Private Krankenversicherung vor existentiellen Herausforderungen

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Die private Krankenversicherung stellt sich gern als unabdingbares Element des Gesundheitssystems dar. Das Analysehaus Bain & Company warnt jedoch in einer aktuellen Pressemeldung: Nicht nur die Einführung einer Bürgerversicherung bedroht die private Krankenversicherung als Geschäftsmodell, sollte Peer Steinbrück die Bundestagswahl gewinnen. Auch hausgemachte Probleme bedeuten große Herausforderungen. Neue Strategien sind erforderlich, wenn die PKV am Markt bestehen will.

Geht es um die Selbstwahrnehmung der privaten Krankenversicherung, kann man ihr sicher kein fehlendes Selbstbewusstsein unterstellen. „Nur die private Versicherung sichert Rente und Krankenvorsorge“, sagte Reinhold Schulte, Vorstandsvorsitzender des PKV-Verbandes, beim Vorlesungstag des Instituts für Versicherungs-Wissenschaften (IfVW) in Leipzig. Während das Umlagesystem der gesetzlichen Kassen angesichts der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft an ihre Belastungsgrenze stoße, sichere die Privatvorsorge langfristig den Fortbestand des Sozialsystems.

Doch Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen auseinander. In einer aktuellen Pressemeldung warnt die Managementberatung Bain & Company davor, dass das Geschäftsmodell der Privatversicherer gefährdet sei. Keineswegs ist es nur die drohende Bürgerversicherung im Falle eines SPD-Sieges bei der Bundestagswahl, die der PKV als Vollversicherung schon bald den Garaus machen könnte. Viele Probleme der Privatversicherer sind hausgemacht.

Niedrige Zinsen, steigende Beiträge, hohe Gesundheitskosten

“Die öffentliche Wahrnehmung der PKV ist auf einem historischen Tiefpunkt“, konstatiert Bain & Company. Ein zentraler Kritikpunkt seien die hohen Beitragssteigerungen: Sie nahmen in den letzten Jahren deutlich stärker zu als das Bruttosozialprodukt. Dies bedeutet eine doppelte Herausforderung. Einerseits verringert sich das verfügbare Haushaltseinkommen der Privatversicherten. Zugleich verliert die PKV für Neukunden an Attraktivität – je mehr die Medien vor der „Schuldenfalle PKV“ warnen.

Doch weitere Gründe tragen dazu bei, dass viele private Krankenversicherer ihre Beiträge erhöhen mussten. So ist die PKV von den steigenden Gesundheitskosten für medizinische Leistungen besonders betroffen: Zwischen den Jahren 2008 und 2010 erhöhten sich die Ausgaben jedes Jahr um durchschnittlich 5,2 Prozent. Hier fällt es den Versicherern auf die Füße, dass sie bevorzugt auf neue und entsprechend teurere Medikamente setzen statt auf preiswerte Generika wie die GKV. Auch ist es den Krankenversicherern nicht im gleichen Maße wie die Krankenkassen möglich, Rabattverträge mit den Pharmaherstellern auszuhandeln. Steigende Arzthonorare und die Alterung der Kunden in den Tarifen treiben ebenfalls die Kosten in die Höhe. In den früheren Jahren konnten die Versicherer solche Mehrausgaben mit Gewinnen aus Rücklagen abfedern. Aber die anhaltende Niedrigzinsperiode lässt das Plus am Kapitalmarkt gefährlich schrumpfen. Die Krankenversicherer müssen die Kostensteigerungen deshalb über die Beiträge an die Kunden weitergeben.

Zudem setzen gesetzliche Regelungen wie Unisex oder die notwendige Anpassung des kalkulatorischen Rechnungszinses die neuen Tarife unter Druck. Entsprechend lahmt das Neugeschäft. “Aber das ist noch nicht alles: Das gesamte Geschäftsmodell der deutschen PKV ist bedroht, denn die Einführung einer Bürgerversicherung wird eines der zentralen Themen im Bundestagswahlkampf 2013“, warnt Bain & Company.

Die Branche müsse nun eine Antwort auf ihre strukturellen Herausforderungen finden und gleichzeitig Vorbereitungen für eine mögliche Abschaffung der PKV treffen. "Es ist ein kritischer Punkt erreicht, an dem die privaten Krankenversicherungen alle Hebel in Bewegung setzen müssen um das Thema Beitragssteigerung zu adressieren“, sagt Christian Kinder, Partner mit Beratungsschwerpunkt Versicherungen bei Bain & Company in München. „Dies umfasst Leistungsmanagement, Kündigermanagement, Risikomanagement und Tarifwechslermanagement. Sonst wird die Attraktivität der PKV weiter sinken."

Einkommensschwache Privatversicherte wurden in die PKV gelockt – und können nicht mehr zahlen

In ihrem Versicherungsbestand leiden die privaten Krankenversicherer zudem an einem Phänomen, das sie ebenfalls zum Teil selbst verschuldet haben. „Das Wachstum der letzten zwei Jahrzehnte lebte von Billigtarifen und hohen Maklervergütungen“, schreibt Bain & Company. Entgegen dem allgemeinen Image sei eine zunehmende Zahl an Privatversicherten einkommensschwach. Eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) aus 2012, das die Mitgliederstruktur der DEBEKA analysiert hat, bestätigt diese Einschätzung. Nur rund 20 Prozent der Privatversicherten verfügten über ein Einkommen, das oberhalb der Versicherungspflichtgrenze von rund 50.000 Euro Jahreseinkommen lag (der Versicherungsbote berichtete).

Die Folge: Immer mehr Versicherte können ihre gestiegenen Beiträge nicht mehr bezahlen. Diese sogenannten Nichtzahler genießen Kündigungsschutz, die von ihnen in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen müssen durch den noch profitablen Versicherungsbestand getragen werden. 550 Millionen Euro sind den Privatversicherern laut PKV-Verband durch säumige Kunden aufgelaufen. Abhilfe könnte ein sogenannter „Nichtzahler-Tarif“ schaffen, der aktuell in der Politik diskutiert wird.

Intelligente Gegenstrategien gefragt

Wie aber sollen nun die privaten Krankenversicherungen auf die Herausforderungen reagieren? Die Berater von Bain & Company schlagen hierfür eine mehrgleisige Strategie vor, die sowohl die Einnahmenseite, den Vertrieb und die Kosten umfasst:

  • Auf der Einnnahmenseite können eine klare Tarifstruktur und ein organisiertes Wechselmanagement künftig dafür sorgen, dass jeder Versicherte die Police erhält, die seinem Risikoprofil entspricht. Dies erfordere neben einer intelligenten Vertragsarchitektur auch eine umfassende Beratung, argumentiert Christian Kindner. „Derzeit ist die Mehrzahl der Tarifwechsler mit ihrem Tarif unzufrieden, was vor allem auf eine schlechte Beratung zurückzuführen ist.“
  • Im Vertrieb müssen die etablierten Neugeschäftsstrategien durch ein neues System ersetzt werden, fordert Bain & Company. Bessere Beratung sowie ein attraktives und verständliches Tarifsystem seien die eine Seite. Die andere Seite hingegen eine umfassendere Gesundheitsvorsorge über Zusatzversicherungen. „Die Zusatzversicherung könnte das Push-Geschäft der Zukunft werden“, so Versicherungsexperte Kinder. „Hier sind innovative Produkte gefragt, die künftig auch nicht mehr durch die Vollversicherung querfinanziert werden dürfen.“
  • Kostenseitig gelte es, die bereits begonnenen Maßnahmen im Leistungsmanagement weiter zu treiben. Neben klassischer Kostensenkung zur Entlastung der Tarife umfasse dies auch alternative Ansätze wie Kooperationen. So seien nach einer Studie von Bain & Company über 90 Prozent der Leistungserbringer im Gesundheitssektor zu Kooperationen mit privaten Krankenversicherungen bereit. Über 80 Prozent würden einer Direktabrechnung mit der PKV zustimmen – also ohne Zwischenschaltung des Kunden.
  • Wegen der drohenden Abschaffung der PKV als Vollversicherung im Falle eines SPD-Wahlsieges sollten sich die Privatversicherer auch auf die Bürgerversicherung vorbereiten. Hier sei eine differenzierte Szenarioplanung nötig, die die denkbaren Varianten der Bürgerversicherung umfasst und Zusatzversicherungen in den Mittelpunkt stellt. Für jede dieser Varianten seien strategische und organisatorische Reaktionsmöglichkeiten zu erarbeiten. „Wichtig ist, die finanziellen Auswirkungen dieser Szenarien auf das eigene Haus abzuleiten sowie Strategien für die taktische Aufstellung in einem Bürgerversicherungsszenario auszuarbeiten“, sagt Kinder. Bereits heute sei es beispielsweise denkbar, Zusatzversicherungen stärker zu pushen, etwa über das Firmenkundengeschäft. „Die Profitabilität dieser Produkte müsste künftig auch unter Berücksichtigung einer echten Prozesskostenzuordnung sichergestellt werden. Auch das Thema Automatisierung und Digitalisierung wird in der Zusatzversicherung von Antrag bis Leistungsabrechnung signifikant an Bedeutung gewinnen.“
Quelle: Bain & Company