Wie Mitarbeitende auf Mehrarbeit bzw. eine deutlich erhöhte Arbeitsbelastung reagieren, hängt stark davon ab, wie vorhersehbar und folglich planbar diese für sie ist, so Unternehmensberaterin Sabine Prohaska und stützt sich dabei auf Studien-Ergebnisse.
Die Anforderungen an die Mitarbeitenden von Betrieben steigen zuweilen plötzlich und unerwartet – so zum Beispiel, wenn
- unverhofft neue Aufträge hereinkommen und zeitnah abgearbeitet werden müssen oder
- bei der Alltagsarbeit unvorhergesehene Probleme auftreten oder
- viele Mitarbeitende zeitgleich krank oder in Urlaub sind oder
- vakante Stellen aufgrund des Fachkräftemangels länger als gedacht unbesetzt bleiben.
In all diesen Situationen kommt in der Regel auf die Mitarbeitenden Mehrarbeit zu. Das heißt, sie müssen entweder in ihrer regulären Arbeitszeit mehr leisten oder Überstunden machen oder eventuell sogar Sonderschichten schieben.
Dann stellt sich für ihre Arbeitgeber oft die Frage: Wie kann ich die Mehrarbeit so gestalten, dass
- meine Mitarbeitenden diese nicht als Zumutung empfinden und
- sie leistungsfähig und -bereit bleiben, obwohl die Mehrarbeit für sie eine echte Mehrbelastung ist?
Mitarbeitende möchten, dass ihre Arbeit planbar ist
Eine im Fachjournal „Personnel Psychology“ veröffentlichte Studie mit dem Titel „I didn't see that coming!...“ kommt zum Schluss: Wie die Mitarbeitenden auf die Mehrarbeit reagieren, hängt stark davon ab, wie vorhersehbar diese für sie ist.
In besagter Studie wurden die Auswirkungen von erwarteten und unerwarteten Mehrbelastungen bei der Arbeit unter anderem auf das Wohlbefinden von Angestellten miteinander verglichen. Die Ergebnisse zeigen: Eine hohe Diskrepanz zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Belastung löst bei den Mitarbeitenden Stress und Sorgen aus – zum Beispiel, weil sie sich dann fragen:
- Schaffe ich das in der mir zur Verfügung stehenden Zeit? Hilft mir im Bedarfsfall jemand?
- Muss ich aufgrund der Mehrarbeit meine Tages-, Wochen- oder gar Lebensplanung über den Haufen werfen?
- Ist dies eine Ausnahmesituation oder künftig die Regel?
Unerwartete Mehrarbeit verursacht Stress
Oder anders formuliert: Eine unerwartete Mehrarbeit beeinträchtigt das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Selbstbestimmung und deren Wunsch, alles im Griff zu haben, erheblich – und zwar negativ. Sie geht zudem außer mit einer physischen meist auch mit einer emotionalen Mehrbelastung einher. Und diese führt, sofern die Situation anhält, nicht selten dazu, dass die Mitarbeitenden sich mit der Zeit immer erschöpfter fühlen und teilweise sogar „ausbrennen“.
Eine Situation, die zum Beispiel viele Mitarbeitende von Krankenhäusern und Pflegeheimen kennen. Sie wissen aufgrund des akuten Fachkräftemangels bei ihren Arbeitgebern bei Dienstschluss oft schon: „Kaum bin ich zuhause, erfolgt ein Anruf, ob ich noch eine Zusatzschicht übernehmen kann oder am nächsten Tag früher kommen kann, weil ….“ Eine Arbeitssituation, die die Mitarbeitenden auf Dauer zermürbt und nicht selten letztlich dazu führt, dass sie irgendwann ihre Stelle oder gar ihren Beruf wechseln.
Die Mitarbeitenden frühzeitig informieren
Die im Journal „Personnel Psychology“ veröffentlichte Studie bestätigt, was viele Arbeitgeber bzw. Führungskräfte aus der Praxis wissen: Die Mitarbeitenden sind in der Regel bereit, im Bedarfsfall Mehrarbeit zu leisten – zumindest solange sie sich mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber identifizieren. Wichtig ist aber, dass ihr Leben und ihre Arbeit für sie weitgehend planbar bleibt und die Mehrarbeit nicht so überraschend wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf sie zukommt. Also zum Beispiel fünf Minuten vor Feierabend, denn dann haben sie für den restlichen Tag meist schon andere Pläne – und sei es nur die Einkäufe zu erledigen und für ihre Liebsten zu kochen. Dasselbe gilt zum Beispiel für das Wochenende.
Das Gespräch mit den Mitarbeitenden suchen
Deshalb sollten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden so früh wie möglich über eine (eventuelle) Mehrarbeit informieren. Das ist meist möglich: Denn wie viele Mitarbeitende wann in Urlaub sind und vertreten werden müssen, ist deren Arbeitgebern stets bekannt. Ebenso erfahren Führungskräfte in der Regel nicht erst am Freitagnachmittag, dass am Montagmorgen eine wichtige Sitzung ansteht, für die noch eine Präsentation zu erstellen ist. Ebenso wissen sie, dass das Besetzen einer vakanten Stelle in der aktuellen Arbeitsmarktsituation meist länger als ein, zwei Wochen dauert.
Also hätten sie meist auch ausreichend Zeit, um mit ihren Mitarbeitenden so früh über anstehende bzw. sich abzeichnende Belastungsspitzen zu sprechen, dass
- diese sich emotional auf die Mehrarbeit einstellen können und
- ihr sonstiges Leben so organisieren können, dass aus ihr keine Folgeprobleme für sie resultieren.
Ein weiterer Vorteil eines frühen Thematisierens ist: Dann können im Bedarfsfall noch eventuelle Alternativlösungen gefunden werden oder Unterstützungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden organisiert werden, die dazu beitragen, deren Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit zu bewahren.
Die Mitarbeitenden sind nicht nur Arbeitnehmer
Generell sollten Unternehmen die Bedeutung (soweit möglich) verbindlicher Arbeitszeitpläne für das Gros ihrer Mitarbeitenden nicht unterschätzen. Denn für all ihre Mitarbeitenden gilt: Sie sind nicht nur Arbeitnehmer; sie haben noch viele weitere „Hüte“ auf dem Kopf. Sie sind zum Beispiel auch
- Lebenspartner oder Singles auf Partnersuche,
- Eltern von Kindern oder Kinder pflegebedürftiger Eltern,
- Vereinsmitglieder oder ehrenamtlich tätig,
- stolze Haus-, Garten- oder Hundebesitzer,
- begeisterte Konzert- und Kinobesucher oder Kirch- oder Flohmarktgänger
- und, und, und…
Mehrarbeit zwingt Mitarbeitende, sich neu zu organisieren
Und all diese Rollen wollen oder müssen sie in ihrem Alltag unter einen Hut bringen. Entsprechend wichtig ist eine frühzeitige Information über eventuelle Belastungsspitzen, damit die Mitarbeitenden
- allen aus ihren verschiedenen Rollen resultierenden Anforderungen gerecht werden können und
- ihr Leben so planen und austarieren können, dass sie sich (noch) wohl in ihrer Haut fühlen.
Dies können sie nur, wenn sie wissen,
- wann muss ich arbeiten und wann nicht,
- an welchen Tagen bin ich nach der Arbeit so ausgelaugt, dass ich dieses oder jenes nicht mehr tun kann.
Die Mitarbeitenden auch als Menschen ernstnehmen
Deshalb sind Arbeitszeitpläne, die soweit möglich eingehalten werden, auch ein Signal an die Mitarbeitenden, dass sie auch als Mensch wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Und dies ist wiederum eine Voraussetzung dafür, dass sie sich (auf Dauer) mit ihrem Arbeitgeber identifizieren und auch bereit sind, dessen Bedürfnisse bei ihrer Lebensgestaltung zu berücksichtigen.
Deshalb sollten Führungskräfte, wenn eine potenzielle Mehrbelastung ihrer Mitarbeitenden – aus welchen Gründen auch immer – vorhersehbar ist, diese stets vorwarnen. Sie sollten diese zudem fragen, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen die Mehrarbeit mit ihren sonstigen Aufgaben und Interessen vereinbar ist. Denn nur wenn die Zusammenarbeit auf einem wechselseitigen Geben und Nehmen basiert, sind die Mitarbeitenden – zumindest auf Dauer – auch bereit, für ihren Arbeitgeber (bzw. ihr Team) ihr „Bestes“ zu geben; selbst, wenn dies partiell ihren persönlichen Interessen zuwiderläuft.
Die geleistete Mehrarbeit nicht als selbstverständlich erachten
Und noch ein Tipp: Es ist nicht selbstverständlich, dass Mitarbeitende Mehrarbeit bzw. Überstunden leisten (selbst wenn dies manche Arbeitgeber anders sehen). Also sollten Sie sich bei Ihren Mitarbeitenden auch für die von ihnen geleistete Mehrarbeit bedanken – selbst, wenn sie hierfür bezahlt werden oder einen Freizeitausgleich erhalten, denn: Auch Flexibilität ist in der modernen Arbeitswelt ein wertvolles Gut.
Zur Autorin: Sabine Prohaska ist Inhaberin des Beratungsunternehmens seminar consult prohaska. Die Autorin mehrerer Fachbücher unterstützt Unternehmen unter anderem bei Entwickeln einer neuen Lernkultur und Kultur der Zusammenarbeit in ihrer Organisation