Die Berufsunfähigkeitsversicherung steht vor großen Veränderungen. Aufgrund der Erhöhung des Rechnungszinses haben die meisten Versicherer ihre Preise im Januar 2025 angepasst. Demnach seien die Preise im Median um etwa sieben Prozent gesunken. Welche prekäre Situation derweil Munich Re-Analysen offenbaren, erklärt Patrick Dahmen, Geschäftsführer bei der Unternehmensberatung Valytics.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) erlebt derzeit einen intensiven Preiskampf. Versicherer passen ihre Tarife an, während sie gleichzeitig mit Herausforderungen in Bezug auf Ertrag und Risiko konfrontiert sind.
Im Zuge der Anhebung des Rechnungszinses von 0,25 Prozent auf 1,0 Prozent haben die meisten BU-Versicherer zu Januar 2025 ihre Preise angepasst. Unsere Analysen zeigen, dass die Preise für die Kunden im Median um rund sieben Prozent gesunken sind. Dabei ist eine gewisse Spreizung am Markt erkennbar: So haben Versicherer, wie die Stuttgarter, die Swiss Life oder der Volkswohlbund, die Preis deutlich stärker abgesenkt, einige wenige Versicherer wiederum haben im Mittel die Preise erhöht. Die Stuttgarter Lebensversicherer erklärt beispielsweise in ihrer Pressemitteilung, dass durch die Rechnungszinserhöhung sowie die Änderung in der Berufsgruppenzuordnung sich bis zu 40 Prozent Prämienreduktion ergeben kann.
Unsere Berechnungen legen nahe, dass durch die Anhebung des Rechnungszinses eine maximale Beitragsreduktion von 10–11 Prozent bei gleichbleibender Ertragsmarge möglich gewesen wäre. Daraus lässt sich ableiten, dass die Branche im Durchschnitt etwa 60 Prozent der Vorteile aus der Rechnungszinserhöhung an die Kunden weitergegeben hat, während 40 Prozent zur Stärkung der eigenen Ertragskraft verwendet wurden – ein Schritt, der notwendig und sinnvoll ist.
Marktentwicklung und Herausforderungen
Analysen der Munich Re zeigen eine bemerkenswerte Entwicklung: Zwischen 2017 und 2023 ist trotz einer Absenkung des Rechnungszinses die durchschnittliche BU-Zahlprämie um 14 Prozent gesunken ist. Gleichzeitig wurden die Leistungen aufgrund höherer Rating-Standards verbessert. In einigen Berufsgruppen war diese Entwicklung besonders ausgeprägt: zwischen 2008 und 2022 sank der Durchschnittspreis für eine BU-Absicherung von 1.000 € monatlich bei Bankkaufleuten um ein Drittel und bei Elektroingenieuren sogar um die Hälfte. Aus Ertrags- und Risikoperspektive führt dies zu einer prekären Situation. Bei den Top-BU-Tarifen liegt die Zahlprämie für stark nachgefragte Berufe, wie Bürokaufleute, laut Munich Re-Analysen oft nur auf dem Niveau der Best-Estimate-Schätzung – ohne Berücksichtigung von Kosten oder Ertragsmargen. Eine solche Entwicklung ist langfristig nicht tragbar.
Leistungsanpassungen und Differenzierungen im Wettbewerb
Während der Preis sicherlich im Januar der wichtigste Parameter in der Wettbewerbspositionierung war, spielten Leistungsanpassungen ebenfalls eine gewisse Rolle, u.a. bei Dialog und Signal Iduna. So hat Signal Iduna ihre Produktfamilie SI Work Life zur Arbeitskraftabsicherung erweitert, u. a. durch den Verzicht auf die Umorganisationsprüfung bei Selbstständigen in kleineren Betrieben, eine verlängerte Prüfzeit der Teilzeitklausel (5 Jahre anstelle der bisherigen 12 Monate) und eine erweiterte Infektionsklausel.
Ein weiterer Trend ist die stärkere Differenzierung der Berufs- und Risikogruppen im BU-Pricing. Der Volkswohlbund hat beispielsweise Berufsklassen durch Tarifstufen ersetzt. In die Beitragsberechnung fließen jetzt u. a. Angaben zur Ausbildung, Anteil der Bürotätigkeit und die Personalverantwortung stärker ein. Der Abfragezeitraum bei psychischen Erkrankungen wurden auf fünf Jahre reduziert.
Trends in der Arbeitskraftabsicherung
Neben der klassischen Berufsunfähigkeitsversicherung gewinnt auch die Grundfähigkeitsversicherung zunehmend an Bedeutung, um weitere Zielgruppen anzusprechen. Die Zurich Gruppe Deutschland hat beispielsweise ihre Grundfähigkeitsversicherung überarbeitet mit dem Ergebnis, dass nach eigenen Angaben der Zahlbeitrag für alle Risikoklassen um bis zu 18 Prozent sinkt.
Interessant ist auch die am Markt erkennbare, weiter fortschreitende Verschränkung der Grundfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsversicherung. So kann bei Zurich zu Beginn der ersten Berufstätigkeit, nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung oder des Studiums die Grundfähigkeitsversicherung bis zum 30. Lebensjahr ohne erneute Gesundheitsprüfung in eine selbständige BU umgewandelt werden. Dieser Trend wird auch in den Ankündigungen der Swiss Life bestätigt. „Aktuell bemerken wir, dass es in der Beratung nicht nur auf das eine konkrete Produkt ankommt, sondern auf einen Mix aus beiden Welten – BU und Grundfähigkeit – um die Absicherung von Tätigkeiten (BU) und Fähigkeiten (GF) ideal zu kombinieren“, erläuterte Stefan Holzer, Leiter Market Management Versicherung und Mitglied der Geschäftsleitung von Swiss Life Deutschland.
Fazit: Herausforderungen und Handlungsbedarf
Der Markt für Arbeitskraftabsicherung bleibt hart umkämpft, während sich der Druck auf das Ertrags- und Risikoprofil biometrischer Produkte weiter erhöht hat. Versicherer müssen daher sämtliche Hebel nutzen, um Ertrag und Risiko nachhaltig abzusichern:
- Datenbasierte Risikoselektion: Hier sind in den kommenden Jahren weitere Innovationen zu erwarten.
- Differenzierte Analyse der Leistungsausgaben: Eine Betrachtung nach Neugeschäftsjahrgängen ist entscheidend, da adverse Entwicklungen im Vergleich zu den Best-Estimate-Annahmen oft durch ältere Bestände überlagert werden.
- Effizientes Leistungsmanagement: Trotz Kostendruck sollten keine Kürzungen bei Erstprüfungen vorgenommen werden. Auch eine konsequente Überprüfung laufender BU-Renten nach zwei bis drei Jahren ist essenziell, um Reaktivierungen zu ermöglichen.
Wer diese Maßnahmen nicht konsequent umsetzt, riskiert langfristig finanzielle Überraschungen im Bestand, wie es bereits in anderen Ländern wie Australien oder den Niederlanden beobachtet wurde.