Fast ein Fünftel aller Erwerbstätigen in Deutschland mit abgeschlossener Berufsausbildung (Facharbeiter) oder Hochschulstudium sind unterhalb ihrer erworbenen Qualifikation beschäftigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Hohenheim im Auftrag der IG Metall Baden-Württemberg.
Die Studie mit dem Titel „Grenzen der Bildungsexpansion? Ausbildungsinadäquate Beschäftigung von Ausbildungs- und Hochschulabsolventen“ beinhaltet verschiedene Untersuchungsansätze, die bestätigen, dass bei vielen Beschäftigten ein bedeutender Teil der während der Ausbildungsphase angeeigneten beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse ungenutzt bleiben. Gemäß der so genannten HIS-Absolventenbefragung bewerten nur 45 Prozent der Hochschulabsolventen mit einem Bachelorabschluss in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ihre ausgeübte Tätigkeit bezogen auf Inhalt und Anforderungsniveau als voll adäquat zu ihrer Ausbildung (gegenüber 79 Prozent mit einem Master/Diplom in den MINT-Fächern).
34,6 Prozent der Schlosser und Werkzeugmacher arbeiten laut IAB an einem Arbeitsplatz, der als nicht fachadäquat einzustufen ist. Außerdem kommt die Studie anhand eigener Schätzungen zu dem Ergebnis, dass das Risiko einer unterwertigen Beschäftigung bei befristeten Verträgen und Teilzeitbeschäftigung mit 27,8 Prozent und 22,6 Prozent deutlich erhöht ist (bei einem Durchschnittswert von 17,6 Prozent).
Viele Gründe für hohe Beschäftigung unter dem Qualifikationsniveau
Ursachen für das hohe Ausmaß der Beschäftigung unterhalb des Qualifikationsniveaus sowie die ungleiche Betroffenheit gibt es verschiedene, so die Studie. Relevant seien unterschiedliche Verwertungschancen einzelner Ausbildungs- und Studiengänge, aber auch gruppenspezifische Benachteiligungen (z.B. bei Personen mit Migrationshintergrund) oder atypische Beschäftigungsverhältnisse (Befristungen, Teilzeit, Mini-Jobs).
Relevant seien aber insbesondere auch Arbeitsorganisation und Personalpolitik, die vorhandene Qualifikationen nicht nutzen und entwickeln. Beispiele hierfür seien: Der Ingenieur der nicht entwickelt, sondern durch Routineaufgaben in der Verwaltung oder der Fertigung gebunden ist. Oder der Facharbeiter, dessen ursprüngliche Qualifikation an Wert verliert, da er keine Weiterbildung erhält.
Der Autor der Studie, Ralf Rukwid von der Universität Hohenheim, betont: "Die Untersuchungen ergeben, dass in Deutschland mehr als jede sechste Arbeitskraft mit einem berufsqualifizierenden Bildungsabschluss als unterwertig beschäftigt bzw. überqualifiziert einzustufen ist (17,6 Prozent). Bei den Akademikern liegt der Anteil aktuell etwas höher als bei den Nicht-Akademikern (18,9 Prozent gegenüber 17,2 Prozent im Jahr 2010). Zudem hat sich der Anteil der unterwertig beschäftigten Akademiker seit Mitte der 1980er Jahre deutlich erhöht. Die Befunde deuten demnach sowohl auf Ebene der Hochschul- als auch der Ausbildungsabsolventen auf beträchtliche Qualifikationsreserven hin. Diese ungenutzten Reserven sind als problematisch anzusehen - sowohl für die individuell Betroffenen als auch die Volkswirtschaft insgesamt."
Hintergrund der Studie: Im Promotionsschwerpunkt „Globalisierung und Beschäftigung“ untersuchen Nachwuchswissenschaftler, wie die Beschäftigungsentwicklung in Europa durch die weltweite Arbeitsteilung beeinflusst wird. Zum einen ziehen sie dazu die Preismechanismen ein, wie sie im Zusammenspiel von Finanz-, Güter- und Arbeitsmärkten entstehen. Zum anderen verfolgen sie einen Ansatz, der verschiedene makroökonomische Ursachen miteinander verzahnt und die Lohn- und Beschäftigungspolitik mit anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen zusammenbringt.
Der Promotionsschwerpunkt wird finanziell durch das Evangelische Studienwerk Villigst gefördert. In seiner Arbeitsweise entspricht der Promotionsschwerpunkt einem Graduiertenkolleg.