Der Run-Off-Deal zwischen Viridium und Zurich platzte zwar, aber eine Absage der Aufsicht an Run-Off-Modelle will Dr. Tilo Dresig, Vorstandsvorsitzender der Viridium-Gruppe, nicht in der Entscheidung der BaFin sehen. Im Gegenteil: Im Exklusiv-Interview verrät der Top-Manager, warum er weiter an das Geschäftsmodell glaubt und dass bereits die nächsten Übernahme-Gespräche laufen.
Versicherungsbote: Herr Dresig, Sie betonen das erhebliche Wachstumspotential für den externen Run-Off. Welche konkreten Schritte planen Sie, um dieses Potential in den kommenden Jahren zu realisieren?
Dr. Tilo Dresig: Das externe Bestandsmanagement hat in der Tat sehr viel Potenzial. Die Transaktionen der letzten Jahre waren erst der Anfang. Viridium ist inzwischen eine der fünf größten Lebensversicherungsgruppen in Deutschland. In diesem Jahr feiern wir zehnjähriges Jubiläum. Das externe Bestandsmanagement schafft Mehrwert für Kunden, die Erstversicherer und Viridium. Das ist die Basis für weiteres Wachstum unseres Geschäftsmodells. Und: Wir blicken schon jetzt auf die nächsten Akquisitionen und investieren weiter in unsere Plattform.
Die Konsolidierung in der Lebensversicherungsbranche sehen Sie als unausweichlich. Welche Hauptgründe sprechen Ihrer Meinung nach für diese Konsolidierung und wie wird Viridium hierbei eine zentrale Rolle spielen?
Derzeit gibt es mehr als 80 Lebensversicherer in Deutschland. Nur die fünf größten Gruppen haben jeweils überhaupt einen Marktanteil von mehr als fünf Prozent. Damit ist die deutsche Lebensversicherung ungewöhnlich stark fragmentiert. Sie können sich vorstellen, welcher Kostenaufwand entsteht und wie viele Spezialisten benötigt werden, um 80 Lebensversicherer dauerhaft finanziell und operativ stabil zu halten. Diese Komplexität und Kostenbelastung gehen zulasten der Kunden. Eine Konsolidierung ist daher ganz klar im Interesse der Kunden. Nur so können wir als Sektor die strukturellen Herausforderungen adressieren und die bestehenden Lebensversicherungen für die Kunden attraktiver machen. Als Marktführer im Bereich Bestandsmanagement werden wir die zu erwartende Konsolidierung mit unserer starken und zukunftsfähigen Plattform entscheidend mitgestalten.
Könnten Sie uns einen Einblick in die strategische Ausrichtung von Viridium geben? Wie unterscheidet sich Ihre Unternehmensstrategie von der Ihrer Wettbewerber?
Wir haben bei Viridium drei strukturelle Wettbewerbsvorteile: Fokus, Skalierung und Kompetenz. Wir konzentrieren uns ausschließlich auf ein Produkt: Die Lebensversicherung. Und wir machen kein Neugeschäft. Unsere Aufmerksamkeit gilt allein Verbesserungen für bereits bestehende Kunden. Wir nutzen erhebliche Skalierungsvorteile durch unsere einheitliche, vollständig modernisierte Plattform. Und wir haben ein hochspezialisiertes Team, das aufgrund wiederholter Modernisierungsprojekte ein einzigartige Lernkurve nutzen kann.
Die Fokussierung auf ein Produkt und den Verzicht auf Neugeschäft sehen Sie als Wettbewerbsvorteil an. Welche Herausforderungen, Chancen und Risiken sehen Sie in dieser Ausrichtung?
Viridium ist mit aktuell 3,4 Millionen verwalteten Verträgen und 67 Milliarden Euro Kapitalanlagen (Stand Ende 2023) eine der größten Lebensversicherungsgruppen in Deutschland. Durch die Konzentration auf ein Produkt können wir uns vollständig auf bereits bestehende Kunden fokussieren. Das ist eine große Stärke, die es uns erlaubt, sehr fokussiert und effektiv zu arbeiten.
Kein Neugeschäft zu machen, ist nicht wirklich ein Risiko. Der Bestand schrumpft jedes Jahr nur circa zwei bis drei Prozent, und das von einer sehr hohen Basis. Die durchschnittliche Laufzeit der Verträge ist sehr lang. Daher würde Viridium auch ohne Akquisitionen und ohne Neugeschäft selbst in 30 Jahren noch zirka halb so groß sein wie heute, und damit immer noch eine der größten deutschen Lebensversicherungsgruppen bleiben.
Die IT-Systeme vieler Lebensversicherer sind veraltet. Welche Investitionen hat Viridium konkret in die Modernisierung dieser Systeme getätigt und wie bewerten Sie den Erfolg dieser Maßnahmen?
Bei der Proxalto haben wir eine der umfangreichsten und komplexesten IT-Modernisierungen in Deutschland realisiert. Was heißt das konkret? Wir haben allein bei der letzten IT-Migration von Proxalto, der ehemaligen Generali Leben, etwa 900 Tarife und 2,2 Millionen Verträge auf eine neue IT-Plattform überführt. Das stellt eine enorme operative und finanzielle Anstrengung dar. Für die Umsetzung eines solch ambitionierten Projekts sind eine moderne Plattform, qualifizierte Fachkräfte und ausreichende Mittel unerlässlich. Die Generali-Übernahme war bereits unsere vierte Akquisition. Als Ergebnis aller finanziellen und operativen Modernisierungsmaßnahmen, bei denen die IT-Migration nur ein einzelner Bestandteil ist, haben wir seit der Übernahme der Proxalto vor fünf Jahren zirka eine Milliarde Euro mehr den Rückstellungen (RfB) zugeführt, als dies vorher der Fall war. Um es ganz deutlich zu sagen: Das ist eine Milliarde Euro mehr für die Kunden in fünf Jahren. Dieser Betrag kommt den Kunden zusätzlich zu der Garantieleistung zugute und entsprechend haben wir die laufende Verzinsung von 1,25% auf 2,35% angehoben.
Die IT-Modernisierung hat 250 Millionen Euro gekostet, mehr als geplant. Welche Lektionen haben Sie aus dieser Kostenerhöhung gezogen und wie planen Sie, zukünftige IT-Investitionen effizienter zu gestalten?
Wir haben in unseren vergangenen Bestandsübertragungen viele Erfahrungen gesammelt, insofern profitiert Viridium von einer in der deutschen Lebensversicherung einzigartigen Lernkurve. Und wir investieren aktuell weiter signifikante Mittel in technische und prozessuale Verbesserungen, um zukünftige IT- Migrationen noch besser, schneller und effektiver zu machen.
Zuletzt wurde die gescheiterte Akquisition eines Bestands der Zurich Gruppe bekannt. Wie beurteilen Sie das Scheitern dieses prominenten Deals?
Im Januar hat uns die BaFin darüber informiert, dass Viridium vor dem Hintergrund unserer aktuellen Eigentümerstruktur das Portfolio der Zurich nicht übernehmen kann. Das war natürlich sehr enttäuschend. Wir bedauern dieses Ergebnis weiterhin sehr. Denn die geplante Akquisition hätte aus unserer Sicht klare Vorteile für die Kunden geboten. Aber: Die Gründe lagen außerhalb der Einflusssphäre von Viridium. Damit ist diese Entscheidung der BaFin weder eine Absage an Run-Off im Allgemeinen noch eine Absage an weitere zukünftige Transaktionen von Viridium. Wir werden unsere Strategie weiterverfolgen und perspektivisch wieder Wachstumschancen wahrnehmen.
Rückblickend auf die letzten Bestandsübernahmen, welche unerwarteten Schwierigkeiten traten auf und wie haben diese die Integration des Portfolios beeinflusst?
Zu Beginn durchleuchten wir die Bestände gründlich. Die Komplexität, alte Vertragsbestände in zeitgemäße IT-Umgebungen zu integrieren, ist eine branchenweite Herausforderung. Insofern ist dies immer die größte Aufgabe. Dabei bietet allerdings unsere einheitliche, moderne IT-Plattform einen klaren Wettbewerbsvorteil. Der Aufbau unserer umfassenden finanziellen und operativen Plattform erforderte beträchtliche Investitionen, sowohl finanziell als auch personell. Diese Investitionen haben sich ausgezahlt. Aus vergangenen Projekten gewonnene Erfahrungen ermöglichen es uns, unsere Plattform kontinuierlich zu verbessern.
Wie sehen Sie die Zukunft der Versicherungsbranche in den nächsten 5 Jahren?
Ich bin fest davon überzeugt: Die Lebensversicherung ist und bleibt eine entscheidende Säule der privaten Altersvorsorge. Damit die bestehenden Lebensversicherungen für die Kunden attraktiv sind und bleiben, führt an einer weiteren Konsolidierung kein Weg vorbei. Diese ist im Interesse der Kunden. Externe Bestandsmanager werden hier eine zentrale Rolle spielen. Als Marktführer für Bestandsmanagement werden wir diese Konsolidierung mit unserer starken und zukunftsfähigen Plattform entscheidend mitgestalten.
Abschließend, welche Erwartungen haben Sie für das Geschäftsjahr 2024 und welche Hauptziele hat sich Viridium für die nächsten fünf Jahre gesetzt?
Wir arbeiten bei Viridium aktuell an drei zukunftsgerichteten Prioritäten. Erstens, wir verbessern kontinuierlich unsere existierende Plattform und investieren in zukünftige Transaktionen, indem wir zum Beispiel die Migrationsverfahren weiterentwickeln. Zweitens, unsere Anteilseigner prüfen die strategischen Optionen für unsere zukünftige Eigentümerstruktur. Wir als Managementteam unterstützen diesen Prozess. Drittens, wir werden unseren Wachstumskurs fortsetzen und perspektivisch weitere Bestände übernehmen. Das heißt, wir blicken schon jetzt auf die nächsten Akquisitionen. Wir führen dazu auch schon Gespräche.