TK: „Nach wie vor haben wir zwei parallele Aufsichtslogiken“

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Der Morbi-RSA, ein finanzieller Ausgleichsmechanismus im deutschen Gesundheitswesen, geriet wegen Betrugs in die Kritik: Die Techniker Krankenkasse (TK) deckte in zwei Studien 2017 und 2019 auf, dass Krankheiten systematisch durch Arztpraxen umcodiert wurden, um höhere Zahlungen zu erhalten. Eine Reform unter Gesundheitsminister Jens Spahn sollte dies beheben. Wurden die Ziele aber erreicht? Versicherungsbote fragte da nach, wo man es wissen muss – bei Dr. Barbara Bertele, Expertin für den Morbi-RSA bei der TK.

Versicherungsbote: Im Jahr 2017 veröffentlichte die TK eine Studie, die Abrechnungsbetrug und illegale Kodierberatungen aufdeckte. Was waren die Hauptgründe, diese Untersuchung durchzuführen?

Dr. Barbara Bertele: Die Studie hat untersucht, ob Praxen Versuche der Einflussnahme auf die Diagnosestellung durch die Kassen erlebt hatten. Im Ergebnis zeigte sie, dass Kodierberatung auf verschiedenen Wegen stattfand. Eine Folgeuntersuchung gab es 2019, also nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG), das strengere Regeln für solche Beratungen einführte. Auch 2019 berichteten Praxen noch von Kodierberatung in unterschiedlichen Formen. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht ausreichten und der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), also das zentrale Verteilinstrument für Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, manipulationsresistenter werden muss.

Die Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA) trat im April 2020 in Kraft, etwa drei Jahre nach Ihrer ersten Studie. Haben Sie seitdem Veränderungen festgestellt – etwa eine Abnahme der Kodiermanipulationen?

Die Reform des Risikostrukturausgleichs hatte zwei zentrale Ziele: Zum einen sollte die Verteilung der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds präziser und gerechter werden. Für eine höhere Zielgenauigkeit wurde eine Regionalkomponente eingeführt. Sie sorgt seitdem dafür, dass strukturell bedingte Kostenunterschiede zwischen Regionen, auf die Krankenkassen keinen Einfluss haben, nicht mehr zu Benachteiligungen im Wettbewerb führen.

Das zweite wichtige Ziel war mehr Manipulationsresistenz. Dafür wurde die sogenannte Manipulationsbremse eingeführt, sowie strengere Regeln für Verträge. Die Neuerungen werden Schritt für Schritt evaluiert, dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Das liegt auch daran, dass die besondere Situation der Coronapandemie insgesamt zu Verschiebungen geführt hat.

Gibt es neue Probleme, die durch die Reform entstanden sind?

Nein. Das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (FKG) hat den RSA grundlegend und umfassend reformiert und die zentralen Probleme „regionale Verzerrungen“ und „Manipulationsresistenz“ adressiert. Weil mit der Reform ein Vollmodell eingeführt wurde, seitdem also alle Krankheiten im Finanzausgleich berücksichtigt werden, waren die Maßnahmen für mehr Manipulationsresistenz besonders wichtig. Natürlich ist immer noch ein bisschen Luft nach oben.

Sehen Sie dennoch weiterhin Risiken, die durch die Reform möglicherweise nicht vollständig adressiert wurden?

Nach wie vor haben wir zwei parallele Aufsichtslogiken. Regional geöffnete Kassen werden von Landesministerien kontrolliert, bundesweite Kassen vom Bundesamt für Soziale Sicherung. Um Unterschiede in der Aufsichtspraxis zu verhindern, wäre eine einheitliche Aufsicht notwendig. Die war ursprünglich auch Teil des Gesetzentwurfs, scheiterte aber letztendlich am Widerstand der Länder.

Welche Empfehlungen würde die TK dem Gesetzgeber für zukünftige RSA-Reformen geben?

Das Thema Manipulationsresistenz darf nicht aus dem Fokus geraten. Erste Stimmen fordern beispielsweise die Abschaffung der Manipulationsbremse, aus Baden-Württemberg kommt eine Initiative, die RSA-Manipulationen einiger Krankenkassen aus der Vergangenheit weniger gründlich zu prüfen. Das liefe darauf hinaus, die Strafzahlungen für Manipulationen vergangener Jahre zu erlassen. Dem darf die Politik nicht nachgeben.

Eine weitere Gefahr ist, zu kleinteilig auf einzelne Konstellationen zu schauen und dann an vielen kleinen Schräubchen zu verschlimmbessern. Ein Erfolgsfaktor des FKG war, dass es eine Reform aus einem Guss war.

Abschließend: Hat die Reform von 2020 aus Sicht der Techniker Krankenkasse zu einem nachhaltigeren und faireren System geführt?

Das Gesetz hat die Rahmenbedingungen für mehr Fairness beim Verteilen der Zuweisungen und eine höhere Manipulationsresistenz deutlich verbessert. Die Zeiten, in denen der Morbi-RSA immer wieder negative Schlagzeilen machte, sind vorbei. Das System ist konsolidiert, Deckungsgradunterschiede zwischen den Kassenarten, die noch bis vor wenigen Jahren extrem ausfielen, sind inzwischen deutlich kleiner geworden. Ganz nivelliert sind sie allerdings nicht.