Das Neugeschäft stellt Lebensversicherer weiterhin vor große Herausforderungen: Durch das aktuelle Zinsniveau nimmt insbesondere der Wettbewerb mit anderen Zinsprodukten zu. Dennoch zeigt sich die Branche widerstandsfähig. Versicherungsbote präsentiert aktuelle Kennzahlen zum LV-Neugeschäft.
Die aktuelle Ausgabe des renommierten MAP-Reports – das Bilanzrating Lebensversicherung – liefert erneut umfassende Einblicke in die finanzielle Lage und Marktperformance der deutschen Lebensversicherer. Im Fokus stehen Bilanzkennzahlen aus den Bereichen Kapitalstärke, Ertragskraft und Bestandsentwicklung. Und erneut liegt ein Schwerpunkt auf der Entwicklung des Neugeschäfts. Versicherungsbote hat sich Zahlen angesehen.
Zahl der Run-off-Gesellschaften ohne Neugeschäft hat zugenommen
Die Zahlen zeigen jedoch auch, dass die Lebensversicherungsbranche trotz des verbesserten Zinsumfelds weiterhin vor erheblichen Herausforderungen steht. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der Anstieg der Run-off-Gesellschaften: 2023 befanden sich 15 Unternehmen im Run-off und zeichneten folglich kein Neugeschäft mehr. Zum Vergleich: 2020 waren es noch vier Gesellschaften weniger. Der Rückzug aus dem Neugeschäft ist jedoch nicht allein auf umstrittene Verkäufe alter Bestände zurückzuführen. Häufig spielen auch interne Umstrukturierungen innerhalb eines Konzerns eine Rolle.
Ein Beispiel hierfür ist die Ergo Group, die bereits vor einigen Jahren ihr Geschäft neu aufgestellt hatte: Die Ergo Vorsorge übernahm das Neugeschäft, während die Ergo Lebensversicherung AG sich auf die Abwicklung der Altbestände konzentrierte. Neben Bestandsverkäufen tragen also auch solche internen Neuorganisationen zur steigenden Zahl von Run-off-Unternehmen bei.
Neugeschäft geprägt durch Konkurrenz zu anderen Zinsprodukten
Das Neugeschäft der Lebensversicherung zeigt sich trotz herausfordernder Rahmenbedingungen noch immer robust. Allerdings steht es unter starkem Konkurrenzdruck durch andere Zinsprodukte, die im aktuellen Marktumfeld oft höhere Renditen bieten. Besonders deutlich wird dieser Trend im Geschäft mit Einmalbeiträgen: 2023 sanken die Einnahmen in diesem Bereich von 20,46 Mrd. Euro auf 17,38 Mrd. Euro. In 2021 lagen die Einnahmen noch bei 26,87 Mrd. Euro. Trotz des Rückgangs bleibt das Geschäft aber noch relevant.
Denn allein die Allianz verbuchte 2023 noch 7,39 Mrd. Euro durch Einmalbeiträge. Auch die R+V als zweitgrößter Anbieter verzeichnete 2,15 Mrd. Euro, während die Generali auf Platz drei immerhin noch 1,27 Mrd. Euro einnahm. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Einmalbeiträge weiterhin eine wichtige Rolle spielen, auch wenn die Gesamtsumme sinkt.
Allerdings wirkt sich der Rückgang direkt auf das Annual Premium Equivalent (APE) aus – eine Kennzahl fürs Neugeschäft, die sowohl Prämieneinnahmen aus Lebensversicherungen mit regelmäßigen Zahlungen als auch ein Zehntel der Einnahmen aus Einmalbeiträgen umfasst. Das APE sank 2023 moderat, aber merklich – von 8,78 Mrd. Euro auf 8,72 Mrd. Euro.
2025 wird der Höchstrechnungszins erstmals seit 30 Jahren angehoben
Positiv hervorzuheben ist, dass 2023 mehr Hauptversicherungsverträge abgeschlossen wurden als im Vorjahr: Die Zahl stieg um 14.231 auf insgesamt 4,21 Millionen eingelöste Verträge. Dieser Anstieg ist beachtlich, vor allem angesichts des schwierigen Marktumfelds. Ein zentraler Faktor bleibt der gesetzliche Höchstrechnungszins – der Maximalzins für Garantien im Neugeschäft. 2023 lag dieser weiterhin bei äußerst niedrigen 0,25 Prozent. Erst 2025 wird er erstmals seit 30 Jahren angehoben, jedoch nur auf ein Prozent (Versicherungsbote berichtete). Dieser neue Höchstrechnungszins wird das Kernproblem der Lebensversicherer folglich kaum lösen: Angesichts des hohen Marktzinsniveaus bieten alternative Spar- und Anlageprodukte deutlich attraktivere Renditen. Die moderate Anhebung reflektiert zudem die Vorsicht der Branche, die angesichts fortbestehender Unsicherheiten geboten ist. Dazu zählen geopolitische Spannungen und eine weiterhin schwelende Inflationsgefahr, die das verfügbare Einkommen vieler Haushalte schmälern – und damit die Bereitschaft zur privaten Vorsorge.
KLV noch immer am Rande der Bedeutungslosigkeit
Welche Produkte aber bestimmen aktuell das Neugeschäft? Der Trend der letzten Jahre setzte sich auch in 2023 fort:
- Wie schon in den letzten Jahren spielt die kapitalbildende Lebensversicherung (KLV) noch immer die geringste Rolle und bewegt sich am Rang der Bedeutungslosigkeit. Ihr Anteil am Neugeschäft der Branche lag durch rund 254.000 verkaufte Verträge bei 5,8 Prozent. Immerhin: erstmals seit Jahren gibt es hier keinen Rückgang, denn 2022 wurden branchenweit noch rund 5.400 Verträge weniger verkauft.
- Die einst wichtigen Rentenversicherungen landen in 2023 nur auf den vorletzten Rang des Neugeschäfts – dies durch 648.439 verkaufte Verträge. Der Anteil der Rentenversicherungen am gesamten Neugeschäft der Branche liegt bei 14,7 Prozent. Auch hier könnte sich eine leichte Trendumkehr andeuten: immerhin wurden im Vergleich zu 2022 insgesamt 7.006 Policen mehr abgesetzt. Wichtig ist aber: auch selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherungen und Policen zur Absicherung der Grundfähigkeiten werden in den Geschäftsberichten unter „Rentenversicherungen“ zusammengefasst.
Welche Produkte das Neugeschäft bestimmen
Welche Produkte aber führen das Neugeschäft an? Die Situation hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht geändert: Im Mittelfeld landen die Risikolebensversicherungen (RLV). 774.383 Policen wurden hier 2023 verkauft – das sind 39.638 Policen mehr als 2022. Der Anteil der RLV-Policen am Neugeschäft 2023 betrug 17,51 Prozent.
Freilich darf die Zahl verkaufter Policen nicht darüber hinweg täuschen, dass die RLV weniger Geld einbringt als die Rentenversicherungen:
- Der laufende Beitrag für das Neugeschäft aus Rentenversicherungen lag 2023 branchenweit bei 722,37 Mio. Euro.
- Der laufende Beitrag für das Neugeschäft aus der KLV lag bei 195,80 Mio. Euro.
Geht es um die Versicherungssumme und um das Beitragsvolumen, sind Rentenversicherungen demnach noch immer wichtig – und machen auch einen größeren Teil der laufenden Beiträge aus, die für neu verkaufte Policen ausgewiesen werden. Besonders, weil auch eigenständige BU-Produkte hier gelistet sind.
Leichter Rückgang bei Kollektivversicherungen
In Kollektivlösungen liegen große Hoffnungen der Lebensversicherer – seit Jahren machen sie auch den zweiten Rang beim Neugeschäft aus. So auch 2023: mit 27,5 Prozent haben Kollektivversicherungen erneut den zweithöchsten Neugeschäftsanteil. Allerdings wurden 2023 mit 1.214.675 Policen insgesamt 38.238 Policen weniger als 2022 abgesetzt. Der laufende Beitrag für die neu eingelösten Versicherungsscheine branchenweit belief sich in 2023 hier auf 909,90 Mio. Euro: das sind 27,28 Mio. Euro mehr als noch 2022.
Fondsprodukte erneut auf Rang eins
Und auch beim Rang eins im Neugeschäft gibt es keine Veränderungen: Erneut führen „Sonstige Versicherungen“ – und damit vor allem die fondsgebundenen Verträge (FLV). 34,6 Prozent des Neugeschäfts machen sie 2023 aus. Allerdings ging hier die Zahl verkaufter Verträge dennoch leicht zurück: mit 1.527.369 Verträgen branchenweit wurden 2.087 Verträge weniger als 2022 abgesetzt. Dennoch stieg der laufende Beitrag für "sonstige Lebensversicherungen", der 2023 ausgewiesen wurde, gegenüber 2022 beachtlich an: um 112,02 Mio. Euro auf 2,02 Mrd. Euro. Mit Blick auf gebuchte laufende Beiträge für verkaufte Policen 2023 zeigt sich also ebenfalls die hohe Bedeutung der neuen Produkte.
Hintergrund: Der traditionsreiche MAP-Report veröffentlicht schon seit 1990 regelmäßig Kennzahlen aus der Versicherungsbranche, seit 2019 unter der Ägide von Franke und Bornberg. Der Report mit der stolzen Nummer 936 enthält –– zusätzlich zum Bilanzrating – eine Vielzahl an Kennzahlen zum Leben-Geschäft (und ist dadurch ein äußerst umfangreiches Analyse-Instrument). Bestellt werden kann der MAP-Report 936 (kostenpflichtig) auf der Webseite der Rating-Experten aus Hannover.