Die staatlich geförderte private Altersvorsorge (pAV) steht vor einer Reform. Diese ist laut Dr. Max Happacher, Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung e.V., angesichts der Riester-Stagnation dringend an der Zeit. Er äußert aber deutliche Kritik an einigen Punkten des aktuellen Referentenentwurfs aus dem Finanzministerium.
Grundsätzlicher Reformwille ist der Ampel-Regierung und namentlich dem verantwortlichen Bundesministerium der Finanzen (BMF) nicht abzusprechen, wie der Referentenentwurf zum pAV-Reformgesetz zeigt. Es lohnt allerdings, bei der Bewertung noch einmal die Ziele des Staates bei der Alterssicherung zu vergegenwärtigen. Diese lauten „lebenslange Sicherung des Lebensstandards im Alter“ und „Vermeidung von Altersarmut“. Auf zwei Dinge kommt es dabei an:
a) in der Ansparphase sollen die eingesetzten finanziellen Mittel ertragreich angelegt werden, ggf. flankiert durch Stabilisierungsmaßnahmen, mit deren Hilfe mögliche Verwerfungen an den Kapitalmärkten ausgeglichen werden, und
b) in der Auszahlungsphase muss die Finanzierung des Lebensstandards bis zum Tod gesichert sein, wobei gleichzeitig flexible Ausgestaltungsmöglichkeiten bestehen, die der individuellen Lebenssituation gerecht werden.
Wir leben länger – das Geld muss (sicher) reichen
Die geplante Möglichkeit, zukünftig mittels 80-Prozent-Garantie renditestärkere Anlagen bei lebenslangen Rentenprodukten möglich zu machen, ist ein guter Ansatz bezogen auf den ersten Punkt. Mit Blick auf die Produkte, die laut Referentenentwurf zukünftig zertifizierbar sein sollen, scheint aber lebenslange Absicherung der Regierung kein wirklich wichtiges Anliegen mehr zu sein. Gleichberechtigt neben Rentenprodukten sollen nämlich beispielsweise auch zeitlich begrenzte Fonds-Auszahlungspläne gefördert werden.
Die Lebenserwartung wird von vielen immer wieder massiv unterschätzt – hier steht der Fondsverband BVI, dessen beschönigende Berechnungen zuletzt für Aufmerksamkeit sorgten, leider nicht allein. Trotzdem ist klar: Mindestens die Hälfte aller Menschen, die am Beginn ihrer Rente stehen, werden älter als 85, viele sogar deutlich älter. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Im Referentenentwurf ist vorgesehen, dass ein Auszahlungsplan ab dem Alter 85 ablaufen kann. Das würde dazu führen, dass dann mehrere Millionen Menschen ab diesem Punkt kein Geld mehr aus dieser Säule hätten, obgleich ihre Fixkosten sicherlich nicht plötzlich sinken werden. Langlebigkeit ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Durch die Reformpläne mit ihrer realistischen Aussicht auf Altersarmut wird sie eher zur Strafe degradiert.
Auch die Erweiterung der staatlichen Förderung auf Altersvorsorgedepots sind fragwürdig. Viele, die auf staatliche Altersvorsorge angewiesen sind, haben mittlere oder kleinere Einkommen. Für sie ist es sinnvoll, stabilisierende Elemente im Ansparprozess vorzusehen. So kann breit diversifiziert und ertragreich angelegt werden, ohne unübersehbare Risiken durch Verwerfungen am Kapitalmarkt tragen zu müssen.
Vorgesehene Wechselmöglichkeiten setzen fatale Anreize
Die kostenfreie Wechseloption nach fünf Jahren innerhalb der Ansparphase aus kollektiver in individuelle Vorsorge ist schädlich und birgt die Gefahr, den Wettbewerb eher einzuschränken als zu verbessern. So werden langfristig orientierte Investitionen des angesparten Kapitals unmöglich, was die Chancen auf eine ertragreiche Kapitalanlage und Rentenzahlungen für die Kunden mindert. Für die typischerweise langfristig angelegten Investitionen in den Umbau der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität fehlt dieses Kapital dann ebenfalls.
Die angedachte Regelung, aufwändige Wechseloptionen für Kundinnen und Kunden kostenfrei anbieten zu müssen, ist ebenfalls fragwürdig. Denn die mit dem Anbieterwechsel verbundenen Kosten belasten die Effizienz der Angebote für all die Kundinnen und Kunden, die im kollektiven Absicherungssystem verbleiben. Auch Kosten, die beim aufnehmenden Unternehmen anfallen, gehen erheblich zu Lasten des Vorsorgeziels aller. Andererseits ist genau die Stärkung von Vorsorge der Sinn und Zweck dieses Reformvorschlags. Daher sollten Kostenbelastungen der Kundinnen und Kunden durch das aufnehmende Unternehmen ebenfalls nicht zulässig sein.
Wechselmöglichkeiten könnten auch anders ausgestaltet werden. Sie sollten allein für zukünftige Beiträge möglich sein. So könnte die langfristige Anlage vergangener Beiträge weiterhin im Sinne der Beitragszahlerinnen oder Beitragszahler wirken. Auch eine Wechseloption zum Ende der Ansparphase könnte zumindest den Planungshorizont bei der Anlage erhöhen und Langfristinvestitionen weiter möglich machen. Es sollten zudem bei den Wechselkosten gleiche Regeln für alle gelten. Die Wechseloption für Bestandsverträge sollte aus Gründen des Bestandsschutzes ausgeschlossen bleiben.
Neue bürokratische Hürden
Wir sehen eher ein Mehr als ein Weniger an Bürokratie. Nehmen wir die Abschaffung der Produktinformationsstelle Altersvorsorge PIA, die viel zur Vergleichbarkeit von Produkten beigetragen hat, oder die kombinatorische Komplexität von fünf Produkten in der Ansparphase und drei Formen der Rentenphase. Genauso auch die nicht rein beitragsproportionale Geringverdiener- und Berufseinsteigerförderung, sowie die Obergrenze der Kinderzulage. Es dürfen zudem zwei Verträge mit maximal 3.000 Euro, bzw. zukünftig 3.500 Euro Eigenbeitrag gefördert werden. Wer soll das mit welchem Aufwand überwachen und nachvollziehen?
Fazit
Wenn wir darüber sprechen, weite Teile der Bevölkerung – speziell auch die mit niedrigen und mittleren Einkommen – mit Hilfe von staatlichen Zuschüssen abzusichern, dann führt an Produkten, die im Kollektiv organisiert sind und ein Leben lang Zahlungsströme generieren, nichts vorbei. Denn nur sie können wirklich eine Zahlung bis zum Lebensende jedes einzelnen planbar und verlässlich absichern. Ablaufende Auszahlungspläne, völlig unvorhersehbare Wechselmöglichkeiten, die das Kollektiv schwächen, und neue Bürokratiemonster tragen hierzu nicht bei. Es gibt beim Referentenentwurf noch einiges zu überarbeiten, wenn man wirklich etwas für die Absicherung im Alter für die nächsten Generationen tun möchte.