Die Bevölkerung in Deutschland schrumpft und wird älter. Erstmals traf sich am Donnerstag die Bundesregierung zu einem Demografiegipfel, um Gegenstrategien zu beraten. Dabei setzt die schwarzgelbe Koalition vor allem auf die Anwerbung ausländischer Fachkräfte und die stärkere Förderung der Erwerbsarbeit von Frauen.
Deutschland altert! Pessimistische Prognosen gehen davon aus, dass im Jahre 2060 jeder dritte Deutsche älter als 65 Jahre sein wird. Und auch die Bevölkerung ist dann möglicherweise um ein Fünftel geschrumpft, so dass 17 Millionen Menschen weniger auf dem Gebiet der Bundesrepublik leben. Grund genug für die Bundesregierung, auf einem Demografiegipfel über die Alterung der Gesellschaft zu beraten. Besonders die wirtschaftlichen Folgen standen dabei im Mittelpunkt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte dabei die zentrale Rolle der Zuwanderung für Deutschland. „Die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte wird sinken, selbst wenn wir alle zu Hause gut ausbilden“, warnte Merkel am Donnerstag. „Deshalb darf man das Thema Zuwanderung von Fachkräften nicht ausblenden.“ Zudem sei es notwendig, die wachsende Zahl von Migranten in Deutschland für den Arbeitsmarkt zu aktivieren. Die Bundeskanzlerin bezeichnete den demografischen Wandel als größte Veränderung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland. „Wir dürfen uns den Herausforderungen nicht verweigern. Dann werden sich auch die Chancen zeigen.“
Neun Arbeitsgruppen mit Bundesministern, Vertretern von Ländern und Kommunen, Wirtschaft und Gewerkschaften sowie Verbänden sollen in den kommenden Monaten Vorschläge erarbeiten, wie Deutschland mit der Alterung der Gesellschaft umgehen kann. Bis zum Mai 2013 sollten erste Ergebnisse vorliegen. Zu dem Gipfel hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) geladen.
Ursula von der Leyen (CDU) betonte die besondere Rolle der Frauen für die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Die Bundesarbeitsministerin sagte, ohne Gegensteuern werden in den nächsten 15 Jahren rund sechs Millionen Menschen vom deutschen Arbeitsmarkt verschwinden. Deshalb liege viel Potential bei Frauen, die derzeit gar nicht oder nur in Teilzeit arbeiten.
Herausforderungen: Gesundheit, Pflege, Fachkräftemangel
Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, sagte, infolge der demografischen Entwicklung werde ein Fachkräftemangel unweigerlich kommen. Mit einem ähnlichen Argument forderte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans-Ulrich Driftmann, im Ausland verstärkt um Fachkräfte zu werben und sie auch bei der Integration in die deutsche Gesellschaft besser zu unterstützen.
Als weitere Herausforderung wurde das Thema Gesundheit angesprochen. „Ein gutes Gesundheitssystem ist so etwas wie der Garant dafür, dass die Würde des Einzelnen überhaupt geachtet wird“, sagte Angela Merkel. Die Ausgaben würden tendenziell jedoch schneller wachsen als die Einnahmen, was ständig neue Nachbesserungen am Gesundheitssystem verlange. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verwies zudem auf die steigende Anzahl pflegebedürftiger Menschen und Demenzkranker, deren Angehörige bei der Pflege nicht allein gelassen werden dürften.
Ein „komplettes Umsteuern“ der Sozialsysteme forderte der Deutsche Städte- und Gemeindebund. „Wir brauchen eine grundlegende Reform des Sozialstaates, weil in einer alternden Gesellschaft nicht immer weniger Junge für immer mehr Ältere auch noch bessere Sozialleistungen erwirtschaften können“, warnt der Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Der Landkreistag verlangt, dass zukünftig jedes neue Bundesgesetz unter dem Gesichtspunkt der demographischen Entwicklung geprüft werde.
Während der Demografiegipfel vor allem die negativen Folgen der demografischen Entwicklung gewichtete, hatten Sozialexperten wie der Sozialforscher Gerd Bosbach mehrfach vor zu viel Schwarzmalerei gewarnt (Wolfgang Bosbach: Demographische Horrorszenarien: Warum wir positiv in die Zukunft blicken können). Ein Argument: Während die Lebenserwartung im letzten Jahrhundert um 30 Jahre stieg und gleichsam die Geburtenzahlen zurückgingen, seien die Folgen für Wirtschaft und Wohlstand sogar positiv gewesen. So sei die ältere Bevölkerung zunehmend gesund und mobil, so dass die Demografie nicht als der bestimmende Faktor des letzten Jahrhunderts -und auch der Zukunft- gewertet werden könne.