Trotz sinkender Schadenzahlen steigen die Aufwendungen für Schäden im Bau-Gewerbe, zeigt der VHV-Bauschadenbericht Hochbau 2023/24. Was das für Versicherer bedeutet, erklärt Dr. Sebastian Reddemann, Sprecher des Vorstands der VHV Allgemeine Versicherung AG, im Interview mit Versicherungsbote.
Versicherungsbote: Der Bericht zeigt, dass trotz eines leichten Rückgangs der Schadenzahlen die Schadenaufwendungen kontinuierlich steigen. Welche Maßnahmen planen Sie, um diese steigenden Kosten in den Griff zu bekommen?
Dr. Sebastian Reddemann: Der Umsatz im Bauhauptgewerbe ist von rund 145 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf rund 160 Milliarden Euro im Jahr 2022 gestiegen. Das macht sich auch im erhöhten Schadenaufwand bemerkbar. Hinzu kommt der gestiegene durchschnittliche Aufwand für die Regulierung von Schadenfällen. Im Zusammenhang mit der Feststellung leicht sinkender Schadenzahlen bedeutet diese Steigerung, dass die Regulierung eines Hochbauschadens immer höhere Kosten verursacht. Die wesentlichen Ursachen dafür sind unter anderem steigende Preise für Baumaterialien, höhere Anforderungen an Gebäude durch höhere energetische Standards zum Erreichen der Klimaschutzziele und gestiegene Qualitätsansprüche der Bauherren sowie der anhaltende Fachkräftemangel in der gesamten Baubranche. Auf diese Faktoren haben wir als Versicherung wenig Einfluss. Wir setzen daher stark auf Prävention. Denn am wenigsten kosten die Schäden, die gar nicht erst entstehen. Und dafür liefern dieser Bauschadenbericht und auch die vorhergegangenen Berichte, die wir gemeinsam mit dem Institut für Bauforschung in Hannover herausgegeben haben, viele Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte.
Der Bericht nennt Zeit- und Kostendruck sowie den Fachkräftemangel als Ursachen für Bauschäden. Welche Verantwortung trägt die Versicherungsbranche in Bezug auf diese systemischen Probleme, und wie kann sie zur Verbesserung der Situation beitragen?
Als führender Versicherer der Bauwirtschaft sind wir Partner von über 121.000 Unternehmen der Bauwirtschaft in Deutschland. Wir unterstützen unsere Kundinnen und Kunden, in dem wir auf Forschung, Aufklärung und Prävention setzen. Unter anderem mit dem jährlich erscheinenden Bauschadenbericht und weiteren Studien, wie zum Beispiel – auch gemeinsam mit dem Institut für Bauforschung – zu Gebäudeschäden durch vermehrte Extremwetterereignisse.
Angesichts der Prognosen für sinkende Fallzahlen in den kommenden Jahren plant die VHV eine Anpassung ihrer Produkte oder Dienstleistungen, um auf die veränderten Marktbedingungen zu reagieren?
Die Besonderheit in der Bauwirtschaft beziehungsweise insbesondere der Planungsdeckungen ist, dass oft bis zu zehn Jahre vergehen zwischen dem Zeitpunkt, ab dem der Versicherungsschutz gilt, und dem Eintritt des Schadenfalls. Wir agieren hier besonders vorausschauend und passen unsere Produkte regelmäßig an.
Die meisten Schäden entfallen auf Baukonstruktionen und Wasserschäden. Welche Präventionsstrategien verfolgen Sie, um genau diese häufigen Schadenarten zu reduzieren?
Schäden an der Baukonstruktion haben laut VHV-Bauschadenbericht als Ursachen Flüchtigkeitsfehler aufgrund von hohem Zeitdruck, mangelndes bautechnisches Verständnis, unzureichende Kommunikation sowie fehlende oder unzureichende Kontrollen. Die beiden größten Hebel zur Schadenprävention sind aus Sicht der Experten des Instituts für Bauforschung daher neben der Verbesserung der Kommunikation die weitere Qualifizierung der Fachkräfte.
Fachkräfte, die im Rahmen ihrer Ausbildung umfassende Kompetenzen erworben haben, können mit den immer komplexer werdenden Bauaufgaben sicher und verantwortungsvoll umgehen. Wichtig sind hier gute und möglichst bundesweit einheitliche Ausbildungsstandards sowie gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten zur Anpassung und Weiterentwicklung der erworbenen Kompetenzen.
Mangelnde Kommunikation wird als häufige Schadenursache genannt. Inwieweit können Kunden und Partner besser in den Bauprozess integriert werden, um Kommunikationsmängel zu vermeiden?
Die fachlichen und kommunikativen Schnittstellen im Baubetrieb müssen besser koordiniert werden, damit die Kommunikation zwischen den am Bau Beteiligten gut funktioniert. Gerade in diesem Bereich kann es aufgrund der Komplexität der Bauaufgaben und der Vielzahl der am Bau Beteiligten zu Informationsverlusten, Missverständnissen und Fehlern kommen, die letztlich häufig zu Verzögerungen im Bauablauf und zu Qualitätsmängeln führen. Für den Erfolg eines Bauvorhabens ist bereits die Planungsphase entscheidend. Eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Bauablauf ist, dass sich alle am Bau Beteiligten über ihre Verantwortlichkeiten im Klaren sind und die Prozessabläufe kennen. Ein frühzeitiger und umfassender Informationsaustausch, wie regelmäßige Baubesprechungen, ist entscheidend, um alle Beteiligten einzubinden. Dabei sollten Planer, Vertreter des Auftraggebers und die Aufsichtspersonen der Baustelle anwesend sein. Digitale Prozesse und Tools sorgen für schnellen Datenaustausch in Echtzeit.
Steigende Materialkosten werden als ein Grund für höhere Schadenaufwendungen genannt. Wie wirkt sich dies auf die Beitragsgestaltung aus und wie können die Kostensteigerungen in der Zukunft abgefedert werden?
Die Besonderheit in der Bauwirtschaft mit den teilweise langen Zeiträumen zwischen dem Beginn des Versicherungsschutzes und dem Eintritt des Schadenfalls hatte ich ja bereits erwähnt. Das heißt, die Prämieneinnahmen von heute müssen auch Schäden abdecken, die erst in zehn Jahren auftreten – mit der Inflationsentwicklung und den entsprechenden Kostensteigerungen, die in dieser Zeit entstehen. Wir handeln hier vorausschauend, tarifieren risikoadäquat und können Prämien anpassen. Für die Bauwirtschaft insgesamt gilt, dass schnelleres und günstigeres Bauen sich auch positiv auf die Prämien und mögliche Schadenkosten auswirkt. Wir unterstützen daher die Initiative der Bauverbände und Architekten- und Ingenieurkammern zum „Gebäudetyp E“, die nun erfreulicherweise in einen entsprechenden Gesetzentwurf gemündet ist.
Der Bericht weist auf zunehmende Herausforderungen durch den Klimawandel und die damit verbundenen Extremwetterereignisse hin. Wie bereitet sich die VHV auf diese langfristigen Risiken vor, und welche Rolle spielt dabei die Anpassung der Versicherungsprodukte?
Wir unterstützen unsere Kundinnen und Kunden, in dem wir auf Forschung, Aufklärung und Prävention setzen. Die VHV Allgemeine hat letztes Jahr zusammen mit dem Bauherren-Schutzbund und dem Institut für Bauforschung eine Studie zu Extremwetterereignissen im Zusammenhang mit Gebäudeschäden durchgeführt. Sie zeigt, dass Stürme, Starkregen, Überschwemmungen oder Hitzewellen vermehrt zu schweren Schäden an Gebäuden führen. Viele Normen für den Bau sind momentan nicht auf extreme Wetterereignisse ausgelegt. Wir müssen also anders planen und bauen, um Schäden zu vermeiden. Die Studie bietet dafür unter anderem Checklisten für Bauherren und Immobilienbesitzer. Selbst kleine Maßnahmen können viel bewirken. Eine Elementarschaden- oder Bauleistungsversicherung ist natürlich auch ein wichtiger Baustein des Risikomanagements im Umgang mit Naturgefahren – am besten in Kombination mit der eigenen Risikoanalyse und Risikobewertung sowie den bereits erwähnten Maßnahmen.