Man stelle sich vor, in den eigenen vier Wänden ist die Party des Jahrhunderts und gerade wenn es am Schönsten ist, wird man vom Türsteher höflich nach draußen befördert. So oder so ähnlich müssen sich die beiden Gastgeberländer der Europameisterschaft 2012, Ukraine und Polen, fühlen. Doch was war bisher los in den Vorrundenspielen? Der Versicherungsbote hat eine kleine Zusammenfassung zusammengestellt.
Mit hohen Erwartungen waren beide Teams in die EM gestartet. Während die Polen gespickt mit drei Dortmunder Meisterspielern nur im Auftaktspiel zu überzeugen wussten und nach zwei Unentschieden und einer Niederlage die Segel streichen mussten, scheiterten die Ukrainer eher unglücklich in der Vorrunde.
Gruppe A: Der letzte Spieltag stellt das Geschehen auf den Kopf!
In Gruppe A schienen die Rollen im Vorfeld klar verteilt – zumindest nach dem ersten Spieltag. Russland und Polen wollten unter sich den Gruppensieg ausmachen und die Tschechen und Griechen an den Katzentisch verbannen. Doch es kam anders. Griechenland überzeugte wie 2004 in Portugal mit gnadenloser Effektivität und schickte die hochgelobten Russen im letzten Spiel mit 1:0 nach Hause. Bundestrainer Jogi Löw stellte fast konsterniert fest, dass der Viertelfinalgegner der deutschen Mannschaft eine nahezu perfekte Chancenverwertung hatte.
Deutschland sollte also gewarnt sein. Zumal aus griechischen Kreisen zu erfahren war, dass man die Akropolis im eigenen Strafraum aufbauen will. Jogi Löw bleibt dann wohl nur die Lösung mit dem Trojanischen Pferd. Der zweite große Gewinner der Gruppe A: die Mannschaft aus Tschechien. Im Auftaktspiel noch am Nasenring von den spielstarken Russen durch die Arena gezogen, wurden anschließend Griechenland und Polen besiegt. Nicht immer überzeugend, aber sehr effektiv. Es könnte die Europameisterschaft der Minimalisten werden.
Gruppe B: Oranje ausgequetscht wie eine Apfelsine
Der große Verlierer der Gruppe B ist die niederländische Mannschaft. In der von allen Experten ausgerufenen Todesgruppe lieferte die Mannschaft um die offensiven Superstars Wesley Sneijder, Arjen Robben, Rafael van der Vaart und Robin van Persie eine Magerkost, die auch den Fußball-hungrigen Anhängern der Oranje keinen Appetit auf mehr machte. Vor allem defensiv konnte nie das Niveau vorheriger Turniere erreicht werden. Abseits des Platzes präsentierte sich die Mannschaft als zerstritten; ohne Punkte reisten die Oranjes wieder nach Hause. "Wir haben dreimal verloren, ein schlechtes Turnier gespielt und es nicht verdient, weiterzukommen“, sagte Rafael van der Vaart nach dem Portugal-Spiel. "Das ist eine Schande. Jeder von uns muss jetzt in den Spiegel blicken."
Überraschend stark präsentierten sich hingegen die Dänen. Gut organisiert bereitete die Mannschaft von Morten Olsen auch der deutschen Nationalmannschaft große Probleme. Allein in der Vorwärtsbewegung zeigte das "Danish Dynamite" Schwächen und wollte nicht so recht zünden: Gefahr drohte oft nur nach Standardsituationen. So zog letztendlich auch die deutsche Elf mit drei Siegen souverän in die Runde der letzten Acht ein.
Überzeugen konnte streckenweise auch die europäische Seleção. Portugals Superstar Christiano Ronaldo scheint nun endlich sein Turniertrauma abgelegt zu haben und führte seine Mannschaft mit zwei Toren gegen die Niederlande ins Viertelfinale. Da verlor auch die portugiesische Presse ihre Zurückhaltung und sprach von einer „Wiedergeburt“ des Fußballstars, der in vorherigen Welt- und Europameisterschaften so oft enttäuscht hatte. „Jetzt wird Ronaldo nur noch besser“, prophezeite die Zeitung „Diario de Noticias“. Und Staatschef Anibal Cavaco Silva gratulierte zum Weiterkommen in der Todesgruppe, als hätte Portugal den Titel bereits gewonnen.
Der holländischen Mannschaft gaben die portugiesischen Medien noch eine besondere Demütigung mit auf den Weg nach Hause: Ronaldo habe die Oranje "ausgequetscht wie eine Apfelsine", schrieb ein Sportblatt. Die Apfelsine war diesmal eine bittere Frucht.
Gruppe C: Die irischen Fans sind trotzdem Europameister
In Gruppe C überraschte Italien den amtierenden Welt- und Europameister Spanien. Nach den heißen Diskussionen im Vorfeld um den italienischen Wettskandal, hatte man dem Weltmeister von 2006 nur Außenseiterchancen zugestanden. Doch mit einer flexiblen Dreier- und Fünferkette in der Defensive, gepaart mit schnellem Umkehrspiel in der Offensive wurden die Iberer vor große Probleme gestellt. Daraus resultierte eines der besten Spiele der diesjährigen Europameisterschaft.
Maß aller Dinge blieben dennoch die Spanier. Im Spiel gegen Italien trat man das erste Mal ohne echte Spitze im Vier-Sechs-Null und stellte damit eine taktische Neuerung zur Schau. Nicht immer zur Freude der Anhänger: Im letzten Gruppenspiel gegen die starken Kroaten tanzte Spanien auf der Rasierklinge, ein Ausscheiden schien möglich. Kam jedoch mit Hilfe von etwas Fortune und einem nichtgegeben Elfmeter als Gruppensieger ins Ziel. Die Kroaten, die wie so oft mit großem Herz spielten und sich sogar gegen den amtierenden Welt-und Europameister ein leichtes Chancenplus erarbeiteten, mussten hingegen die Heimreise antreten – und machten den deutschen Schiedsrichter Wolfgang Stark für ihr Ausscheiden mitverantwortlich.
Besonders positiv zu erwähnen in dieser Gruppe sind die Iren. Trotz dreier Niederlagen kämpften sie mit fairen Mitteln und wurden dabei sensationell von den mitgereisten Fans unterstützt. Beim Stand von 0:4 gegen Spanien sangen und feierten sie ihre Mannschaft und machten dieses Spiel für alle Zuschauer zu einem außergewöhnlichen Erlebnis. Als die irischen Anhänger die Hymne „Fields of Athenry“ anstimmten, da war auch der deutsche Fernsehkommentator Tom Barthels ergriffen und schwieg minutenlang – damit haben sich zumindest die irischen Fans den Europameistertitel gesichert.
Gruppe D: Großer Kampf und Krampf – Doch ein Andrej ist nicht genug
Angeführt vom ewigen Andrej Schewtschenko, der die schwedische Mannschaft fast im Alleingang abschoss, lebte die Hoffnung der Ukraine auf ein Weiterkommen in Gruppe D bis zur wohl entscheidenden Szene des Spiels gegen England. Englands Ex-Kapitän, John Terry, wehrte einen Schuss des freistehenden Devic hinter der Linie ab. Obwohl mittlerweile speziell geschulte Torrichter am Pfosten das Geschehen beobachten, wurde der Treffer nicht gegeben. Zur Ehrenrettung der Schiedsrichter sei dazu gesagt, dass sich der Ball nur einen Bruchteil einer Sekunde hinter der Linie befand und sich zudem ein ukrainischer Angreifer in der vorhergehenden Situation im Abseits befand - sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit.
Für die Engländer scheint es eine unendliche Geschichte mit solchen Toren zu sein. Beginnend mit dem Wembley-Tor, über den klaren Treffer von Frank Lampard und das damit verbundene Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft 2010 gegen die deutsche Elf und nun der nichtgegebene Treffer von Donezk. Die Engländer setzten sich etwas überraschend als Gruppenerster in Gruppe D durch.
An zweiter Stelle kamen die hoch dotierten Franzosen weiter, die bis dato noch nicht zu überzeugen wussten. Das Spiel zwischen England und Frankreich, von vielen Beobachtern als „Klassiker“ freudig erwartet, gehörte sogar zu den bisherigen Tiefpunkten dieser Europameisterschaft: Viel Krampf, viel Ballgeschiebe, wenig Ideen auf beiden Seiten. Die Fans auf den Rängen bekamen von dem müden Kick trotzdem keine Wadenkrämpfe. Speziell die englischen Supporter feierten das magere 1:1 wie einen Sieg: Die englische Nationalmannschaft fuhr dank großen Verletzungspechs geschwächt zur EM. Alle Abschlusstabellen der Vorrunde finden Sie auf unserer Tippkick-Seite.
Im Viertelfinale treffen nun folgende Mannschaften aufeinander.
- 21.06. 20:45 Uhr Tschechien – Portugal
- 22.06. 20:45 Uhr Deutschland – Griechenland
- 23.06. 20:45 Uhr Spanien – Frankreich
- 24.06. 20:45 Uhr England – Italien
Eine Vorrunde macht noch keinen Europameister
Für die deutsche Mannschaft, die in den hiesigen Medien eher schlecht weg kam, beginnt nun das Turnier richtig. Anno 2000 stolperte die deutsche Nationalelf über den Platz, holte einen glorreichen Punkt gegen Rumänien und schied sang und klanglos aus. Damals war von deutschem Rumpelfussball die Rede. Eine deutsche Zeitung bildete die Spieler gar als Bratwürste ab.
Anschließend wurden Trainerfindungskommission und ein nachhaltiges Nachwuchskonzept auf den Weg gebracht. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet, werden die Früchte der Saat geerntet. Doch Vorsicht ist geboten. Mit jedem guten Spiel steigen in der Bevölkerung und in den Medien die Erwartungen. Nicht nur erfolgreich sollen Jogis Mannen spielen, sondern auch noch schön. Dass man in Schönheit sterben kann, haben die Niederlagen von Barcelona und Bayern München gegen den Championsleague-Sieger FC Chelsea gezeigt.
„Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss.“
Fakt ist: die deutsche Mannschaft ist eine der jüngsten Mannschaften der EURO 2012, hat sich in der stärksten Gruppe schadlos gehalten und ist mit neun Punkten souverän in die KO-Runde eingezogen. Dabei wurden sicherlich einige Reserven nicht vollends ausgeschöpft: Mit Reus und Götze sitzen hoffnungsvolle Talente auf der Bank, Toni Kroos und Miroslav Klose kamen bisher nur zu Kurzeinsätzen. Schlecht gespielt hat man dagegen nicht. Klug, taktisch diszipliniert und reif sind Attribute, die den deutschen Stil aktuell prägen. Daran kann auch die überkritische Berichterstattung der deutschen Medien nichts ändern, die trotz der Siege viel zu bemängeln hatte. „Permanent werden Fehler gesucht“, kritisierte folglich auch Thomas Müller das Medien-Echo. "Mir kommt es so vor, als ob wir uns auch für den Gewinn des EM-Titels noch schämen müssten", sagte der Bayern-Profi.
Speziell in den großen Spielen, wie zum Beispiel zuletzt gegen England oder Argentinien verstand es unsere Mannschaft zu überzeugen. Wir wünschen uns deshalb mehr Geduld und Vertrauen in die Arbeit der deutschen Nationalmannschaft und in das Trainerteam, die uns in den vergangenen Jahren immer wieder mit erfolgreichem und schönem Fußball beschenkt haben. Vertrauen wir gemeinsam, als deutsche Fans, auf ein Zitat von Englands Fußballlegende, Gary Lineker: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen.“