Grund zur Sorge für Versicherer?

Quelle: Deutscher Ring

In dem Verfahren der Verbraucherzentrale Hamburg gegen das Versicherungsunternehmen Deutscher Ring (Tochter der Schweizer Baloise) auf Grund zu gering gezahlter Rückkaufswerte hat der Bundesgerichtshof nun ein Urteil gefällt (Az IV ZR 201/10).

Demnach sind Klauseln in den Versicherungsbedingungen zur Bestimmung der Rückkaufswerte insbesondere hinsichtlich Abschlusskosten und Stornoabschlägen intransparent für den Kunden und damit unwirksam (Versicherungsbote.de berichtete:BGH-Urteil verunsichert Branche).

Wie kam es zu dem Urteil?

Das aktuelle Urteil stellt eine Weiterentwicklung der Urteile des BGH zu Klauseln in den Versicherungsbedingungen von kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen aus den Jahren 2001 (Az IV ZR 121/00) und 2005 (Az IV ZR 162/03) dar. Diese bezogen sich auf Verträge, welche im Zeitraum 1994 bis 2001 abgeschlossen wurden. Für diese wurde die Erhebung eines Stornoabschlages als unzulässig erklärt. Zudem wurde, um eine Benachteiligung des Kunden durch die frühzeitige Tilgung der Abschlusskosten zu vermeiden, ein Mindestrückkaufswert festgelegt. Dieser wurde definiert als 50 Prozent des Deckungskapitals, welches sich bei einer gleichmäßigen Verteilung der Abschlusskosten über die gesamte Vertragslaufzeit ergibt.
Im Rahmen seines aktuellen Urteils schloss der BGH nun die rechtliche Lücke hinsichtlich Mindestrückkaufswerten und Stornoabschlägen für Verträge, welche im Zeitraum 2001 bis 2007 abgeschlossen wurden, da für ab 2008 abgeschlossene Verträge abweichende Bedingungen auf Basis des reformierten Versicherungsvertrags-Gesetzes (VVG) gültig sind.
Welche Konsequenzen diese Unwirksamkeit auf die gewährten Rückkaufswerte im Detail hat, wird durch das BGH in dessen Urteilsbegründung noch zu konkretisieren sein.

Was kritisieren die Versicherer?

Die im Rahmen der Urteile beanstandeten Klauseln beziehen sich im Wesentlichen auf zwei versicherungsmathematische Verfahren, die sogenannte Zillmerung und den Stornoabschlag.
Die Zillmerung beschreibt ein Verfahren, bei dem die für einen Vertrag anfallenden Abschlusskosten schnellstmöglich durch die Beiträge des Versicherungsnehmers getilgt werden sollen. D.h. die Anteile der ersten Prämien des Versicherungsnehmers, welche nicht zur Deckung von Versicherungsleistungen und Verwaltungskosten benötigt werden, werden nicht zum Aufbau einer Deckungsrückstellung, sondern zur Deckung von (durch den Versicherer vorfinanzierten) Abschlusskosten verwendet. Hierdurch baut sich in den ersten Vertragsjahren das Deckungskapital äußerst langsam auf, weshalb bei einer Stornierung in diesem Zeitraum nur geringe Summen ausgezahlt werden.

Durch den Stornoabschlag, d. h. einen prozentualen Abschlag auf das ausgezahlte Kapital, soll im Wesentlichen eine Benachteiligung von Bestandskunden durch die vorzeitige Stornierung anderer Kunden verhindert werden. Dieser wird durch eine mögliche Antiselektion („gute“ Risiken stornieren, „schlechte“ Risiken verbleiben im Bestand) und die Entschädigung für kollektiv gestelltes Risikokapital begründet.

Grund zur Sorge für Versicherer?

Wie viele Verträge sind betroffen?

Schon jetzt wird spekuliert, welche Verträge konkret betroffen sind und wie hoch die möglichen Rückforderungen durch Versicherungskunden ausfallen können. Eine exakte Aussage wird erst nach Veröffentlichung der detaillierten Urteilsbegründung durch den Bundesgerichtshof möglich sein. Der Deutsche Ring als Beklagte gab in einer ersten Stellungnahme bekannt, dass von den eine Million abgeschlossenen Verträgen im Zeitraum 2001 bis 2007 ca. 5 Prozent betroffen seien. Dieser Anteil kann sich zwischen den Versicherern der Branche jedoch deutlich unterscheiden. Schließt man sich der Interpretation des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) an, wonach das Urteil nur für im Zeitraum 2001 bis 2007 abgeschlossene Verträge gültig ist, und beschränkt sich auf klassische und fondsgebundene Kapitallebens- und Rentenversicherungen, so ergibt sich ein relevantes Neugeschäft von 36,6 Millionen Verträgen. Man nehme nun an, dass der Anteil der Rückkäufe und Beitragsfreistellungen des Gesamtbestandes auch für die Neugeschäftsverträge der Jahre 2001 bis 2007 gültig ist.
Dies ist eine eher konservative Schätzung, da die Stornoquote über die Dauer der Vertragslaufzeit im Allgemeinen eher rückläufig ist, also in den ersten Vertragsjahren eher über der durchschnittlichen Quote im Gesamtbestand liegt. Diese Stornoquote in Anzahl der Verträge lag im betrachteten Zeitraum im Mittel bei 3,2 Prozent. Unter diesen Annahmen wurden zwischen 2001 und 2007 zwölf Prozent der Neugeschäftsverträge des gleichen Zeitraums wieder gekündigt, also ca. 4,5 Millionen Verträge.

Welche Rückforderungen kommen auf die Versicherer pro Vertrag zu?

Dies lässt sich nicht pauschal beantworten. Selbst unter der Annahme, der Bundesgerichtshof würde das Urteil von 2005 auf die Neugeschäftsverträge der Jahre 2001 bis 2007 ausweiten. In diesem Fall würden die Stornoabschläge entfallen und es wäre ein Mindestrückkaufswert in Höhe von 50 Prozent der ungezillmerten Deckungsrückstellung anzusetzen. Demnach hängt die Rückforderung im Wesentlichen von der Höhe der Rückkaufswerte, der einkalkulierten Abschlusskosten und der erhobenen Stornoabschläge ab. Die einkalkulierten Abschlusskosten lassen sich grob durch die bilanzielle Abschlusskostenquote approximieren. Diese entsprach im relevanten Zeitraum ca. 5 Prozent. Für den Stornoabschlag ist eine solche Näherung nicht ohne weiteres möglich. Es kann hier jedoch beispielhaft ein Wert von 5 Prozent für kapitalbildende Versicherungen angenommen werden. Die Höhe der (gezillmerten und ungezillmerten) Deckungsrückstellung und damit auch des vertragsindividuellen Rückkaufswertes ist vor allem abhängig von der Versicherungssumme, aber auch vom Alter des Versicherten, der Vertragslaufzeit, dem Garantiezins des Vertrages und vielen weiteren Parametern der Versicherung abhängig. Unter diesen Annahmen, insbesondere der, dass die Mindestrückkaufswerte zumeist nur für in den ersten drei bis vier Jahren stornierte Verträge greifen, scheinen die allgemein erwähnten 500 Euro pro Vertrag zu hoch gegriffen. Der tatsächliche Betrag wird vermutlich über alle Verträge im Durschnitt bei ca. 100 Euro liegen.
Unter den oben erwähnten Annahmen, insbesondere, dass alle ehemaligen Kunden einen entsprechenden Antrag stellen, ergäbe sich eine mögliche Rückforderung im Bereich von etwa 500 bis 2.000 Millionen Euro.

Gesellschaftliche Grundlagen

Das Urteil reiht sich ein in eine in letzter Zeit intensivierte Diskussion um die unangemessene Benachteiligung von Versicherungskunden durch die Versicherungswirtschaft. Hierbei wurden insbesondere Aspekte wie Intransparenz, Incentive Reisen, Stornoverluste und Provisionsexzesse thematisiert. Wie die Lebensversicherung mit diesem Image umgeht und wie sie ihren Mehrwert für den Kunden wieder besser kommunizieren kann, diskutieren die Versicherungsforen Leipzig gemeinsam mit Versicherern in der User Group „Strategische Handlungsoptionen in der Lebensversicherung“ Weitere Informationen unter www.versicherungsforen.net/lv