Pflegeversicherung - Was ein Deckel für den Eigenanteil kosten würde

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Die Eigenanteile für Pflegeheimbewohner explodieren, Forderungen nach einer Pflegereform werden laut. Doch was würde es kosten, wenn der Eigenanteil zur Pflege, wie von einigen gefordert, tatsächlich gedeckelt wird? Das hat das Wissenschaftliche Institut der PKV ausgerechnet: und warnt vor zusätzlichen Milliardenbelastungen.

Werden Menschen in einem Pflegeheim betreut, müssen sie immer höhere Eigenanteile zahlen: Aktuell liegen sie laut einer bislang unveröffentlichten Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) bei 2.339 Euro im Monat. Bis 2029 könnten sie auf 3.142 Euro steigen. Für viele bedeutet das die Vernichtung ihres Vermögens: Bereits heute ist mehr als jeder dritte Pflegeheimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen.

Forderungen nach Reformen werden laut. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) schlägt vier Reformschritte vor, um die Kostenexplosion im Sinne der Pflegebedürftigen zu begrenzen:

  • Deckelung des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils (EEE): Der Eigenanteil für die reinen Pflegekosten soll gesetzlich begrenzt werden.
  • Erhöhung der Steuermittel für die Pflege: Mehr staatliche Mittel sollen in die Pflege fließen.
  • Übernahme der Investitionskosten in den Heimen durch die Bundesländer: Diese Kosten werden derzeit von den Pflegeheimbewohnern über die Eigenanteile getragen.
  • Beteiligung der privaten Krankenversicherer am Solidarausgleich: Die privaten Krankenversicherer sollen sich am Solidarausgleich in der Pflege beteiligen: jenem Instrument, das die finanziellen Lasten von Krankenversicherern mit vielen und wenigen Pflegebedürftigen solidarischer verteilt.

Milliarden-Mehrbelastungen durch Deckel für Pflegeanteil

Diese Forderungen rufen wiederum das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) auf den Plan. Private Versicherer müssten ebenfalls mit Mehrkosten rechnen, wenn sie am Solidarausgleich beteiligt würden. Die vorgeschlagenen Reformen können folglich nicht im Interesse der privaten Anbieter sein. Hier sei daran erinnert, dass die privaten Versicherer auch indirekt von Steuern profitieren: Mehr als jeder zweite privat Krankenversicherte hat einen Beihilfeanspruch, sodass der Staat einen Teil der Gesundheitskosten übernimmt. Allein der Bund muss laut einer Studie der Uni Freiberg Beihilfen von über vier Milliarden Euro schultern: Länder und Kommunen, die mehr Beihilfeberechtigte beschäftigen, haben noch höhere Kosten. Die Beihilfekosten steigen ebenfalls seit Jahren massiv an.

Das WIP hat nun anhand mehrerer Szenarien errechnet, was es kosten würde, wenn die pflegebedingten Eigenanteile gedeckelt würden. Und warnt vor erheblichen Mehrbelastungen. Dafür rechnet das Institut drei Szenarien durch, wobei sich bei einem günstigen Szenario die Eigenanteile um 2,5 Prozent pro Jahr verteuern, in einem mittleren Szenario um 5,7 Prozent und in einem ungünstigen Szenario um 16 Prozent pro Jahr. Sind das nicht recht hohe Kostensprünge? Hier argumentiert das WIP, dass der einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE) in den letzten 20 Jahren um durchschnittlich 5,7 Prozent pro Jahr gestiegen sei, von 2018 bis 2024 um besagte 16 Prozent. Allerdings lagen in dem letztgenannten Zeitfenster auch mehrere Reformen, die zu Mehrausgaben in der Pflegeversicherung beitrugen, sowie die Kosten der Coronapandemie.

Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Kostendeckel nur einen Teil des zu zahlenden Eigenanteils in Pflegeheimen abdeckt. Der Eigenanteil in Pflegeheimen setzt sich konkret aus drei Teilen zusammen: Der einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE), der von den Pflegeheimen und den Krankenkassen ausgehandelt wird, betrifft die reinen Pflegekosten. Zusätzlich fallen Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie für Investitionen am Pflegeheim an. Der Kostendeckel bezieht sich ausschließlich auf die Pflegekosten. Laut Angaben des Verbands der Ersatzkassen (vdek) liegen diese derzeit bei durchschnittlich 1.678 Euro pro Monat. Die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionen summieren sich auf weitere 1.400 Euro und sollen nicht gedeckelt werden. Zu beachten ist, dass es zwischen einzelnen Bundesländern und Regionen große Unterschiede bei den Pflegeheimkosten gibt.

Mehrkosten von bis zu 126,9 Milliarden Euro in fünf Jahren?

Das WIP nimmt nun an, dass der Pflegeanteil bei 700 Euro oder 1.000 Euro monatlich gedeckelt werden soll. Und kommt zu teilweise enorm hohen Summen, die ein Pflegedeckel verschlingen würde. Eine Obergrenze bei den pflegebedingten Eigenanteilen von 700 Euro pro Monat hätte schon im ersten Jahr 2024 zu zusätzlichen Kosten von 8,1 Milliarden Euro geführt, führt der PKV-Verband aus. Im ungünstigen Szenario, bei denen der Eigenanteil jährlich um 16 Prozent steigt, seien in den Jahren 2024 bis 2030 rund 126,9 Milliarden Euro Mehrkosten zu erwarten, im günstigen Szenario mit 2,5 Prozent Teuerung noch 68,4 Milliarden Euro. Eine Obergrenze bei Pflegekosten sei „finanziell nicht tragbar“, schlussfolgert der Verband.

Im Pressetext nimmt der Verband ein mittleres Kostenszenario als Grundlage: In dieser Modellrechnung wird der Eigenanteil zur Pflege bei 700 Euro pro Monat gedeckelt und die Leistungsausgaben verteuern sich um 5,7 Prozent pro Jahr. Das hätte schon im ersten Jahr 2024 zu zusätzlichen Kosten von 8,1 Milliarden Euro geführt, zeigt die Kostenschätzung des WIP. Getrieben durch den demografischen Wandel würden die jährlichen Kosten dann auf 15,2 Milliarden Euro im Jahr 2030 steigen (siehe Grafik).

Quelle: PKV-Verband

"Die Zahlen machen einmal mehr deutlich: In Zeiten von Haushaltslöchern und rasant steigenden Sozialabgaben gibt es keinen Spielraum für zusätzliche Leistungen in der Gesetzlichen Pflegeversicherung“, erklärt PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. „Obergrenzen für die Eigenanteile sind Sozialpolitik mit der Gießkanne – weder zielführend noch bezahlbar".

Heutige Entlastung der Eigenbeiträge wird mehrheitlich von gesetzlich Versicherten gestemmt

Was der PKV-Verband im Pressetext nicht erwähnt: Schon die heutige Entlastung der Eigenanteile durch Zuschläge kostet Milliarden. Die Pflegeversicherung könnte Kosten sparen, wenn die gestaffelten Zuschläge nach Aufenthaltsdauer im Heim entfallen. Auf lange Sicht, bis etwa 2030, drohen diese Kosten erheblich zu steigen. Schätzungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und anderer Fachorganisationen gehen davon aus, dass die jährlichen Ausgaben möglicherweise 3 bis 4 Milliarden Euro erreichen könnten. Doch diese Zuschüsse werden aus den Beiträgen der gesetzlich Versicherten finanziert: Die privaten Krankenversicherer wären fein raus, wenn der Status Quo erhalten bliebe.

Die gesetzlichen Versicherer haben wiederholt eine gerechtere Verteilung der Pflegekosten gefordert. Der Verband der Ersatzkassen verlangt, dass sich die privaten Pflegeversicherer am Solidarausgleich beteiligen. Laut dem „Pflegereport 2019“ liegen die Pflegekosten bei privaten Versicherern pro Versicherten um 250 Prozent niedriger als bei den gesetzlichen.

Die niedrigeren Pflegekosten resultieren nicht nur aus einer effizienteren Verwaltung. Private Anbieter dürfen Cherry-Picking betreiben, indem sie Antragsteller mit hohem Gesundheitsrisiko oder chronischen Krankheiten ablehnen oder mit höheren Beiträgen belasten. Zudem haben private Versicherer eine höhere Anzahl männlicher Versicherter, da Frauen seltener privat versichert sind. Frauen haben aber eine längere Lebenserwartung und somit ein höheres Pflegebedürfnis. In der gesetzlichen Pflegeversicherung sind daher mehr ältere Menschen versichert: Bei den über 80-Jährigen, die am stärksten pflegebedürftig sind, liegt der Anteil der gesetzlich Versicherten bei 6,4 Prozent – fast doppelt so hoch wie bei den privaten Versicherern.

Forderung nach mehr Privatvorsorge

Der Verband der privaten Krankenversicherer fordert stattdessen, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr privat vorsorgen. „Zur Stabilität der Sozialsysteme braucht es jetzt dringend mehr Eigenverantwortung und private Vorsorge. Fast 70 Prozent der Rentnerhaushalte können sich aus ihrem Einkommen und Vermögen einen Platz im Pflegeheim für mehrere Jahre leisten. Für alle anderen garantiert die Sozialhilfe gezielte Unterstützung nach Bedürftigkeit“, sagt Verbandsdirektor Reuter. Ein Vorteil: Anders als in der gesetzlichen Pflegeversicherung wird dann auch ein Kapitalpolster angespart, um jüngere Generationen zu entlasten.

Ob eine verstärkte private Vorsorge allein ausreicht, um das Problem der stark steigenden Eigenbeiträge zu lösen, ist fraglich. Sollte der Eigenbeitrag bis 2029 tatsächlich auf 3.142 Euro monatlich steigen, wie vom AOK-Institut prognostiziert, müssten Pflegebedürftige auch bei typischen Privatrenten einer Pflegezusatzversicherung von 1.000 bis 1.200 Euro noch erhebliche zusätzliche Beträge aus ihren Alterseinkünften und Ersparnissen aufbringen. Es bliebe eine große Lücke. Denkbar wären auch Reformen, die sowohl eine verstärkte Eigenvorsorge fördern als auch private Pflegeversicherer stärker in die Verantwortung nehmen.