Im letzten Jahr sorgte die Ergo-Vertriebstochter HMI für reichlich negative Schlagzeilen: Bei der Budapest-Orgie war sie ebenso beteiligt wie bei den massiven Falschberatungen in der betrieblichen Altersvorsorge. Ein Grund, sich von der Vertriebsorganisation zu trennen? Nein, sie wird einfach umbenannt.
Fällt der Name Ergo, dann denken viele Versicherungskunden nicht mehr nur an Versicherungsprodukte. Sie denken auch nicht an Michael Endes beliebte Kinderbuchfigur Momo, mit der sich die Ergo für ihre Kampagne „Versichern heißt verstehen“ als Musterschüler der Branche in Szene setzen wollte. „Ergo“ ist längst zum Inbegriff eines Versicherungsvertriebes geworden, der aus den Fugen geraten ist: maßlos, schamlos, nicht am Wohl des Kunden orientiert.
Lange Liste an Vorwürfen
Die Vorwürfe sind bekannt und boten im Jahr 2011 mehrere Monate Futter für die Boulevardmedien. Erst wurde im Mai eine organisierte Sexorgie für erfolgreiche Vertriebsmitarbeiter öffentlich, mit der die gesamte Versicherungsbranche pauschal ein Schmuddelimage aufgedrückt bekam. Die Kosten für die Sexparty hatte man sogar als Betriebsausgaben von der Steuer abgesetzt.
Später gesellte sich der Vorwurf des systematischen Betrugs hinzu – bei Riesterprodukten hatte die Ergo höhere Verwaltungskosten berechnet, als in den Prospekten ausgewiesen worden waren. Doch damit nicht genug: In der betrieblichen Altersvorsorge drängten Vertriebsmitarbeiter ihre Kunden zum Abschluss unvorteilhafter Verträge, weil diese höhere Provisionen versprachen.
Zumindest den Vorwurf systematischer Falschberatung bei bAV-Policen konnte die Ergo entkräften: Eine Prüfung des Wirtschaftsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) hatte ergeben, dass es sich um Einzelfälle handelte. Von rund 77.600 Arbeitgebern, mit denen Verträge geschlossen wurden, hatten nur rund 330 Arbeitgeber eine Benachteiligung zu beklagen.
HMI mischte bei Verfehlungen munter mit – und wird nun umbenannt
Immer wieder wurde bei diesen Skandalen auch die Vertriebsorganisation HMI genannt, der zu 40% als Strukturvertrieb arbeitet, zu 60% als Agenturvertrieb. Speziell der Strukturvertrieb der HMI geriet in die Kritik. Die HMI fiel durch aggressive Vertriebspraktiken auf („Je härter der Kampf, desto schöner der Sieg“) und war schnell als Bunga-Bunga-Vertrieb verschrien.
Ergo-Vorstand Rolf Wieswesser gestand gegenüber der Financial Times, dass man nach Bekanntwerden der Skandale durchaus über eine Trennung von der Vertriebstochter nachdachte. Doch letztendlich entschloss sich der Konzern, es weiterhin mit der skandalträchtigen HMI zu versuchen. Man habe tausende Mitarbeiter nicht für die Fehler einiger weniger zahlen lassen wollen, argumentierte Wieswesser damals gegenüber der Presse. Eine Trennung wäre für beide Seiten schmerzhaft gewesen: Immerhin 10.000 Vertriebsmitarbeiter beschäftigt die HMI als Tochterunternehmen der Ergo Lebensversicherung AG, sie sorgen derzeit für rund zwölf Prozent des gesamten Ergo-Umsatzes. Auch hätte die Ergo mehrere hundert Millionen Euro als Abfindung an die Vertriebsmitarbeiter zahlen müssen.
Um aber einen Schlussstrich unter die Skandale ziehen zu können, teilte die Ergo am Freitag mit, dass die Vertriebsorganisation HMI fortan in Ergo Pro umbenannt wird. Man hatte diese Umbenennung bereits vor mehreren Monaten angekündigt. Der Neuaufbau der Vertriebstochter wird damit vorgesetzt: Anfang 2012 mussten die früheren HMI-Gründer Wolfgang Thust, Manfred Rump und Herbert Knoll das Unternehmen verlassen. Zwar betonte die Ergo damals, dass die Verabschiedung der Vertriebsgründer nicht im Zusammenhang mit der Budapest-Sexaffäre stehe. In der Financial Times Deutschland war jedoch spekuliert worden, dass die Ergo weitere Enthüllungen über die HMI-„Urgeneräle“ befürchtet.
Ergo bekennt sich zum Vertrieb
Zumindest eines hat die Umbenennung der Vertriebstochter erreicht: Zukünftig wird sich die Ergo nicht mehr der Verantwortung für ihren Vertrieb entziehen können, wenn sie ihren Namen nun dem Vertriebspartner andient. Man hatte sich nach Bekanntwerden der Skandale auch immer hinter dem Argument versteckt, dass viele Verfehlungen in die Zeit der Hamburg Mannheimer fielen, somit einer vergangenen Epoche angehörten, die nicht im direkten Zusammenhang mit der aktuellen Versicherungspraxis des Konzerns stehe. So ist die Umbenennung auch als ein Bekenntnis der Ergo zu ihrer Vertriebstochter zu werten – und als Disziplinierungsmaßnahme: der Name sei laut Ergo-Vorstand Ludger Griese „ein sichtbares Zeichen für die Verpflichtung der Vertriebspartner, im Einklang mit dem Leitbild der Ergo Versicherungsgruppe zu handeln.“
Die neue Website von Ergo pro präsentiert sich demnach betont seriös und ist an das Design des Ergo-Mutterkonzerns angepasst. Man wirbt unter anderem mit vielfältigen Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbeiter, als zentrale Werte werden „Nähe, „Vertrauen“, „Transparenz“ „Begeisterung“ und „Persönlichkeitsentfaltung“ genannt. Qualitätsrichtlinien für den gesamten Ergo-Vertrieb waren bereits im August letzten Jahres vorgestellt worden und sind nach Eigenaussage von Vorstandschef Torsten Oletzky für alle Vertriebsmitarbeiter verbindlich. Ob es sich hierbei um Lippenbekenntnisse handelt, bleibt abzuwarten. "Versichern heißt überstehen“, kommentierte ein Versicherungsmakler auf unserer Homepage den Umgang der Ergo mit ihren Verfehlungen. Die Umbenennung kann man ähnlich kommentieren: „Versichern heißt vergessen“. Dass sich hinter dem neuen Namen der alte Strukturvertrieb versteckt, weitestgehend mit identischer Mitarbeiterstruktur - Das könnte spätestens bei Bekanntwerden neuer Skandale wieder zum Thema werden.
mw