Ob Stuttgart 21 oder der Neubau des Berliner Flughafens Schönefeld, große Infrastrukturprojekte haben regelmäßig Akzeptanzprobleme. Knapp die Hälfte der Deutschen sieht in einer Klage die einzige Möglichkeit, dass ihre Anliegen von den Verantwortlichen ernst genommen werden.
Sogar 63 Prozent sehen ihr gutes Recht darin, gegen öffentliche Bauvorhaben gerichtlich vorgehen zu können. Eine Einschränkung dieses Rechts lehnen sie ab.
Die Chancen auf Erfolg einer solchen Klage sind allerdings nach Meinung der Mehrheit ungleich verteilt. 51 Prozent glauben, dass Richter eher zugunsten von Staat und beteiligten Unternehmen entscheiden. „Die Einschaltung der Gerichte dient nicht nur dem Widerstand. Oftmals wird der Gang vor Gericht als einzige Möglichkeit gesehen, den Diskussionsprozess aufzunehmen und mit den eigenen Anliegen bei den Verantwortlichen ernst genommen zu werden”, kommentiert Professor Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, die Ergebnisse.
So sind 73 Prozent der Ansicht, dass sich viele Gerichtsprozesse um öffentliche Bauvorhaben durch frühzeitige Einbindung der Bürger vermeiden ließen. Kommt es zum Streitfall um ein öffentliches Bauprojekt, werden Mediations- oder Schlichtungsverfahren begrüßt. 77 Prozent aller Befragten und sogar 90 Prozent der Gegner von Stuttgart 21 befürworteten den Schlichtungsansatz beim Großbauprojekt in der baden-württembergischen Landeshauptstadt.
„Das von überwiegender Zustimmung getragene Stimmungsbild zu lokalen und regionalen Bauprojekten lässt sich mit der Struktur der Bauprojekte begründen. Die Mehrheit der Projekte in den Kommunen betrifft den Bau bzw. die Modernisierung von Sozial- und Bildungseinrichtungen wie Krankenhäusern, Schulen oder Kindergärten, aber auch Straßen, die von der Bevölkerung überwiegend positiv gesehen werden“, sagt Oliver Bruttel, Projektleiter des Roland Rechtsreports beim Institut für Demoskopie Allensbach.
Die grundsätzliche Klagebereitschaft gegen öffentliche Bau- und Infrastrukturprojekte ist abhängig von der Art des Bauvorhabens. Die meisten Bürger (86 Prozent) können sich vorstellen, gegen den Bau eines End- oder Zwischenlagers für Atommüll in ihrer Wohnnähe zu klagen. 77 Prozent sind grundsätzlich bereit zu klagen, falls eine neue Anlage zur Müllentsorgung, zum Beispiel eine Müllverbrennungsanlage, am Wohnort gebaut werden sollte. An dritter Stelle folgt der Bau oder die Erweiterung eines Flughafens. Beim Bau in Wohnnähe würden zwei von drei Befragten (66 Prozent) klagen.
Bei sozialen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder auch Krankenhäusern und Sportanlagen ist eine Klage grundsätzlich nur für neun bis 16 Prozent denkbar. Das sind einige zentrale Ergebnisse des Roland Rechtsreports 2012, der jährlich vom Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Roland Rechtsschutz-Versicherungs-AG erstellt wird.
Das Vertrauen in das Rechtssystem steigt in der Bevölkerung. 66 Prozent der Bürger geben jeweils an, viel oder sehr viel Vertrauen in die deutschen Gerichte bzw. Gesetze zu haben (Vorjahr: 60 Prozent).
Die Bundesbürger nennen jedoch, wie bereits im vergangenen Jahr, vier wesentliche Kritikpunkte: zu lange Verfahrensdauern durch Arbeitsüberlastung der Gerichte, eine als uneinheitlich wahrgenommene Rechtsprechung, zu komplizierte Gesetze und zu milde Strafen, insbesondere bei jugendlichen Straftätern.
Zeitgleich mit dem Vertrauen in die Gerichte steigt auch die Zustimmung zu Polizei (74 Prozent) und Unternehmen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (77 Prozent) treffen auf Sympathie in der Bevölkerung. Nur jeder Dritte (33 Prozent) vertraut hingegen auch großen Unternehmen. Gewerkschaften konnten in den wirtschaftlich unsicheren Zeiten in der Zustimmung der Bundesbürger zulegen. Auf die Frage, welchen Institutionen die Bürger sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen entgegen bringen, geben 47 Prozent die Arbeitnehmervertretungen an (Vorjahr: 43 Prozent).