Werden klassische Lebensversicherungen durch die Anhebung des Höchstrechnungszinses wieder interessanter?

Quelle: DALL-E

Klassische Lebensversicherungen haben einen schweren Stand. Kunden sind - zurecht - auf der Suche nach kapitaleffizienteren Produkten. Kann die Anhebung des Höchstrechnungszinses daran etwas ändern? Thomas Volkmer (Forvis Mazars) geht dieser Frage im Gastbeitrag nach.

Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ist die Anhebung des Höchstrechnungszinses eine gute Nachricht für alle Sparerinnen und Sparer. Demnach könnte die erste Anhebung des Höchstrechnungszinses seit 1994 die Attraktivität der klassischen Lebensversicherung erhöhen und damit wichtige Vertriebsimpulse nach der langjährigen Niedrigzinsphase entfachen. Die Erhöhung von 0,25 Prozent auf einen Prozent ab dem 1. Januar 2025 fällt trotz deutlichem Anstieg des Zinsniveaus moderat aus und bildet die gestiegene Renditeerwartung bei gleichzeitig rückläufiger Inflationsentwicklung angemessen vorsichtig und zukunftsorientiert ab.

In der Versicherungsbranche wurde diese Nachricht erfreut aufgenommen. „Dies wird sich positiv auf die Gestaltung von Lebensversicherungsprodukten auswirken, wovon Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren“, so GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.

Vorteile bieten die höheren Garantiezinsen für die Versicherungsnehmer jedoch nicht nur bei den kapitalbildenden Lebensversicherungen, sondern auch bei der Prämienkalkulation von Risiko- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Darüber hinaus können die garantierten Rentenleistungen bei Versicherungen mit flexiblen Rentenfaktoren ebenso steigen. Hierdurch werden Lebensversicherungen insbesondere für sicherheitsorientierte Kunden interessanter. Für Produkte mit Beitragsgarantie ist die Anhebung des Rechnungszinses jedoch zu gering, um eine Rückkehr zur vollen Beitragsgarantie zu ermöglichen.

Die letzte Senkung des Höchstrechnungszinses im Januar 2022 auf den historisch niedrigen Wert von 0,25 Prozent hat viele Kunden abgeschreckt. Versicherer mussten ihre Neugeschäftsprodukte und Bestandsportfolios überdenken. Der Trend zu neuartigen Garantien sowie fonds- und indexgebundenen Produkten spiegelt sich im aktuellen Bestandsmix der Lebensversicherer wider. Die niedrigen Renditen von staatlich geförderten Altersvorsorge-Produkten wie z.B. die Riester-Sparformen reichten oft nicht aus, um die Inflation auszugleichen. Der Fokus der Kunden auf Kosten und Gebühren hat die Abschlussneigung in den vergangenen Jahren stark reduziert. Durch die Zurückhaltung der Kunden und gezielte Steuerung zu kapitaleffizienteren Produkten finden sich klassische Lebensversicherungen immer seltener im angebotenem Produktportfolio von Lebensversicherern.

Mit der Anhebung des Höchstrechnungszinses und den korrespondierenden Garantien verändert sich die Situation nun zum Besseren. Es ist jedoch fraglich, ob die erhofften Positiveffekte tatsächlich eintreten werden. Solange die sichere Rendite bei der klassischen Lebensversicherung hinter anderen Anlageformen zurückbleibt, werden sich finanzrationale Versicherungsnehmer weiterhin eher für andere Anlagemöglichkeiten entscheiden. Um die Lebensversicherungen als Sparprodukt wieder zu berücksichtigen, erwarten Kunden höhere Renditen. Inwieweit sich die Erwartung bzgl. der gewährten Überschussbeteiligungen erfüllt, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen.

Mit dem vollzogenen Zinsschritt forciert die Branche die Vertriebsaktivitäten im Bereich der klassischen Lebensversicherungen. Nach der offiziellen Bekanntmachung durch das Bundesfinanzministerium (BMF) im Juli 2024 haben die Lebensversicherer bereits ihre angepassten Angebote mit dem neuen Garantiezins im Neugeschäft vorbereitet. Hierbei stoßen sie auf ein in Deutschland besonders hohes Sicherheitsbedürfnis der Kunden, die nicht auf Garantien verzichten wollen. Dieses Sicherheitsbedürfnis wird vermutlich in der Zukunft wieder zu mehr Vertragsabschlüssen von klassischen Lebensversicherungsprodukten führen – wenn auch nicht zwangsläufig in der schon bekannten klassischen Form.

Was bedeutet die Anhebung des Höchstrechnungszinses für den Vertrieb von Versicherern?

Von einer Anhebung des Höchstrechnungszinses sind insbesondere Neuverträge mit Garantien betroffen, die nach dem 1. Januar 2025 geschlossen werden. Da sich der höhere Rechnungszins positiv auf klassische Lebensversicherungsprodukte auswirkt, ist dies auch eine gute Nachricht für den Vertrieb. Mahnende Stimmen befürchteten allerdings einen kurzfristigen Geschäftseinbruch, da Neukunden sich im laufenden Jahr in Kaufzurückhaltung üben und den Vertragsabschluss auf das neue Jahr verschieben könnten.

Deshalb haben die Produktanbieter attraktive Lösungen entwickelt, um die Partizipation der Kunden am höheren Garantiezins zu ermöglichen. Einfallsreiche Versicherer haben Umstellungsoptionen bereits nach Bekanntwerden der Höchstrechnungszinsänderung angeboten, wodurch die erhöhte Garantie automatisch im neuen Jahr gewährt wird.

Aber auch Bestandskunden profitieren vom verbesserten Zinsniveau durch eine steigende Überschussbeteiligung. Verträge mit niedrigeren Garantien bekommen daher einen zusätzlichen Zinsüberschuss gutgeschrieben. Lebensversicherer hatten bereits Ende 2023 auf ihre verbesserte Ertragssituation reagiert und die deklarierte Überschussbeteiligung Ende 2023 für 2024 angehoben.

Inwieweit geförderte Altersvorsorgeprodukte wie die klassische Riester- und Rürup-Rente von den Zinsimpulsen profitieren, bleibt abzuwarten. Aufgrund des unverändert anspruchsvollen Kapitalmarktumfeldes und der fehlenden Möglichkeit, die volle Beitragsgarantie zu finanzieren, warten die Versicherer die aktuellen Reformpläne der Regierung ab, bevor sie neue Produktvarianten auf den Markt bringen.

Unter dem Strich sind die Auswirkungen der Anhebung des Höchstrechnungszinses auf den Versicherungsvertrieb in positivem Licht zu sehen – durch die höheren Garantien werden die Produkte aus Sicht der Kunden ansprechender, so dass die Nachfrage moderat steigen dürfte. Das Grundbedürfnis nach Lebensversicherungsprodukten ist nach wie vor vorhanden und der Vertrieb hat die langanhaltende und turbulente Niedrigzinsphase dank der Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Produktgeber gut überstanden. Auch wenn die klassische Kapital- oder Rentenversicherung als langfristige Sparanlage noch mehr Schwung auf den Kapitalmärkten bräuchte, bietet die erste Anhebung des Höchstrechnungszinses nach 30 Jahren insgesamt eine Chance. Versicherer und Vertrieb können ihre Produkte und Dienstleistungen attraktiver gestalten sowie das Vertrauen in die Sicherheit der Lebensversicherung generell und ihre eigene Marktposition stärken. Damit werden die Lebensversicherungsprodukte mit Garantien weiterhin eine wichtige Rolle in der deutschen Versicherungslandschaft spielen, wenn auch nicht mehr in der traditionellen Form, sondern angepasst an die neuen Kapitalmarktgegebenheiten.