Jens Baas, Vorstandschef der größten deutschen Krankenversicherung, der Techniker Krankenkasse (TK), warnt vor stark steigenden Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung. In einem Interview sagt Baas, dass die Menschen bis 2030 möglicherweise ein Viertel ihres Einkommens für Krankenversicherungsbeiträge ausgeben müssen. „Ich frage mich schon heute, warum es keinen großen Aufschrei gibt“, so der Manager.
Jens Baas ist Vorstandschef der Techniker Krankenkasse - mit 11,7 Millionen Versicherten Deutschlands größte Krankenversicherung. In einem Interview mit der „Welt“, das am Freitag veröffentlicht wurde, betont der 57-Jährige, dass die Zusatzbeiträge bei den gesetzlichen Krankenkassen in den kommenden Jahren drastisch steigen könnten, wenn nicht einschneidende Reformen umgesetzt werden. „Ich gehe davon aus, dass wir Anfang 2025 eine Erhöhung der Beitragssätze um 0,5 bis 0,6 Prozentpunkte sehen werden, vielleicht sogar mehr“, prognostiziert Baas und mahnt, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dringend die Ausgaben in den Griff bekommen müsse.
Baas zeigt sich verwundert über die fehlende Reaktion der Öffentlichkeit auf die steigenden Beiträge zur Kranken- und Sozialversicherung. „Ich frage mich schon heute, warum es keinen großen Aufschrei gibt“, sagt er. “Meine Antwort: Die Politik hat großes Glück, dass der Beitrag einfach vom Lohn abgezogen wird. Die meisten Menschen verfolgen nicht im Detail, was sie dafür zahlen. Wenn Löhne und Beiträge steigen, sehen sie nur, dass die Endsumme etwas höher ist, und glauben, alles sei in Ordnung“, erklärt Baas. Wäre es notwendig, die Beiträge selbst zu überweisen, wäre der Widerstand seiner Meinung nach deutlich größer. „Die Politik versteckt sich hinter diesem System und hat keine Angst vor Beitragserhöhungen. Auch das Versprechen, dass die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt 40 Prozent nicht übersteigen sollen, ist sang- und klanglos gefallen.“
Baas macht die Gesundheitsreformen des früheren Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) für die gestiegenen Kosten mitverantwortlich. „Seine Gesetze waren insgesamt deutlich teurer, als sie nützlich waren. Da waren auch Geschenke dabei, über die sich bestimmte Lobbygruppen sicherlich gefreut haben“, kritisiert der Krankenkassen-Chef. Er fordert, die Kosten-Nutzen-Bilanz dieser Reformen aufzuarbeiten, anstatt sich nur auf einmalige Ereignisse wie den Maskeneinkauf in der Pandemie zu konzentrieren. Welche Gesetze er konkret meint, lässt Baas offen. Unter anderem verpflichtete Spahn Ärzte dazu, zusätzliche Sprechstunden für Kassenpatienten anzubieten - gegen höheres Honorar. Auch Apotheken bekommen bestimmte Dienstleistungen mit dem Apothekenstärkungsgesetz besser und zusätzlich bezahlt.
"Das größte Problem ist, dass sich diese Entwicklung in absehbarer Zukunft nicht ändern wird. Es stehen weitere teure Gesetze an, und ohne Gegenmaßnahmen werden die Kosten ungebremst steigen“, warnt der TK-Chef. „So würde es jedes Jahr zu Beitragserhöhungen kommen. Bis 2030 könnte der durchschnittliche Beitragssatz dann bei 20 Prozent liegen. Ich frage mich: Wie soll das weitergehen? Sollen die Menschen irgendwann ein Viertel ihres Einkommens für die Krankenversicherung ausgeben müssen?"
Die TK ist eine derjenigen Krankenkassen, die ihren Zusatzbeitrag entgegen dem Branchentrend zum Jahreswechsel 2023/2024 stabil halten konnten. Der Zusatzbeitragssatz der TK beträgt aktuell 1,2 Prozent. Doch zuletzt mussten mehrere Krankenkassen ihren Zusatzbeitrag auch im laufenden Jahr anheben, teilweise sogar deutlich. Seit August zahlen zum Beispiel die Kundinnen und Kunden der KKH zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent einen Zusatzbeitrag von 3,28 Prozent. Auch die IKK classic hob ihren Zusatzbeitrag um 0,49 Prozentpunkte auf 2,19 Prozent an. Beide Krankenkassen begründeten dies mit unerwarteten Kostensteigerungen.