Die Koffer sind gepackt und darin findet sich nicht das „Hawai“- sondern das Krankenhaushemd. Der Trend, sich im Ausland behandeln zu lassen, scheint sich vielmehr zu einer Gewohnheit zu entwickeln.
Laut einer aktuellen Studie der Online-Plattform expedition-service könnte sich jeder vierte gesetzlich Krankenversicherte vorstellen, im Ausland behandelt zu werden. 38 % der Männer stünden im Gegensatz zu 20% der Frauen einer Operation im Ausland offen gegenüber.
Jeder zweite TK-Versicherte, der eine Auslandsbehandlung durchführte, ließ sich in Tschechien oder Polen behandeln, meldet die TK nach eigenen Erhebungen bereits Ende Mai. Gründe sind dieser zufolge neben der Kombination mit dem Urlaub auch die geringeren Kosten.
Auslandsbehandlung und Kostenerstattung
Gezielte Behandlungen im Ausland sind nicht im Leistungsumfang der Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC) enthalten. Auch eine Vorauszahlung möglicher Behandlungskosten übernimmt keine Krankenkasse. Der Versicherte ist angehalten, die anfallenden Beträge zunächst auszulegen.
Nach mehreren Grundsatzurteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) können in Deutschland gesetzlich Versicherte aber eine Kostenerstattung für die Behandlung im Ausland beanspruchen (ausführliche Informationen zur Gesetzgebung des EuGH die gesetzlichen Krankenkassen betreffend bei der Bundeszentrale für politische Bildung.) Es müssen für die Erstattung alle nach deutschem Recht maßgeblichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sein. Mit anderen Worten: Zahlungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen dann erstattet, wenn sie auch in Deutschland getragen worden wären. Für die „gezielte Behandlung im Ausland“ muss im allgemeinen nach Antragstellung die Kostenzusage erfolgen. Nicht gezahlt werden nach deutschem Recht vorgesehene Zuzahlungen bzw. Eigenbeteiligungen sowie der Abschlag für Verwaltungskosten und Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Anträge und Zusatzversicherung
Bestimmte Leistungen wie Kuren, Krankenhausaufenthalte oder Zahnersatzversorgungen müssen im allgemeinen zuvor beantragt werden. Bei der Erstattung gilt das deutsche Recht: Erstattet wird nicht mehr, als die deutschen Vertragssätze. Deutsche im Ausland e.V. (DIA) gibt zu bedenken: „In der Praxis wird den Versicherten leider sehr oft von den Krankenkassen die Ermittlung des Kostenerstattungsbetrages intransparent bzw. unverständlich dargestellt.“ Die Bundesärztekammer rät, vor einer Behandlung einen Heil- und Kostenplan bzw. eine Gebührenvorausberechnung durch den Zahnarzt erstellen zu lassen. Dies kann dann mit der gesetzlichen Krankenkasse abgeklärt werden, um die Höhe von selbst zu tragenden Kosten zu ermitteln.
Die gesetzlichen Krankenkassen empfehlen häufig eine zusätzliche private Auslandskrankenversicherung. Diese privaten Zusatzversicherungen der gesetzlichen Krankenkassen bieten in einigen Tarifen die Kostenübernahme für gezielte ambulante Behandlungen im Ausland an - nach Vorleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass man beispielsweise bei einer Zahnzusatzversicherung, die auch im Ausland gilt, stets eine Wartezeit einrechnen muss, bis diese überhaupt greifen. Weiterhin gewähren sie teilweise nur für einen bestimmten Zeitraum den vollen Versicherungsumfang. Möglicherweise bedeutet der Medizintourismus für die deutschen Krankenkassen auch Einsparung, wenn die zu übernehmenden Behandlungskosten geringer als im Inland sind.
Wachstumsbranche Medizintourismus - Vorzüge und Risiken
Die jährliche Wachstumsrate des Medizintourismus beträgt um die 20%, berichtete die GEO in einem sehr ausführlichen Artikel im April diesen Jahres: Medizintourismus ist längst kein Randphänomen mehr und beschränkt sich nicht auf das europäische Ausland. Indien, Ungarn, Litauen, die Türkei, Kuba, Südafrika und Thailand, Malaysia und weitere Länder fördern diesen gezielt. Es gibt bereits professionelle Reiseagenturen, die sich auf den Medizintourismus spezialisiert haben. Gerade private Kliniken erfüllen die hohen internationalen Anforderungen an gute medizinische Versorgung - und dies zu günstigeren Konditionen. Häufig werden alternative Medizin und westliche Schulmedizin kompetent verknüpft.
Die Kehrseiten der Medaille: Mögliche Behandlungsfehler sind im Nachhinein juristisch und finanziell kaum kalkulierbar. Eine Berufshaftpflichtversicherung für Ärzte gehört nicht überall zum Standard, teilweise wird am Material gespart, TÜV-Zertifikate für Geräte und Einrichtung sowie qualitativ hohe Hygienemaßstäbe sind nicht in jedem Fall gewährleistet. Auch werden Risikooperationen viel häufiger durchgeführt. Dass notwendige Flugschonzeiten nach einer OP eingehalten werden, ist nicht immer garantiert.
Solange es keine weltweit einheitlichen Auflagen für medizinische Behandlungen und Qualitätsgarantien gibt, gilt für den „Medizintouristen“ in jedem Fall: Genaue Vorinformation über den Eingriff sowie eventuelle Risiken, Überprüfung der medizinischen Standards vor Ort sowie das Abwägen der sozialen und ethischen Vertretbarkeit der Behandlung. Zur möglichen Finanzierung einer Auslandsbehandlung ist die konkrete Absprache mit der jeweiligen Krankenkasse stets erforderlich.