Eine Bürgerversicherung entmündige die Deutschen: „Da entscheidet die kommunale Behörde, ob sie eine neue Hüfte bekommen, oder nicht“ formulierte Barmenia-Vorstand Beutelmann zugespitzt in der Debatte um die Einführung einer einheitlichen Krankenversicherung. Die private Krankenversicherung (PKV) hält am aktuellen zweigeteilten Versorgungssystem fest und entkräftigte Argumente zur Einführung eines Einheitssystems. Dies zeigte sich beim KVpro.de Branchendialog am 12. Juni in Berlin deutlich.
„Dies ist keine Bürgerversicherung, sondern eine Bürgerzwangsversicherung. Sie suggeriert, dass man selbstständig ist, dass man etwas zu entscheiden hat - nein, das ist in Wirklichkeit eine Bürgerzwangsversicherung, sie entmündigen im Grunde die gesamte Bevölkerung“ - entschlossen wandte sich Dr. h.C. Josef Beutelmann, Vorstandsvorsitzender der Barmenia Krankenversicherung AG, gegen Möglichkeiten, die PKV in eine gesetzliche Bürgerversicherung zu integrieren. In OECD-Studien von Ende März und Anfang April wird Deutschlands Versorgung in deutschen Krankenhäusern als überdurchschnittlich ausgewiesen. Einheitssysteme, wie etwa in England oder Skandinavien, hätten keine bessere Versorgung ergeben.
Versorgungsgerechtigkeit durch eine Einheitsversicherung?
Ein Modell der „integrierten Krankenversicherung“, wie es Dr. Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte bei der Bertelsmann-Stiftung, vorschlägt, lehnen die Anbieter ab. Etgeton bestritt keineswegs diese gute medizinische Versorungsstruktur, betonte aber, Handlungsbedarf sei gegeben: Besonders in strukturschwachen Regionen lähmt die aktuelle Honorarpraxis etwa den Zugang zum Orthopäden oder zu Kinderärzten. Es gäbe für Fachärzte noch immer lange Wartezeiten. Eine integrierte Krankenversicherung würde zu mehr Versorgungsgerechtigkeit führen, so Etgeton.
Eine Verbesserung könne aber durch eine Einheitsversicherung nicht gewährleistet werden, widersprach Wiltrud Pekarek, Vorstandsmitglied der Halleschen Krankenversicherung. Es wäre dadurch nicht weniger Geld im System, so die Aktuarin, und meint, man könne nicht von Versorgungsgerechtigkeit sprechen, wenn alle dann weniger haben. Ärzte können die Finanzierung ihrer Praxis und teurer Geräte zudem oft nur deshalb stemmen, weil sie zunächst die finanziellen Mittel durch die Privatversicherten erhalten - was letztlich GKV-Versicherten zu gute komme.
Aus GKV-Sicht sei die Einführung derzeit eine gute Idee, erklärt Dr. Hans Olav Herøy, Vorstand bei der HUK-Coburg. „In den nächsten 20-30 Jahren werden viele Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, älter werden und mehr Kosten verursachen. Auf der Einnahmeseite wird weniger Geld zur Verfügung stehen, solang man ein beitragsfinanziertes System hat." Wenn etwa wegen der Schuldenbremse kein Geld zur Verfügung steht, welches aus den Haushalten genommen werden kann, kann man diese Entwicklung lediglich finanzieren, wenn Leistungen nach unten geschraubt werden. Eine Enklave von 10 Prozent der Bevölkerung wäre von Einschränkungen nicht betroffen, weil sie PKV-versichert ist, es ließe sich somit schlecht durchsetzen. „Daher ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um die PKV einzusacken, und unter dem Mantel einer Bürgerversicherung zu vereinheitlichen, um dann später leichteres Spiel bei der Absenkung des Leistungsniveaus zu haben“, so Herøy.
Eine Integration der PKV in die Bürgerversicherung ist keine Alternative
Ob es im Falle einer Durchsetzung der Bürgerversicherung durch den Gesetzgeber einen Plan B gäbe, verneinte die PKV-Seite: „Es kann nur Plan A geben“ so PKV-Verbandssprecher Dr. Frank Schulze Ehring, „weil Plan B nicht funktioniert“ und verwies auf die Paquet-Studie: Würden die PKV-Anbieter die Bürgerversicherung anbieten, wäre dies ein „Kaltstart“ für die PKV-Unternehmen, der „niemals warm wird.“ Das sei etwa so, als hätte man „jahrzehntelang ein Auto verkauft und soll nun ein Fahrrad verkaufen und mit Fahrradunternehmen konkurrieren“. Die PKV könnte im Wettbewerb keine konkurrenzfähigen Produkte nach dem SGB V anbieten, so Schulze Ehring. Beutelmann verdeutlicht diesen Standpunkt: „Wenn es soweit kommt, sind wir die ersten, die klagen.“
Getreu dem Motto „Miteinander statt übereinander“ lud KVpro.de, unabhängiger Marktbeobachter und Informationsdienstleister für den Krankenversicherungsmarkt in Deutschland, am 12. Juni nach Berlin. Private Krankenversicher, Marktbeobachter, Branchenexperten, Versicherungsmakler und Fachjournalisten erhielten die Möglichkeit zum gegenseitigen Gedankenaustausch sowie zur Aufklärung über die aktuelle Situation der PKV. Neben der Debatte um das „Zwei-Klassen-Gesundheitssystem“ wurde ausführlich auf die Umstrukturierungen in der PKV durch die Einführung der Unisex-Tarife, die betriebliche Krankenversicherung sowie die Umsetzung des Pflege-Bahr eingegangen.