Muss ein Beratungsverzicht eines Versicherers auf einem gesondertem Dokument stehen oder darf dieser auch auf vorformulierten Formularen erfolgen? Dieser Frage hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg gewidmet.
Im betroffenen Fall hatte ein Versicherungsnehmer eine fondsgebundene Basis-Rentenversicherung (Rürup-Rente) abgeschlossen. Vor dem Vertragsschluss hatte er mit einem Mitarbeiter des Versicherers ein rund 45-minütiges Telefongespräch geführt. Anschließend erhielt er ein vorab ausgefülltes Antragsformular, in dem das Feld „Ich verzichte auf die Beratung“ bereits angekreuzt war. Der Kunde unterschrieb das Formular, inklusive des Bereichs zum Beratungsverzicht. Daraufhin zahlte er einen Einmalbeitrag von 30.000 Euro.
Später machte er geltend, er sei falsch beraten worden und habe den Vertrag nicht abgeschlossen, wenn er umfassend über dessen Folgen informiert gewesen wäre. Er forderte Schadensersatz in Höhe von rund 31.000 Euro und eine Erstattung seiner Anwaltskosten. Das Landgericht Regensburg wies seine Klage jedoch ab, da er durch die eigenhändige Unterschrift nachweislich auf eine Beratung verzichtet hatte. Gegen diese Entscheidung legte der Versicherungsnehmer Berufung beim OLG Nürnberg ein, das jedoch keinen Erfolg versprach. Letztlich nahm der Kunde seine Berufung zurück.
Das Gericht stellte fest, dass der Verzicht auf eine Beratung gemäß § 6 Abs. 3 VVG nicht zwangsläufig in einer separaten Urkunde erklärt werden muss (Az.: 8 U 1684/24). Entscheidend sei, dass der Verzicht für den Versicherungsnehmer deutlich erkennbar war und eine bewusste Entscheidung ermöglichte. Dies war hier der Fall, da der entsprechende Abschnitt farblich hervorgehoben war und der Kunde ihn eigenhändig unterschrieben hatte.
Die Richter betonten außerdem, dass ein Versicherungsnehmer sich nicht nachträglich auf eine mangelhafte Beratung berufen kann, wenn er zuvor bewusst auf eine Beratung verzichtet hat. Ein solches Vorgehen widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben. Der Kunde habe zudem die Möglichkeit gehabt, die Unterlagen vor der Unterschrift eingehend zu prüfen, insbesondere das Produktinformationsblatt. Ein bloßes „Überfliegen“ dieser Dokumente sei kein ausreichender Grund, um später den Vertrag anzufechten.
Allerdings machte das OLG Nürnberg deutlich, dass ein Beratungsverzicht unwirksam sein kann, wenn ein klares Verhandlungsungleichgewicht zwischen Versicherer und Kunde besteht oder der Versicherer einen offensichtlichen Beratungsbedarf erkennen muss. In diesem Fall sei ein solcher Umstand jedoch nicht nachgewiesen worden.
„Ich schaue sehr kritisch auf die Entscheidung des OLG Nürnberg, weil der Fall im Wege eines Beschlusses nach § 522 ZPO entschieden und damit die Revision zum Bundesgerichtshof zumindest erschwert wurde. Die Tragweite dieser Entscheidung ist meines Erachtens so weitgehend, dass eine höchstrichterliche Überprüfung durch den BGH mehr als wünschenswert gewesen wäre. Denn diese Entscheidung lässt sich so auch auf den Beratungsverzicht für Vermittler gemäß § 61 Abs. 2 VVG übertragen und hat damit Auswirkungen auf die gesamte Branche.“, sagt Tobias Strübing, Fachanwalt für Versicherungsrecht von Wirth Rechtsanwälte. „Gerade bei komplexen und erklärungsbedürftigen Produkten wie der fondsgebundenen Basis-Rentenversicherung besteht doch ein hoher Verbraucherschutz und mit Sicherheit sehr häufig auch ein hoher Beratungsbedarf. Die fehlende Möglichkeit einer höchstrichterlichen Klärung erschwert nun aber weiter eine einheitliche Rechtsprechung und lässt Verbraucher, Vermittler und Versicherer mit Rechtsunsicherheiten zurück.“