Wolfgang Schäuble will sie nicht. Drei Länder machen Druck, um sie zu verhindern: Eigentlich sollten im April Neuwahlen in Griechenland stattfinden. Doch weil das griechische Volk gegen die Beschlüsse von EU und Troika stimmen könnte, sollen die Wahlen mit Hilfe des Sparpaketes verhindert werden.
Wenn Zweifler spätestens seit der Eurokrise befürchten, dass die EU gewillt und auch fähig ist, die Souveränität europäischer Länder anzutasten, vielleicht sogar Prozesse der demokratischen Willensbildung außer Kraft zu setzen, dann haben sie nun ein weiteres Argument für ihre schlaflosen Nächte. Eigentlich sollte Griechenland am 08. April ein neues Parlament wählen. Aber weil das griechische Volk möglicherweise nicht im Sinne von Troika und EU entscheidet, die Sparmaßnahmen in der Bevölkerung äußerst unpopulär sind, versuchen wichtige europäische Politiker diese Wahl zu verhindern.
Geberländer wollen keine Neuwahlen in Griechenland
So regte Finanzminister Wolfgang Schäuble gestern eine Verschiebung der Griechenlandwahl an. „Wer stellt denn sicher, dass Griechenland danach zu dem steht, was wir jetzt mit Griechenland vereinbaren?“, sagte Schäuble in einen Radiointerview mit dem SWR. Diese Forderung formuliert der CDU-Politiker mitten im Endspurt der Verhandlungen über ein neues Hilfspaket von rund 130 Milliarden Euro. Die griechische Übergangsregierung muss eine derartige Forderung zwangsläufig als Erpressung empfinden - der Rückhalt in der Bevölkerung ist ohne gering und würde mit einer Aussetzung der Wahl weiter schwinden, neue Ausschreitungen die Folge sein. So ist auch die heftige Reaktion von Finanzminister Evangelos Venizelos zu erklären, der vermutete, "bestimmte Mächte" wollten das Land aus der EU drängen.
Doch mit seiner demokratieskeptischen Position ist Wolfgang Schäuble nicht allein. Wie die Financial Times Deutschland in ihrer heutigen Donnerstagsausgabe berichtet, üben auch andere Staaten Druck auf die griechische Regierung aus. So wollen die nördlichen Geberstaaten Finnland und Niederlande eine Verschiebung des Hilfspaketes bewirken, so dass die Gelder erst nach der Wahl im April abrufbar sind– um notfalls eine Auszahlung der Gelder zu verhindern, falls die neue Regierung das beschlossene Sparpaket in Frage stellt.
EU-Politik zunehmend in der Kritik
Betrachtet man die Signalwirkung für die Europäische Union, so lässt Wolfgang Schäuble genau zum falschen Zeitpunkt die Muskeln spielen. Die Kritik am einseitig verordneten Sparpaket für Griechenland hält seit Monaten an, das Krisenmanagement von Troika und Übergangsregierung erweist sich zunehmend als unwirksam. Gestern wurden neue Horrorzahlen für das Jahr 2012 öffentlich, Experten der Berenberg Bank erwarten ein Schrumpfen der griechischen Wirtschaft um 7,5 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt ebenfalls auf ein Rekordhoch von knapp 21 Prozent, viele Menschen verarmen.
Die Abwärtsspirale könnte sich sogar beschleunigen, wenn die aktuellen Sparpläne wie geplant umgesetzt werden. Bis zum Jahr 2016 sollen 150.000 Menschen ihre Stelle im öffentlichen Dienst verlieren. Auch der Mindestlohn im Privatsektor wird um 22 Prozent gekürzt, von 750 auf 586 Euro. Für ein Land mit schwachen Exportzahlen ist es Gift, die Inlandsnachfrage mit derartigen Maßnahmen abzuwürgen.
Je rigoroser jedoch die Geberländer von Griechenland weitere Sparmaßnahmen fordern, desto heftiger müssen sich die Krisenmanager der EU Inkompetenz vorwerfen lassen – sogar, dass sie die Schuldenkrise mit ihrem verordneten Zwangskorsett weiter verschärfen. „Die eigentliche Ursache für die Krise ist die völlig unzureichende Wirtschaftskraft des Landes“, schlussfolgerte etwa die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einem Aufsatz, den wir zu Beginn dieses Jahres auf unserer Homepage veröffentlichten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung forderte sogar eine „Nachholende Industrialisierung“ für Griechenland. Einseitige Sparmaßnahmen würgen hingegen das Wirtschaftswachstum weiter ab. Wie ein Aufschwung der griechischen Wirtschaft erreicht werden soll, dafür haben Geberländer und Troika bisher keine überzeugenden Konzepte vorgelegt.
Hat die EU ein Problem mit der demokratischen Willensbildung?
Zum Vorwurf der wirtschaftlichen Inkompetenz gesellt sich jedoch ein weiterer Verdachtsmoment, der noch schmerzhafter auf der Europäischen Union lasten könnte – nämlich, dass es unter bestimmten Bedingungen erforderlich sein kann, die Demokratie außer Kraft zu setzen. Bereits im letzten Jahr kamen in Italien und Griechenland mit Mario Monti und Loukas Papademos zwei Technokraten an die Macht, die nicht durch demokratische Wahlen legitimiert waren. Ausgangspunkt war in Griechenland der Streit um eine Volksabstimmung, die unbedingt verhindert werden sollte. Als am Sonntag mehrere Abgeordnete der griechischen Regierungsparteien gegen das verordnete Sparprogramm von EU und Troika stimmten, wurden sie unmittelbar aus ihren Parteien ausgeschlossen – obwohl Abgeordnete des Parlaments frei und nach eigenem Gewissen entscheiden sollen. Nun erscheinen die Hilfsgelder als Erpressungsmittel, um eine demokratische Willensbildung in Griechenland zu verhindern. Dass Deutschland bei dieser Beschneidung der Bürgerrechte eine Schlüsselrolle einnimmt, sollte zumindest zu denken geben.Mirko Wenig