Die Makler haben mit der Vermittlung von Pflegezusatzversicherungen eine historische Chance. Denn gerade einmal 5 Prozent der Bundesbürger haben eine private Pflegezusatzversicherung abgeschlossen, erklärt Stefan Knoll, Vorstandsvorsitzender der DFV Deutsche Familienversicherung AG, im Interview mit dem Versicherungsboten. Einen derart ungesättigten Markt kenne keine andere Variante der privaten Vorsorge. Zugleich positioniert sich der Vorstand zu der Frage, ob künftig überhaupt noch Vermittler gebraucht werden. Als einer der ersten Versicherer auf dem deutschen Markt bietet die DFV eine Versicherungsberatung über digitale Sprachassistenten wie Alexa an.
Versicherungsbote: 3,41 Millionen Deutsche haben aktuell eine private Pflegezusatzversicherung: damit ist es noch immer eher ein wenig verbreitetes Produkt. Obwohl das Thema Pflege in den Medien sehr präsent ist, wächst die Nachfrage nur langsam. Was läuft da schief?
Stefan M. Knoll: Eigentlich alles. Denn schon heute fehlen in Deutschland circa 70.000 Pflegekräfte, und dabei ist meine Generation der geburtenstarken Jahrgänge 1955-1965 noch etwa 15 bis 20 Jahre von der Pflege entfernt. Doch zuerst steht genau diese Generation zu einem Wechsel in den Ruhestand an. Insgesamt umfasst diese Alterskohorte ca. 18 Prozent der Berufstätigen. Es wird eine besondere Herausforderung darstellen, wie unsere Volkswirtschaft damit fertig wird, wenn ein so großer Teil der Leistungsträger zu Transferleistungsempfängern wird, und die nächste Generation praeter propter nur noch halb so stark ist.
Zusätzlich frage ich die politischen Verantwortlichen, wie eine Bundesregierung in einem privatwirtschaftlichen Sektor, zu dem die Pflege in Deutschland zählt, für Neueinstellungen sorgen möchte und warum man sich im Koalitionsvertrag denn genau auf 8.000 neue Pflegekräfte geeinigt hat? Man hätte sich auch auf 20.000 oder 70.000 einigen können, dann wäre man zumindest näher an der Bedarfsdeckung, ich stelle aber auch hier die Frage, wie die Politik dies umsetzen würde? Die Bundesregierung und das Bundesgesundheitsministerium müssen daher so oder so öffentlich zu privater Pflegevorsorge aufrufen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Pflegevorsorge in Deutschland. Denn die staatliche Pflegeversicherung war von Grund auf nur als Teilkaskoversicherung konzipiert. Dies hat auch das PSG II nicht geändert. Im Gegenteil, der einrichtungsspezifische Eigenanteil bei stationärer Pflege und die hohen Kosten für ambulante Pflege lassen die Finanzierungslücke zwischen staatlicher Pflegevorsorge und den tatsächlichen Kosten immer größer werden. Wir brauchen eine bundesweite Initiative für private Pflegevorsorge.
Die Mehrheit der Deutschen sieht sich schlecht für den Pflegenotstand abgesichert, so eine YouGov-Umfrage, und weiß, dass der gesetzliche Schutz nicht ausreicht. Dennoch sorgen sie nicht zusätzlich vor. Was können hier Versicherungsvermittler tun? Anscheinend reicht Aufklärung über das Pflegerisiko allein nicht aus.
Die Frage muss lauten: Was will der Kunde? Die Antwort darauf ist so simpel wie einfach. Der Kunde will schlichtweg ein Problem gelöst bekommen. Das Problem ist in diesem Falle die Finanzierungslücke im Pflegefall, die dann auftritt, wenn der Pflegebedürftige die Kosten für seine Pflege nicht mehr zahlen kann. Die Versicherungsvermittler müssen beginnen das Thema Pflege in jedem Beratungsgespräch ansprechen. Das heißt, Boots on the ground - einer muss die Tür eintreten! Der Makler muss das Thema aktiv und offensiv ansprechen und dem Kunden klar machen, dass es ohne private Pflegevorsorge nicht mehr weiter geht, eben die Tür eintreten.
Die Deutsche Familienversicherung setzt auf digital und will auch mittels Sprachprogrammen wie „Alexa“ und „GoogleHome“ beraten. Wie weit sind Sie mit der Technik? Wer haftet eigentlich, wenn Alexa falsch berät oder Risiken nicht nennt?
Als erste Versicherungsgesellschaft Deutschlands bietet die Deutsche Familienversicherung nicht nur die Beratung über einen eigenen Alexa Skill, sondern geht den Weg der digitalen Sprachassistenten konsequent weiter und ermöglicht ebenfalls als erster Versicherer die Versicherungsberatung über einen eigenen Action bei Google Home. Ich bin davon überzeugt, dass der Versicherungsabschluss der Zukunft weitgehend über digitale Sprachassistenten erfolgen wird. Die steigend digitalen Lebensgewohnheiten unserer Kunden verlangen derartige Serviceanpassungen. Die Bedürfnisse des Kunden stehen bei uns an erster Stelle. Zur digitalen Produktberatung wurde ein Action/Skill programmiert, der einen Beratungsdialog durchführt und über eine API-Schnittstelle auf den aktuariellen Rechenkern zugreift. Der Skill wertet die Fragen aus und gibt die jeweiligen Produktinhalte inklusive der Monatsbeiträge in Echtzeit sprachgesteuert aus.
Daran anknüpfend: Die Vorteile der Digitalisierung werden oft betont: schnelle Bearbeitung, schneller Abschluss etc. Aber wäre nicht gerade beim sensiblen Thema „Pflege“ der menschliche Faktor entscheidend - und damit Berater aus Fleisch und Blut und ist das Pflegethema nicht zu komplex, um mittels vorgefertigter Textbausteine behandelt zu werden?
Der Vertriebsweg „Makler“ wird nicht nur bestehen bleiben, sondern sogar an Wichtigkeit gewinnen. Wenn die Makler sich ihrerseits mit der Digitalisierung anfreunden. Ich sage das nicht als Vorstand eines Unternehmens, welches als erstes den volldigitalen Abschluss via Amazon Echo anbieten wird, sondern weil es eine Reihe von Versicherungen gibt, bei denen die Kunden nach persönlicher Beratung, durch einen Menschen, verlangen. Nehmen wir die Pflegezusatzversicherung. Bei einer Pflegezusatzversicherung sichert der Kunde grundlegende Veränderungen seines Gesundheitszustandes im Alter ab. Das sind derart ernste Themen, welche nachhaltig erklärt und lebensehrlich dargelegt werden müssen, dass kann keine Maschine und kein Mensch vertraut bei derartig ernsten Themen einer Maschine.
Bitte eine Prognose: Werden Alexa, Siri und Co. langfristig Versicherungsvermittler und Berater ersetzen? Schon heute liest man vielfach von einem drohenden „Vermittlersterben“.
Nein. Ich betone es nochmal, Menschen wollen auch in Zukunft mit Menschen reden, wenn es um komplizierte Produkte und komplexe Produkte geht. Der Beruf des Versicherungsvermittlers wird damit sogar ungleich wichtiger, weil es auch um die Wertschöpfung des Kunden und dessen Bedürfnisse geht. Da hat weder Alexa noch GoogleHome eine Chance gegen die jahrelange Erfahrung eines Versicherungsvermittlers anzukommen.
Lohnt es sich noch, den Beruf des Versicherungsvermittlers zu ergreifen?
Versicherungsbote: Lohnt es sich aus Ihrer Sicht überhaupt noch, den Beruf des Versicherungsvermittlers zu ergreifen? Einerseits gibt es bei Versicherern und im Vertrieb ein Nachwuchsproblem, viele Fachkräfte werden bald in den Ruhestand wechseln. Andererseits berichten auch wir ständig von Stellenabbau - und dass Menschen durch Maschinen ersetzt werden. Ein Widerspruch?
Stefan Knoll: Nein, das ist kein Widerspruch und ja, es lohnt sich auch heutzutage noch den Beruf eines Versicherungsvermittlers zu ergreifen. Was aber nicht mehr geht ist, diesen Beruf so auszufüllen, wie man es die letzten 30, 40 und 50 Jahre gemacht. Versicherungsvermittler stehen im Lager des Kunden und müssen ihre Art des Vertriebs und vor allem der Beratung an die digitale Lebensrealität ihrer Zielgruppe anpassen. Dafür brauchen die Versicherungsvermittler allerdings Versicherungspartner, die die Herausforderung der Digitalisierung erkannt haben. Das betrifft den Kundenservice, die Beratungstools aber vor allem das Produkt. Nur einfache und verständliche Produkte machen eine Digitalisierung sinnvoll. Deshalb gibt es bei uns nur ganz einfache, vollständig verständliche Versicherungsprodukte. Das heißt, dass der Erfolg von Versicherungsvermittlern in der Zukunft von der Auswahl der richtigen Produktpartner abhängig ist. Die Zeiten großer Namen sind vorbei.
Tut die Bundesregierung aus Ihrer Sicht genug, um den Pflegenotstand zu bekämpfen? Welche Reformen müsste sie aus Ihrer Sicht anschieben? Unter dem Pflegenotstand in Krankenhäusern und Pflegeheimen leiden gesetzlich wie privat Versicherte, schon heute fehlen zehntausende Pflegerkräfte.
Die Pflegegesetzreformen der letzten Jahre sind nicht ausreichend, können und sollen es aber auch gar nicht sein. Denn der Staat ist im Grundsatz nicht für die individuelle Daseinsvorsorge da. Wir müssen schon selbst vorsorgen. Wir haben uns irgendwann mal entschieden, dass der Staat nur eingreifen soll, um eine Grundsicherung zu ermöglich. Das ist auch in Ordnung, weil wir ein Sozialstaat sind und den Menschen einen bestimmten Sockel an Absicherung gewähren müssen. Wenn Sie an dieser Stelle zu Recht nochmal die Frage stellen, was man denn tun kann, muss ich Ihnen dort leider antworten: politischerseits nichts, weil wir längst neben einem Finanzierungsproblem auch ein Organisationsproblem in der Pflege haben.
Umso schlimmer finde ich, dass die sich abzeichnende große Koalition davon redet 8.000 zusätzliche Pflegekräfte einzustellen aber gar nicht weiß woher diese kommen sollen. Ich hatte bereits eingangs kritisiert, dass diese Zahl bei den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck entstehen lässt, dass die Bundesregierung Herrin der Lage sei und sich alles zum Besten wendet. Das Gegenteil ist der Fall, zumal die Bundesregierung gar keinen Zugriff auf die Einstellung von Pflegekräften hat, außer diese baut eine staatliche Pflegestruktur mit eignen Heimen auf.
Die Fragen stellte Mirko Wenig