Bei den Vertriebswegen von Lebensversicherungsprodukten in Deutschland haben sich im Jahr 2010 deutliche Verschiebungen ergeben. Der Bankvertrieb wurde erstmals zum wichtigsten Vertriebskanal, während der an eine einzige Gesellschaft gebundene Vertrieb (Ausschließlichkeitsorganisation, AO) und die unabhängigen Vermittler erhebliche Marktanteile verloren haben.
Von den 80 größten in Deutschland tätigen Lebensversicherungsunternehmen haben sich 52 an der Untersuchung von Towers Watson beteiligt. Die teilnehmenden Unternehmen repräsentieren rund 85 Prozent des gesamten Neugeschäfts im Jahr 2010 in Deutschland. Insgesamt ist das Neugeschäft gegen laufenden (d.h. regelmäßigen) Beitrag im Jahr 2010 konstant geblieben. Dagegen legten Produkte mit Einmalbeiträgen (sofort beginnende Rentenversicherungen, Kapitalisierungsgeschäft u. a.) deutlich um 34 Prozent zu.
Bankvertrieb in vielen wichtigen Produktsegmenten deutlich gewachsen
Der Vertrieb von Lebensversicherungen über den Bankschalter ist um 3,4 Prozentpunkte gegenüber 2009 angestiegen und erreichte einen Marktanteil von 32,1 Prozent, gemessen an Annual Premium Equivalent (APE=Summe aus laufenden Neubeiträgen und 10 Prozent der Einmalprämien). Dabei hat dieser Absatzkanal stark vom schwierigen Kapitalmarktumfeld 2010 profitiert: „Sofort beginnende und aufgeschobene traditionelle Rentenversicherungen sind derzeit für viele Kunden attraktiver als andere Anlageprodukte, denn sie stellen den Kunden Verzinsungen zwischen 3 und 4 Prozent in Aussicht“, erklärt Ulrich Wiesenewsky, Berater bei Towers Watson. „Die Banken haben daher Kundengelder aus anderen Anlageklassen in derartige Produkte umgeschichtet.“ Dadurch gab es im Jahr 2010 so deutliche Verschiebungen in der Vertriebswegestruktur wie zuletzt vor 5 Jahren: Damals hatten sich aufgrund der Reduzierung des Steuerprivilegs der Lebensversicherung die Marktstrukturen ebenfalls deutlich verschoben.
„Neben ihrem Erfolg mit Einmalbeitragsprodukten haben die Banken auch bei ausgewählten Produkten gegen laufenden Beitrag stark zugelegt, zum Beispiel bei Kapitallebensversicherungen und der bAV“, konstatiert Martin Baier, Berater bei Towers Watson und Autor der Studie.
Ausschließlichkeit und unabhängige Vermittler verlieren deutlich
Die Ausschließlichkeitsorganisationen haben ihre Anteilsgewinne aus dem Jahr 2009 wieder eingebüßt. Ihr Marktanteil ist 2010 um 1,9 Prozentpunkte auf 27,7 Prozent gesunken. Vor allem im Einmalbeitragsgeschäft ging dieser stark um 5,7 Prozentpunkte zurück: „Die AO hat in 2009 stark vom Wachstum bei Kapitalisierungsprodukten profitiert. 2010 war das Hauptwachstum im Markt jedoch bei traditionellen Rentenversicherungen, wo die AO nur einen Marktanteil von ungefähr 20 Prozent hat“, erklärt Baier.
Der unabhängige Vertrieb hat 1,5 Prozentpunkte verloren und kommt auf einen Marktanteil von 25,8 Prozent. Damit hat sich der Marktanteilsverlust des unabhängigen Vertriebs, der sich seit 2006 kontinuierlich vollzieht, beschleunigt. Ursache hierfür ist u. a. der Rückgang seines Anteils beim Einmalbeitragsgeschäft, der 2010 nochmals um 0,9 Prozentpunkte sank. Zwar sind die unabhängigen Vermittler nach wie vor wichtigster Vertriebsweg im Segment der Produkte gegen laufenden Beitrag (31,1 Prozent Marktanteil). „Jedoch leidet der freie Vertrieb unter dem allgemeinen Trend, dass sich das Neugeschäft zuletzt so stark in Richtung Einmalbeiträge verschoben hat“, so Baier. In der Prognose rechnet Towers Watson dennoch mit einer Erholung des unabhängigen Vertriebs.
Bei den weiteren Vertriebswegen haben sich nur wenige Veränderungen ergeben. Der Anteil der gebundenen Strukturvertriebe (weniger als fünf Produktpartner) ist leicht auf 6,2 Prozent gesunken. Der Direktvertrieb (auch via Internet) profitierte insbesondere vom deutlich gestiegenen Verkauf von Kapitalisierungsprodukten und steigerte seinen Anteil um 0,6 Punkte auf 4,3 Prozent.
Die Erwartungen der Teilnehmer: Makler und Banken gewinnen
Die Teilnehmer der Towers Watson-Studie sind der Meinung, dass Makler und Banken die besten Wachstumsaussichten für die kommenden Jahre haben. 63 Prozent bzw. 56 Prozent der Lebensversicherer erwarten eine steigende Bedeutung dieser Vertriebswege für ihr eigenes Unternehmen. Für die Ausschließlichkeit gehen zwei Drittel der Versicherer von einer Stagnation aus.
Die Aussichten: Veränderte Vertriebswelt
Eine Prognose, wie sich die Vertriebswegeanteile in den nächsten Jahren verändern werden, ist aus Sicht von Towers Watson aktuell besonders schwierig. Dies liegt zum einen am unsicheren Kapitalmarktumfeld, da die Attraktivität von Lebensversicherungen stark von der Rentabilität und Volatilität anderer Anlageprodukte abhängt. Zum anderen ist derzeit unklar, wie stark die zu erwartenden regulatorischen Änderungen, unter anderem die Novellierung der Vermittlerrichtlinie, die Vertriebswelt verändern werden.
Towers Watson geht davon aus, dass die unabhängigen Vertriebe in den nächsten Jahren wieder Marktanteile zurückgewinnen werden, während die Banken verlieren werden. Bereits kurzfristig profitieren die Unabhängigen zu Lasten der Banken vom Rückgang des Einmalbeitragsgeschäfts, wie ihn der GDV für 2011 prognostiziert. „Wir erwarten deutliches Wachstum der unabhängigen Vermittler, da sie hinsichtlich ihrer Produktschwerpunkte gut aufgestellt sind“, erklärt Ulrich Wiesenewsky. „Dazu gehören die bAV- und Berufsunfähigkeitsprodukte, aber auch die Fondsgebundene und moderne Garantieprodukte. Letztere werden aufgrund von Solvency II und sinkender Garantiezinsen mehr in den Fokus des Vertriebes rücken.“
Für die AO erwartet Towers Watson kurzfristig einen gleichbleibenden Marktanteil, langfristig aber einen weiteren Rückgang. Dies liege in erster Linie am schrumpfenden Kundenpotenzial. Das Breitengeschäft werde aufgrund vermutlich sinkender oder stagnierender Nettoeinkommen schwieriger. Zudem sinke die Kundenbindung an die Vertreter.