Die Nachhaltigkeit hat eine bedeutende Rolle in der Wertschöpfungskette der Versicherer. Besonders die Kapitalanlage steht im Fokus, gefolgt vom Risikomanagement. Aktuell planen jedoch weniger Unternehmen ihre personellen Ressourcen in diesem Segment auszubauen. Gleichzeitig sieht die Einschätzung der aktuellen Bedeutung für den Unternehmenserfolg eher dürftig aus.
In der sechsten „Status quo“-Befragung des German Sustainability Network zur Rolle der Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche zeigt sich ein differenziertes Bild: Während Nachhaltigkeit weiterhin als zentral für den zukünftigen Erfolg der Unternehmen bewertet wird, bleibt die aktuelle Einschätzung ihres Erfolgsbeitrags überraschend zurückhaltend. Kein einziges der 43 befragten Versicherungsunternehmen sieht derzeit einen „sehr großen“ Beitrag von Nachhaltigkeit zum Unternehmenserfolg. Im Gegenteil – ganze 14 Prozent der Versicherer stufen den Beitrag aktuell als „sehr klein“ ein. Diese ernüchternde Perspektive verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit, trotz des erwarteten zukünftigen Potenzials, gegenwärtig nur begrenzten Einfluss auf die Unternehmensgewinne hat.
Nachhaltigkeit mit Schwerpunkten in Kapitalanlage und Risikomanagement
Die Umfrage bestätigt, dass die Kapitalanlage unverändert den Hauptfokus der Nachhaltigkeitsbemühungen bildet. Rund 67 Prozent der Versicherer sehen hier einen großen bis sehr großen Handlungsbedarf. Es folgen das Risikomanagement und das Underwriting, wo ebenfalls umfangreiche Anpassungen für nachhaltigere Geschäftsmodelle angestrebt werden. Andere Bereiche, wie die IT, bleiben im Vergleich dazu stark zurück – hier sehen nur wenige Versicherer unmittelbare Nachhaltigkeitsanforderungen.
Im Bereich Personal bleibt die Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert, doch deutet sich ein Wendepunkt an: „Erstmalig geben weniger als die Hälfte der Versicherungsunternehmen an, die personellen Ressourcen für das Thema Nachhaltigkeit erhöhen zu wollen.“ Dieser Rückgang deutet darauf hin, dass sich viele Versicherer inzwischen ausreichend aufgestellt sehen oder sogar verunsichert sind, wie sie das Thema in ihrer Struktur sinnvoll verankern können.
Überregulierung: Nachhaltigkeitsanforderungen unter Kritik
Besonders die steigenden regulatorischen Anforderungen an Nachhaltigkeit sorgen für Unmut in der Branche. Rund 88 Prozent der befragten Versicherer empfinden den Umfang der Regulierungen als „deutlich“ oder „eher zu viel“. Die Kritik betrifft nicht nur die Menge der Vorgaben, sondern auch deren Anwendbarkeit in der Praxis: „30 Prozent der Versicherer ordnen die ESG-Anforderungen als ‚gar nicht praxistauglich‘ ein.“ Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen, was die Unzufriedenheit verdeutlicht. Eine belastbare, praxisnahe Umsetzung bleibt also eine zentrale Herausforderung.
Barrierefreiheit und KI-Nutzung als weitere Themenfelder
Zunehmend rücken auch spezifische regulatorische Anforderungen wie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in den Fokus der Versicherer. Hier besteht allerdings noch Nachholbedarf: Während sich ein Drittel der Versicherer bereits in der Umsetzungsphase befindet, haben sich andere Unternehmen erst rudimentär mit den Anforderungen befasst. Ein Fünftel hat das Thema Barrierefreiheit sogar noch gar nicht adressiert, obwohl die Zeit bis zum Inkrafttreten im Sommer 2025 knapp wird.
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) und die Gefahr der Diskriminierung durch Algorithmen wurde ebenfalls untersucht. Die Befragung zeigt, dass rund ein Drittel der Unternehmen bereits KI-Algorithmen in präsenten Geschäftsbereichen integriert hat. Die Mehrheit befindet sich jedoch in einer Bestandsaufnahme, um eventuelle diskriminierende Auswirkungen zu evaluieren und sicherzustellen, dass KI-Einsätze fair und regelkonform gestaltet werden.