI begrenzen sich aber inzwischen nicht mehr nur auf das reine Erkennen solcher Situationen. Es geht vielmehr darum, dass Data und generative KI genutzt werden, um passende Inhalte für die Kunden zu erstellen, Berater im persönlichen Vertrieb durch angereicherte Informationen zu unterstützen oder auch Angebote und Vertragsdokumente voll automatisiert zu erstellen. Dadurch heben Banken und Versicherungen die Personalisierung ihrer Angebote und die Kundenansprache auf ein neues Niveau. Zudem ermöglicht eine datengetriebene intelligente Automatisierung die nachhaltig profitable Gestaltung eins Bancassurance-Modells.
Maximale Servicequalität bei maximaler Effizienz
Egal, ob Kunden- oder Vertriebpartnerservice – erfolgreiche Bancassurance braucht exzellente Servicequalität. Und die Anforderungen an Service Exzellenz sind in den vergangenen Jahren nochmals deutlich gestiegen. So erwarten Banken für ihre digitalen Kunden häufig bereits 24/7 Kundenservice und Vertriebssupport in Realtime; Bancassurance-Kunden fühlen sich ebenso nicht mehr an Filialöffnungszeiten gebunden und erwarten mindestens digital durchgehenden Kundensupport.
Der Einsatz von Data Analytics und KI bringt hier zwei wesentliche Veränderungstreiber für Bancassurance-Services: Zum einen ist es möglich, Kundeninteraktion und Servicierung häufig bereits stark personalisiert bereit zu stellen, beispielsweise durch Integration aller Kundentouchpoints entlang der Journeys in einem Omnikanal-Servicemodell. Zum anderen führt die Erhöhung von Servicelevels und Erreichbarkeitszeiten nicht mehr zu steigenden Kosten, da Kundenservice, Vertriebssupport und Operations in Versicherung immer mehr auf KI-getriebene Automatierung und KI-gestützte Kundeninteraktion zurückgreifen können. Beispiele hierfür sind KI-gestützte 24/7-Chatbots, KI-Assistenten für Kundenberater oder den Vertriebssupport sowie KI-automatisierte Prozesse bei Kundenansprache, Angebotserstellung oder Policierung. Gerade für Bankberater der Filiale und Online-Kunden der Bank kann dadurch eine exzellente Serviceunterstützung zu geringeren Kosten gewährleistet werden.
Enormes Potential für datengetriebene Bancassurance-Modelle
Jede Art von Partnerschaftsmodell kann nur dann dauerhaft erfolgreich funktionieren, wenn beide Parteien ein gemeinsames Verständnis von den Zielen und Erfolgstreibern der Zusammenarbeit haben. Für Bancassurance-Partnerschaften bedeutet das, dass sich Bank und Versicherer nicht als rein transaktionale Vertriebskooperation verstehen, sondern gemeinsam eine Ambition definieren und gemeinsam umsetzen. Dies beginnt mit einer gemeinsamen Vision und einem Verständnis über den Wert von Daten und KI in einer Bancassurance-Kooperation. Dann braucht es eine gemeinsam definierte Roadmap über die Einsatzfelder und notwendigen Fähigkeiten – von personalisierten Verkaufsstories über Leadgenerierung und individualisierten Angeboten bis hin zu KI-getriebenen Operations und Data Analytics-Fähigkeiten.
Für die laufende Zusammenarbeit von Versicherer und Bank muss es darüber hinaus ein klares Rollenverständnis geben: Welche Aktivitäten sind gemeinsam oder von jeweils einer der Parteien zu leisten – und welche regulatorischen Anforderungen sind bei Datenaustausch und Analyse relevant? Wer sich als Bank und Versicherer gemeinsam bewusst auf diesen Modernisierungspfad einlässt, wird am Bancassurance-Markt sicher zu den Gewinnern der kommenden Jahre zählen.