Hätte man sich die Aktienrente sparen können?

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Niedrigzinsen und EZB-Ankaufprogramme kosteten deutsche Lebensversicherer seit 2015 mindestens 135 Milliarden Euro. Geld, das der Altersvorsorge verloren ging. Soll die schuldenfinanzierte Aktienrente dieses Volumen ersetzen? Diese Frage wirft Dr. Arne Hansen (Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg) in seinem Gastbeitrag auf und fordert zudem eine detailliertere Verhältnismäßigkeitsprüfung für EZB-Anleihekäufe.

Der Ende Mai vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf zum ‚Rentenpaket II‘ beinhaltet die Einführung eines neuen Aktien-Staatsfonds, dessen erhoffte Erträge von jährlich 10 Milliarden Euro ab 2036 den Beitragsanstieg in der Rentenversicherung möglichst dämpfen sollen. Zur Finanzierung dieses sogenannten ‚Generationenkapitals‘ soll bis 2035 ein Kapitalstock von 200 Milliarden Euro aufgebaut werden – durch zusätzliche Schuldenaufnahme des Staates. Angesichts dieses Volumens erhofft man sich einen großen Schritt voran für die Sicherheit der Altersvorsorge.

Ist das aber vollumfänglich der Fall, oder holt man auf diese schuldenfinanzierte Weise lediglich anderweitig eingebüßtes Vorsorgevolumen nach? Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bietet sich hierzu ein Blick über den Tellerrand der gesetzlichen Rente hinaus an, dorthin wo eine kapitalgedeckte Form der Altersvorsorge bisher schon stattfindet. Am konkreten Beispiel der deutschen Lebensversicherungsbranche zeigt eine aktuelle Studie unseres Instituts, dass die Lebensversicherer besonders ab 2015 eine erhebliche Minderung der Zinseinnahmen auf ihre Kapitalanlagen zu verkraften hatten. Alleine infolge der Wertpapierankäufe durch die EZB im Umfang von zeitweise über 5 Billionen Euro – darunter vorwiegend Staatsanleihen – dürften die seither getätigten Kapitalanlagen der Versicherer Zinsmindereinnahmen von mindestens 135 Milliarden Euro einfahren. Hierbei sind Zinseszinseffekte sowie die ebenfalls geminderten Zinserträge in der betrieblichen Altersvorsorge noch gar nicht berücksichtigt.

‚Kollateralschaden‘ Zinsmindereinnahmen

Die Zinsmindereinnahmen fielen dabei als eine Art ‚Kollateralschaden‘ der Anleihekäufe an, mit denen die Notenbank eine anhaltende Senkung der langfristigen Kapitalmarktzinsen herbeiführte. So lag der Kompressionseffekt auf den Anleihezins während der Corona-Krise regelmäßig deutlich über einem Prozentpunkt. In der Spitze verursachten die EZB-Ankäufe zum Jahresende 2020 sogar eine Zins-Kompression zehnjähriger Staatsanleihen von rund 1,8 Prozentpunkten. Hinzu kamen die Effekte weiterer EZB-Sondermaßnahmen, wie die vorzeitige Ankündigung zukünftiger geldpolitischer Absichten und ein negativer Zins auf die Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB, was ebenfalls dämpfend auf das Marktzinsniveau wirkte. Insgesamt dürfte diese Zins-Kompression der EZB auch die Beiträge für neu abgeschlossene Kapitallebensversicherungen erhöht haben, denn die zugesagten Leistungen müssen von den Anbietern zunächst erwirtschaftet werden. Exemplarisch stiegen die Beiträge für einen 30-jährigen Neukunden mit aufgeschobener Leibrentenversicherung bei Rentenbeginn im Alter von 67 Jahren um deutlich mehr als ein Drittel. All dies wird die private Altersvorsorge kaum gestärkt haben.

Da außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen wie das PSPP-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen negative Auswirkungen für viele Wirtschaftsbereiche haben können, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem PSPP-Urteil vom Mai 2020 eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen vorgeschrieben. Die daraufhin öffentlich zugänglich gemachte EZB-Prüfung auf Verhältnismäßigkeit erkannte das erzeugte Niedrigzinsniveau zwar ganz allgemein als problematisch für den Versicherungssektor an, ohne allerdings die Folgen näher zu beziffern. Insgesamt hätten laut EZB jedenfalls die gesamtwirtschaftlich positiven Auswirkungen dominiert, was aber nicht immer so bleiben müsse. Dieser mahnende Ausblick bekommt inzwischen eine besondere Relevanz, da die EZB im März dieses Jahres ankündigte, ihre einst als rein temporär deklarierten Wertpapierankäufe zukünftig in Form eines strukturellen Wertpapierportfolios mit dauerhaften, zinssenkend wirkenden Anleiheankäufen zu etablieren. Auch sei an das laufende Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP erinnert, dem die EZB sogar eine größere Zinsauswirkung im Vergleich zum PSPP-Programm bescheinigte.

Zwar sollte eine in die Zukunft gerichtete Planung gerade in der Altersvorsorge Priorität gegenüber der Vergangenheitsbewältigung genießen, jedoch verspricht ein gelegentlicher Blick in den Rückspiegel durchaus lehrreiche Erkenntnisse. So könnte dieser etwa Hinweise liefern, ob die risikobehaftete und schuldenfinanzierte Aktienrente in Wirklichkeit eher einem Aufholen von verlorenen privaten Altersvorsorgevermögen infolge einer Quasi-Zinsbesteuerung durch die EZB gleichkommt. Hier könnte es sich lohnen, die von den Verfassungsrichtern anlässlich der PSPP-Ankäufe vorgeschriebene Kosten-Nutzen-Analyse zukünftig etwas detaillierter vorzunehmen. Auch um zu vermeiden, dass die Zauberformel „whatever it takes“ vom ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi (2012) irgendwann zu einem „whatever it breaks“ mutiert.

Über den Autor:
Arne Hansen lehrt und forscht am Institut für Volkswirtschaftslehre der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Seine Forschungsarbeit konzentriert sich unter anderem auf die Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank und die Auswirkungen des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes. Besonders im Fokus steht dabei der Versicherungssektor, was auf seine Tätigkeit als Referent im Schwerpunkt-Team Versicherungen des „Marktwächters Finanzen“ der Verbraucherzentrale Hamburg von 2015 bis 2019 zurückgeht.