Krankenkassen machten im ersten Halbjahr 2,2 Milliarden Euro Miese

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Die gesetzlichen Krankenkassen haben im ersten Halbjahr 2024 ein Defizit von 2,2 Milliarden Euro verzeichnet, ihre Reserven sind fast aufgebraucht. Damit werden auch Beitragserhöhungen immer wahrscheinlicher. Kassenvorstände warnen, dass ein Ende der Teuerungen nicht absehbar sei - und fordern Reformen.

Die gesetzlichen Krankenversicherer haben im ersten Halbjahr 2024 deutlich mehr ausgegeben als eingenommen. Den Einnahmen in Höhe von 159,1 Milliarden Euro standen Ausgaben von 161,3 Milliarden Euro gegenüber, wodurch ein Fehlbetrag von 2,2 Milliarden Euro entstand. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium am Freitag mit.

Der Grund für das Defizit sind stark gestiegene Kosten im Gesundheitssystem. Zwar profitierten die Krankenkassen von steigenden Einnahmen aufgrund höherer Tarifabschlüsse und konnten 5,5 Prozent mehr Beiträge als im Vorjahr einsammeln. Allerdings stiegen die Ausgaben mit 7,6 Prozent noch stärker. Infolgedessen mussten die Krankenkassen auf ihre Rücklagen zugreifen, wodurch die Finanzreserve auf 6,2 Milliarden Euro sank – das entspricht nur noch 0,23 Monatsausgaben. Gesetzlich sind die Versicherer verpflichtet, mindestens 0,2 Monatsreserven zurückzuhalten.

22 Krankenkassen heben Zusatzbeitrag unterjährig an

Viele Krankenkassen haben auf ihre finanzielle Schieflage reagiert und ihren Zusatzbeitrag im Laufe des Jahres angehoben, wie das Ministerium mitteilte. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz lag im August 2024 bei 1,78 Prozent, zu Jahresbeginn noch bei 1,70 Prozent. Insgesamt haben bis August 22 von 95 Krankenkassen ihren Zusatzbeitrag unterjährig nach oben korrigiert.

Die finanzielle Entwicklung der einzelnen Krankenkassenarten verlief unterschiedlich. Während einige Kassen ein höheres Defizit verzeichneten, war das Minus bei anderen geringer. So meldeten die Ersatzkassen ein Defizit von 859 Millionen Euro, gefolgt von den Ortskrankenkassen mit 721 Millionen Euro, den Betriebskrankenkassen mit 366 Millionen Euro und den Innungskrankenkassen mit 161 Millionen Euro. Die Knappschaft verzeichnete ein Minus von 43 Millionen Euro, während die Landwirtschaftliche Krankenkasse, die nicht am Risikostrukturausgleich teilnimmt, ein Defizit von 8 Millionen Euro aufwies.

Ausgaben legten deutlich zu

Im ersten Halbjahr 2024 verzeichneten die Krankenkassen einen deutlichen Anstieg der Ausgaben, der sich in verschiedenen Bereichen unterschiedlich stark bemerkbar machte. Es ist zu berücksichtigen, dass die Ausgaben in einigen Bereichen, insbesondere bei Ärzten und Zahnärzten, noch auf Schätzungen basieren, da die endgültigen Abrechnungsdaten teilweise noch nicht vorliegen:

    Gesamtausgabenentwicklung: Die Leistungsausgaben stiegen insgesamt um 7,6 Prozent, was einem absoluten Anstieg von 10,9 Milliarden Euro entspricht. Dies stellt eine deutlich stärkere Dynamik als in den letzten Jahren dar. Die Verwaltungskosten sanken hingegen um 1,2 Prozent, was eine Reduktion von 75 Millionen Euro bedeutet. Dieser Rückgang der Verwaltungsausgaben ist allerdings auf geringere Altersrückstellungen für die Beschäftigten zurückzuführen. Ohne Berücksichtigung der Altersrückstellungen stiegen die Verwaltungskosten um 3,5 Prozent.
  1. Krankenhausbehandlungen: Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen stiegen im ersten Halbjahr um 7,9 Prozent, was einen Anstieg von 3,6 Milliarden Euro bedeutet. Dieser Bereich war ein wesentlicher Treiber der Gesamtausgaben. Zu diesem Anstieg trugen vor allem steigende Fallzahlen, eine Preisanpassung von über 5 Prozent sowie die stark gestiegenen Pflegepersonalkosten bei, die um 10,9 Prozent (1,05 Milliarden Euro) zunahmen. Zusätzlich wurden rund 181 Millionen Euro für neue Abrechnungsziffern im Rahmen der Hybrid-DRGs verbucht, die seit Dezember 2023 gelten. Das bedeutet, dass der Katalog für ambulante Operationen erweitert wurde und nun zusätzliche Leistungen abrechenbar sind.
  2. Arzneimittelversorgung: Die Ausgaben für Arzneimittel stiegen im ersten Halbjahr um 10,0 Prozent, was einen Zuwachs von 2,5 Milliarden Euro bedeutet. Dieser Anstieg wurde zum Teil durch das Auslaufen des einmalig erhöhten gesetzlichen Herstellerabschlags von zwölf Prozent im Jahr 2023 beeinflusst, wodurch die Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen um 547 Millionen Euro sanken. Ohne Berücksichtigung der Rabatte stiegen die Arzneimittelausgaben dennoch um 7,3 Prozent (1,94 Milliarden Euro). Besonders dynamisch entwickelten sich die Ausgaben im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, die um 49,6 Prozent (347 Millionen Euro) gegenüber dem Vorjahreszeitraum anstiegen.
  3. Ambulant-ärztliche Behandlungen: Die Ausgaben für ambulante ärztliche Behandlungen erhöhten sich um 5,3 Prozent, was einem Anstieg von 1,3 Milliarden Euro entspricht. Das umfasst medizinische Leistungen, die von niedergelassenen Ärzten erbracht werden, ohne dass der Patient stationär im Krankenhaus aufgenommen wird. Innerhalb dieses Bereichs verzeichneten extrabudgetäre psychotherapeutische Leistungen überdurchschnittliche Zuwächse von 6,8 Prozent (116 Millionen Euro). Die Ausgaben für ambulante Operationen gemäß AOP-Katalog stiegen um 9,2 Prozent (106 Millionen Euro). Für die Abrechnung der sogenannten Hybrid-DRGs durch niedergelassene Ärzte wurden 35 Millionen Euro verbucht.
  4. Zahnärztliche Behandlungen (ohne Zahnersatz): Die Ausgaben für zahnärztliche Behandlungen stiegen um 3,7 Prozent (255 Millionen Euro), was etwas weniger dynamisch war als im ersten Quartal. Besonders stark entwickelten sich die Ausgaben im Bereich der Parodontalbehandlungen, die um 10,3 Prozent (73 Millionen Euro) zunahmen, was auf Leistungsverbesserungen zurückzuführen ist.
  5. Häusliche Krankenpflege und Behandlungspflege: In diesem Bereich stiegen die Ausgaben um 12,4 Prozent, was einem Zuwachs von 569 Millionen Euro entspricht.
  6. Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen: Die Ausgaben für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen erhöhten sich um 11,1 Prozent (231 Millionen Euro). Trotzdem lässt sich beobachten, dass nach wie vor vergleichsweise wenig Geld in die Gesundheitsvorsorge fließt.

Gesundheitsexperten erwarten, dass die Ausgaben im Kassensystem weiter steigen: auch aufgrund von Gesundheitsreformen. So plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Klinikreform, die langfristig zu Einsparungen führen soll, aber zunächst teure Umstrukturierungen notwendig macht. Für das Gesamtjahr sei mit einem Defizit von 4 bis 4,5 Milliarden Euro zu rechnen, teilte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen mit. Dies werde zu weiter steigenden Beiträgen führen, wenn die Politik nicht endlich gegensteuere.

Aufgrund der stark steigenden Kosten hatten Kassenfunktionäre bereits vor Veröffentlichung der Zahlen schnelle und umfassende Reformen gefordert. Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse (TK), sieht die Belastungsgrenze für die Versicherten angesichts der Teuerungen erreicht. "Das größte Problem ist, dass sich diese Entwicklung in absehbarer Zukunft nicht ändern wird. Es stehen weitere teure Gesetze an, und ohne Gegenmaßnahmen werden die Kosten ungebremst steigen“, warnt der TK-Chef in einem Interview mit der „Welt“. „So würde es jedes Jahr zu Beitragserhöhungen kommen. Bis 2030 könnte der durchschnittliche Beitragssatz dann bei 20 Prozent liegen. Ich frage mich: Wie soll das weitergehen? Sollen die Menschen irgendwann ein Viertel ihres Einkommens für die Krankenversicherung ausgeben müssen?", fragt Baas.