Trotz einer verbesserten Bewertung schneidet das deutsche Gesundheitssystem schlechter ab als die Vorbildländer Niederlande, Schweiz und Schweden. Außerdem sind viele Deutsche mit der aktuellen Gesundheitsreform unzufrieden und kritisieren vor allem eine ungerechte Lastenverteilung - zu diesen Ergebnissen kommt der 5. Gesundheitsreport von "MLP".
Insgesamt beurteilen 70 Prozent der Bürger (2009: 64 Prozent) und 88 Prozent der Ärzte (2009: 82 Prozent) die derzeitige Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems als „gut“ oder „sehr gut“.
Höher sind die Werte mit 77 Prozent in den Niederlanden, 81 Prozent in Schweden und 93 Prozent in der Schweiz. Gleichzeitig haben mit 51 Prozent (2009: 59 Prozent) deutlich mehr Deutsche in den vergangenen zwei, drei Jahren eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung festgestellt als die Bürger in den Vergleichsländern (Niederlande: 34, Schweden: 20, Schweiz: 15 Prozent).
Ausgeprägter ist auch die Befürchtung, im Krankheitsfall auf eine notwendige Behandlung verzichten zu müssen: Während in der Bundesrepublik 42 Prozent diese Sorge äußern, sind es in Schweden 30, in den Niederlanden 21 und in der Schweiz lediglich 18 Prozent.
Ausgewählt wurden die Vergleichsländer unter anderem, weil Ärzte sie im "MLP"-Gesundheitsreport wiederholt als führend einstufen.
Befragte zweifeln am Erfolg der Gesundheitsreform
Deutliche Kritik äußern die Befragten an der jüngsten Gesundheitsreform, die zum 1. Januar 2011 in Kraft tritt.
Während in der Bevölkerung 75 Prozent daran zweifeln, dass die beschlossenen Maßnahmen die Finanzierung des Gesundheitssystems für längere Zeit sicherstellen, sind es bei den Ärzten sogar 93 Prozent.
Die mit der Reform ausgeweitete Möglichkeit für gesetzliche Krankenversicherungen (GKV), einkommensunabhängige Zusatzbeiträge zu verlangen, halten 82 Prozent der Bürger für ungerecht. Bereits heute zahlen 22 Prozent der gesetzlich Versicherten nach eigenen Angaben Zusatzbeiträge, weitere 38 Prozent rechnen in absehbarer Zeit damit. Von ihnen denken 25 Prozent über einen Wechsel ihrer Krankenkasse nach.
Positiv sehen 71 Prozent der GKV-Versicherten die von Bundesminister Philipp Rösler vorgeschlagene Ausweitung der Kostentransparenz.
Insgesamt bewerten Bevölkerung und Ärzte die Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung aber kritisch – 61 bzw. 73 Prozent haben „keinen guten Eindruck“.
Allerdings sind diese Werte im Vergleich zur Großen Koalition leicht verbessert (62 bzw. 87 Prozent). Auf die Frage, ob die Politik dauerhaft eine gute Gesundheitsversorgung sicherstellen kann, zeigten sich 80 Prozent der Ärzte (2009: 79 Prozent) und 77 Prozent der Bürger (2009: 79 Prozent) skeptisch. Zum Vergleich: In der Schweiz, den Niederlanden und Schweden ist die Skepsis mit 65, 63 bzw. 56 Prozent weniger ausgeprägt.
„Wir brauchen ein langfristiges Umdenken in der Gesundheitspolitik. Es gibt kein Patentrezept, das kurzfristig alle Probleme des Systems löst und sämtlichen Interessen gerecht wird. Aber das Beispiel Schweiz zeigt sehr gut, wie eine größere Eigenverantwortung der Versicherten zu einer hohen Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung führen kann“, sagte "MLP"-Vorstandsvorsitzender Dr. Uwe Schroeder-Wildberg bei der Vorstellung der Studie in Berlin.
Große Sorge vor weiteren Leistungseinschränkungen
Ein Grund für die aktuelle Unzufriedenheit mit der Politik ist die Lastenverteilung im Zuge der Gesundheitsreform – mehr als 70 Prozent der Bürger und Ärzte halten sie für ungerecht.
Zu stark belastet werden nach Einschätzung beider Gruppen die Versicherten (Bürger: 66 Prozent, Ärzte: 54 Prozent); dagegen kommen Pharmaunternehmen nach Ansicht von 61 Prozent der Bürger und 54 Prozent der Ärzte zu gut weg.
Unverändert hoch ist darüber hinaus die Sorge vor Leistungseinschränkungen: 42 Prozent der Deutschen machen sich Sorgen, im Krankheitsfall eine notwendige Leistung nicht verschrieben zu bekommen.
Gleichzeitig haben 38 Prozent der gesetzlich Versicherten, aber nur 9 Prozent der privat Versicherten das Gefühl, dass ihnen aus Kostengründen bereits Behandlungen oder Medikamente vorenthalten wurden. Auch 55 Prozent der Ärzte geben an, bereits aus Kostengründen auf eine medizinisch sinnvolle Behandlung verzichtet zu haben und sehen zu 72 Prozent ihre Therapiefreiheit bedroht.
Gefragt nach den Gründen für die finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenkassen geben 70 Prozent überhöhte Medikamentenpreise und 68 Prozent die demografische Entwicklung an. Dass viele Deutsche häufig unnötig zum Arzt gehen, glaubt mehr als jeder zweite Patient. Bestätigt wird diese Einschätzung von 70 Prozent der Ärzte.
Ärzte unterstützen stärkere Kostenbeteiligung der Versicherten
Aus der Umfrage kristallisieren sich mehrere Lösungsansätze zur Sicherstellung einer leistungsfähigen Gesundheitsvorsorge heraus. So unterstützen es rund zwei Drittel der Bürger, Versicherte stärker an Behandlungskosten zu beteiligen, die nicht zu Vorsorgeuntersuchungen gehen.
Ähnlich hoch ist die Zustimmung für den Vorschlag, dass Leistungen nicht mehr übernommen werden, die nicht unbedingt zur Heilung von Krankheiten notwendig sind.
Die Ärzte fordern zu 73 Prozent, Versicherte einen Teil der Kosten bis zu einer Obergrenze selbst zahlen zu lassen. Außerdem würden 69 Prozent die Einführung einer Positivliste für Medikamente begrüßen.
Positive Bewertung der privaten Krankenversicherung
Sind Sie mit Ihrer Krankenversicherung gut abgesichert? Diese Frage beantworteten 87 Prozent der privat Versicherten positiv – 28 Prozentpunkte mehr als unter den gesetzlich Versicherten.
Gleichzeitig sagen knapp drei Viertel der befragten Mediziner, dass sich Ärzte stärker um Privatpatienten bemühen. Für 75 Prozent der niedergelassenen Ärzte sind Privatpatienten für den Erfolg der eigenen Praxis „wichtig“ oder „sehr wichtig“.
Weiterhin hoch ist das Interesse an privaten Zusatzversicherungen: Derzeit erwägen 43 Prozent der gesetzlich Versicherten den Abschluss einer (weiteren) Police. „Dieses Ergebnis zeigt den Wunsch vieler Versicherter nach einer umfassenden und individuellen Absicherung“, sagte Uwe Schroeder-Wildberg.
Bevölkerung fordert Reform der Pflegeversicherung
In der Pflege glauben lediglich 15 Prozent der Deutschen, im gesetzlichen System ausreichend abgesichert zu sein; mehr als zwei Drittel fühlen sich unterversorgt.
Gleichzeitig fordert die Bevölkerung die Politik auf, die Pflegeversicherung zu reformieren: 64 Prozent sind der Meinung, dass das Thema in der Politik einen höheren Stellenwert einnehmen muss.
Die repräsentative Studie im Auftrag des Finanz- und Vermögensberaters MLP hat das Institut für Demoskopie Allensbach mit Unterstützung der Bundesärztekammer erstellt. Befragt wurden rund 1.800 Bundesbürger und mehr als 500 Ärzte. Erstmals wurden in diesem Jahr zudem repräsentative Bevölkerungsteile in den Niederlanden, Schweden und der Schweiz befragt.