Institutionelle Investoren in Europa sehen ihr aktuell größtes Risiko auf 12-Monats-Sicht in der Marktvolatilität, gefolgt von Kreditrisiken bei Staatsanleihen und möglichen Kurseinbrüchen am Aktienmarkt. Das geht aus der jüngsten halbjährlichen "RiskMonitor"-Umfrage von "Allianz Global Investors" hervor. Noch vor sechs Monaten rangierten Zinsrisiken an erster Stelle, wohingegen Volatilität erst an vierter Position kam.
Mittlerweile betrachten 89% der Befragten die Volatilität als großes oder beträchtliches Risiko. Das sind 16 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Befragung. In vergleichbarem Maße nahmen die Sorgen bezüglich Staatsanleihen und weiter fallenden Aktienmärkten zu. Die Bonität von Staatstiteln wird inzwischen von mehr als einem Drittel der Befragten als großes Risiko wahrgenommen – damit ist der bisherige „safe haven“ zum Spitzenreiter aller Risikokategorien geworden.
Dr. Thomas Wiesemann, Chief Market Officer von AllianzGI in Europa, stellte dazu in einem Pressegespräch in Frankfurt fest: “Nahezu alle Indikatoren zeigen eine wachsende Beunruhigung im Hinblick auf Kapitalmarktrisiken, insbesondere eine hohe Sensibilität in Bezug auf die Volatilität. Eine Abkehr von Risiko-Assets birgt jedoch beträchtliche Gefahren für die institutionellen Anleger. Sie können dann nur unzureichend die Ertragsziele decken, die zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten notwendig sind. Nach Abzug der Inflation stehen möglicherweise sogar negative Ergebnisse. Dynamische Risikomanagement-Strategien sind für Anleger, die diese schwierige Marktphase mit einem begrenzten Risikobudget überwinden müssen, schlichtweg eine Notwendigkeit geworden.”
Das aktuelle Zinsniveau wird von 63% der Befragten als großes oder beträchtliches Risiko gesehen, deutlich mehr als steigende oder fallende Zinsen. Durchschnittlich werden fallende Zinsen von 42% und steigende Zinsen von 33% der Befragten als großes oder beträchtliches Risiko betrachtet.
Höhere Wahrscheinlichkeit von Extrem-Ereignissen
Die Umfrageergebnisse zeigen auch, dass deutlich mehr Anleger den Eintritt von Extrem-Ereignissen erwarten. Knapp 63% der Befragten sehen in sogenannten Tail-Risks ein großes oder beträchtliches Risiko, verglichen mit 48% noch vor sechs Monaten. Sechs Prozent gaben an, darin ihr größtes Risiko zu sehen. Wiesemann: “Anleger registrieren mit wachsendem Unbehagen, dass die Vernetzung der Risiken vor dem Hintergrund extremer Marktbewegungen zu vorher ‘undenkbaren’, d.h. systemischen Risiken führen kann.“ Der starke Anstieg in der Wahrnehmung von Kontrahentenrisiken (“großes oder beträchtliches Risiko” von 31% auf 57%) und Liquiditätsrisiken (“großes oder beträchtliches Risiko” von 22% auf 45%), die beide in normalen Marktphasen eher unkritisch gesehen werden, untermauert diese Interpretation.
Sorge um Staatsanleihen, aber Vertrauen in den Euro
Auch wenn 80% der Befragten denken, dass der Euro trotz der aktuellen Probleme überlebt, wird die Staatsschuldenkrise äußerst ernst genommen. Das Vertrauen in den Euro und die Sorge über die Bonität von Staatsanleihen gehen Hand in Hand, wie die Betrachtung auf Länderebene zeigt. Investoren in Italien, Frankreich und Deutschland sind am zuversichtlichsten hinsichtlich des Fortbestands der Gemeinschaftswährung (jeweils mehr als 90%) und gleichzeitig besonders beunruhigt über das Risiko von Staatstiteln. Annähernd 64% der Befragten in Frankreich, 57% in Italien und 43% in Deutschland stuften dies als „großes Risiko“ ein. Auf die Frage, welche Änderungen sie im Hinblick auf den Euro am wahrscheinlichsten halten, nannten 42% der Teilnehmer eine Stärkung der Stabilitätsmechanismen, 19% die Einführung von Euro-Bonds und 11% eine Fiskalunion. Ein Viertel der Befragten hält hingegen das Auseinanderbrechen der Eurozone für das wahrscheinlichste Szenario.
Risikomanagement neu denken
Mit 40% der Antworten ist Diversifikation die meistgenutzte Form des Risikomanagements, gefolgt von Risiko-Monitoring und Durationsmanagement (je 15%) sowie dynamischer Asset Allokation (12%). Die Investoren wurden auch gefragt, welches Risikokonzept ihrer Meinung nach am ehesten geeignet sei, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Interessanterweise halten nur 8% den traditionellen Ansatz, nach Anlageklassen zu unterteilen und dabei die Existenz einer risikofreien Asset-Klasse zu unterstellen, für am besten geeignet. Über ein Drittel (36%) halten das Risikomanagement entlang der den Anlagen gegenüberstehenden Verbindlichkeiten am geeignetsten, gefolgt von der Aufteilung nach Risikoarten (29%) und dem Risikomanagement nach Verlusttoleranz oder –wahrscheinlichkeit (25%).
Reinhold Hafner, Chief Executive Officer der AllianzGI-Tochter risklab, sagte dazu: “Diese Ergebnisse zeigen, wie weit institutionelle Anleger ihr strategisches Risikomanagement-Konzept entwickelt haben, allerdings gibt es Unterschiede hinsichtlich des Fortschritts bei der Umsetzung. Investoren sollten sich von statischen Risikokonzepten, die auf historischen Normalverteilungen beruhen, lösen und auf vorausschauende dynamische Lösungen setzen, die explizit Extrem-Risiken und das Zusammenlaufen von Korrelationen berücksichtigen. Dynamische Risikomanagement-Strategien, die über reine Diversifikation hinausgehen, haben sich in der Finanzkrise bewährt und werden weiter an Bedeutung gewinnen.”
Unbehagen hinsichtlich Regulierung und eigener Risikosteuerung wächst
Wie schon bei der letzten Umfrage wurden die Risiken hinsichtlich Regulierung und Governance deutlich geringer als die Finanzmarktrisiken bewertet. Dennoch wächst das Unbehagen im Hinblick auf striktere Vorgaben durch Regulatoren (was von einem Drittel der Befragten als großes oder beträchtliches Risiko gesehen wird) sowie auf begrenzte Ressourcen im eigenen Risikomanagement. Thomas Wiesemann fasst zusammen: “Die aktuellen Marktbedingungen setzen viele Investoren unter Druck und zwingen sie, ihre individuellen Investmentansätze zu hinterfragen. In solchen Phasen tritt der Mehrwert, den professionelle Vermögensverwalter durch ihre Beratung, Lösungen und Dienstleistungen bei der Erreichung der spezifischen Anlageziele erbringen können, besonders zutage. Um den Bedarf vieler Kunden nach integrierten Lösungen besser zu entsprechen, wird Allianz Global Investors die Expertise und langjährige Erfahrung in den Bereichen Risikomanagement, Altersversorgung und Fiduciary Management zusammenführen und in einer auf die Lösung komplexer Kundenanforderungen spezialisierten Einheit auf globaler Ebene bündeln.” Ab dem 1. Januar 2012 wird Thomas Wiesemann das „Global Solutions“-Geschäft führen und Reinhold Hafner wird dort die Funktion des Chief Investment Officer übernehmen.