Bundessozialgericht: Krankenkasse muss auch Rollstuhl mit schnellem Handantrieb bezahlen

Quelle: DALL-E

Das Bundessozialgericht (Az.: B 3 KR 13/22 R) prüfte den Fall umfassend. Es stellte sich die zentrale Frage, ob das motorunterstützte Handkurbelrollstuhlzuggerät tatsächlich notwendig war, um die Grundbedürfnisse des Klägers zu erfüllen. Die AOK argumentierte, dass ein Gerät, das Geschwindigkeiten bis zu 25 km/h erreicht, über das notwendige Maß hinausgehe und dass es günstigere Alternativen gebe, die ausreichend seien. Doch das Bundessozialgericht entschied zugunsten des Klägers und stellte klar, dass die Mobilität im Nahbereich unter Einsatz der eigenen Körperkraft ein schützenswertes Grundbedürfnis sei, das durch die Krankenkasse zu gewährleisten sei – folglich muss die AOK laut Urteil die Kosten für das Gerät als notwendiges Hilfsmittel zur Sicherung der Mobilität im Nahbereich übernehmen.

In seinen Urteilsgründen betonte das Gericht mehrere wesentliche Punkte:

  1. Schmerzfreie Mobilität als Grundbedürfnis: Das Gericht erkannte an, dass der Kläger auf eine schmerzfreie Fortbewegung im Nahbereich angewiesen ist, um seine wesentlichen Versorgungs- und Gesundheitserhaltungswege zu bewältigen. „Die Versorgung mit einem Handkurbelrollstuhlzuggerät mit Motorunterstützung ist erforderlich, um eine schmerzfreie Erledigung der wesentlichen Versorgungs- und Gesunderhaltungswege zu ermöglichen“, so das Gericht wörtlich.
  2. Bedeutung der personalen Autonomie: Das Gericht hob hervor, dass das Bedürfnis, Alltagsverrichtungen unter Einsatz eigener Kräfte zu bewältigen, ein Ausdruck der personalen Autonomie ist, die von Paragraf 33 Abs. 1 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) geschützt wird. „Das Bedürfnis, Alltagsverrichtungen unter Einsatz eigener Kräfte zu bewältigen, ist Ausdruck der von Paragraf 33 Abs. 1 (...) SGB V geschützten personalen Autonomie“, heißt es weiter.
  3. Unabhängigkeit von Geschwindigkeit und Reichweite: Das Bundessozialgericht stellte klar, dass die Geschwindigkeit und Reichweite des Hilfsmittels, das bis zu 25 km/h erreichen kann, nicht gegen die Notwendigkeit der Versorgung sprechen, solange keine zumutbare Alternative zur Erschließung des Nahbereichs besteht. „Die Reichweite und Geschwindigkeit der mit dem Hilfsmittel eröffneten Fortbewegung stehen der Versorgung durch die Krankenkasse nicht entgegen, sofern eine zumutbare Erschließung des Nahbereichs anders nicht möglich ist“, so die Richter.
  4. Teilhabe an den Bewegungsmöglichkeiten: Das Gericht betonte: „Versicherte haben Anspruch auf eine Teilhabe an den Bewegungsmöglichkeiten, die nicht in ihrer Gehfähigkeit beeinträchtigten Versicherten offenstehen.“

Fazit: Was das Urteil bedeutet

Dieses Urteil hat weitreichende Implikationen für die Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln. Drei wesentliche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen:

  1. Rechtsanspruch auf angemessene Hilfsmittelversorgung: Versicherte haben einen klaren Anspruch auf Hilfsmittel, die ihre Grundbedürfnisse, wie die Mobilität im Nahbereich, sicherstellen, selbst wenn diese Hilfsmittel technisch fortgeschritten oder kostspielig sind. Krankenkassen müssen die individuelle Situation des Versicherten umfassend berücksichtigen.
  2. Stärkung der personalen Autonomie: Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der personalen Autonomie bei der Versorgung mit Hilfsmitteln. Versicherte haben das Recht, ihre Alltagsverrichtungen so weit wie möglich selbstständig und unter Einsatz eigener Kräfte zu bewältigen, was einen zentralen Aspekt bei der Genehmigung von Hilfsmitteln darstellt.
  3. Einzelfallabhängige Entscheidungen: Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass dieses Urteil nicht automatisch auf alle ähnlichen Fälle übertragbar ist. Im vorliegenden Fall spielte die Verschlimmerung der Arthrose des Klägers eine entscheidende Rolle für die Entscheidung des Gerichts. Ohne diese zusätzliche gesundheitliche Belastung hätte das Urteil möglicherweise anders ausfallen können. Jede Antragsstellung sollte daher individuell geprüft und medizinisch fundiert begründet werden, um den spezifischen Bedürfnissen des Versicherten gerecht zu werden. Das Urteil ist auf der Webseite des Bundessozialgerichts verfügbar.