Eine andere Ökonomie ist möglich

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Der Handel mit Nieren aus der dritten Welt floriert und ist nicht verboten! Wer Geld hat, aber kein Kind bekommen kann, darf über eine Leihmutter nachdenken (die nichts anderes sein kann als eine Frau, der nach der Geburt ihr Kind weggenommen wird). Das Fernsehen, auch das öffentlich-rechtliche, ist vollkommen abhängig von Quoten. Und geht nicht sogar der subventionierte Kulturbetrieb nur allzu oft nach Brot, nicht selten gezwungenermaßen, weil die, die ihn subventionieren, sich ja auch über gute Zahlen freuen? Machen wir uns nichts vor, wir stecken bis zum Hals in der Falle des Merkantilismus, und es würde uns guttun, wieder zweckfreier zu denken.

Graeber, das ist in diesem Zusammenhang wichtig, ist von Haus aus Anthropologe. Er dürfte also recht genau wissen, wie der Mensch den aufrechten Gang geübt hat. Den unpersönlichen Märkten, wie sie weithin bestehen, stellt Graeber die humanen Ökonomien gegenüber, welche "die Handlungsmotive der Menschen für höchst komplex" halten. Damit ist nichts anderes gemeint, als die ganz normale Undurchschaubarkeit von Beweggründen. Man weiß nie ganz genau, welche Gefühle jemanden zu einer bestimmten Handlung veranlasst haben. So ist unser Alltag - und humane Ökonomien haben diese Dinge immer mit auf der Rechnung. Ihnen fehlt "die Vorstellung, dass das eigennützigste Motiv zwangsläufig das eigentliche sei".

Verhaltensforscher haben längst herausgefunden, dass, bei Tieren nicht anders als bei Menschen, die Empathie oftmals stärker ist als der Egoismus. Dass der Mensch vor allem ein egoistisches Wesen ist, ist eine recht veraltete Vorstellung, einigen jedoch immer noch billig genug, um damit die Alternativlosigkeit des Kapitalismus zu begründen. Auch die moderne Philosophie, etwa eines Emmanuel Levinas, spart ethische Fragestellungen nicht aus. Aber der ethische Aspekt entfällt immer dann, wenn es, wie in der Logik unpersönlicher Märkte, möglich wird, einen Nachbarn wie einen Fremden zu behandeln.

Die Menschen, das ist Graebers wichtige Grundannahme, leben in diversen, unendlich komplexen Beziehungsnetzen mit anderen. Und nur dann, wenn man sie aus diesen Netzen herausreißt, ist es möglich, sie auf eine handelbare Sache zu reduzieren. Mithilfe der Technik hat die Moderne komplexe, auf die Spieltheorie zurückgehende Systeme konstruiert, die sich beispielsweise die Finanzbranche schnell zunutze machen konnte. Doch ist das tückische an diesen Systemen, dass sie regelmäßig und klar definiert sind, also gerade nicht mit Abweichungen rechnen, wie sie immer dann, wenn Menschen miteinander interagieren, vorkommen. Ist es nicht erstaunlich, dass unser Glaube an statistische Modelle, ebenso wie unser Vertrauen in die technische "Vollkommenheit", beinahe grenzenlos ist?