Werden Makler oder wird ein Maklerunternehmen als Erfüllungsgehilfe eines Versicherers tätig, haftet der Versicherer für fehlerhafte Aufklärung durch den Makler. Das stellt ein Urteil des Kammergerichts Berlin heraus. Im konkreten Fall wurde ein Kunde mit unrealistischen Modellrechnungen geködert, damit er eine Kapitallebensversicherung abschließt.
Das Versprechen: Ein Perpetuum mobile der Geldvermehrung
Manch Versicherungs- und Anlageprodukt wird dem Kunden wohl als eine Art Perpetuum mobile schmackhaft gemacht, welches das Geld ganz von selbst vermehrt. Diesen Eindruck kann gewinnen, wer ein Rechtsurteil liest, das durch den 6. Zivilsenat des Kammergerichts (KG) Berlin am 30.01.2018 gefällt wurde (Az. 6 U 57/16). Strittig war die Frage, ob ein Lebensversicherer für die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten haften muss, die durch einen Strukturvertrieb verschuldet waren. Folgendes Anlageprodukt in Form einer Kapitallebensversicherung war dem Kunden hierbei vermittelt worden:
Der Kunde nahm einen hohen Kredit auf, um eine sechsstellige Summe in eine Lebensversicherung per Einmalbeitrag zu investieren. Für diesen Kredit musste er Risikolebensversicherungen seiner Frau als Sicherheit an die Bank abtreten. Wesentlicher Bestandteil des Geschäftskonstrukts war eine Tilgungsversicherung für den aufgenommenen Kredit, abgeschlossen über das beklagte Versicherungsunternehmen. Auch beinhaltete der Tarif eine Todesfallleistung in Höhe von 105 Prozent der Kreditsumme, so der Versicherungsnehmer plötzlich verstirbt. Der hohe Kredit aber sollte sich nun folgendermaßen für den Kunden rechnen:
Dem Kunde wurde versprochen, das vorhandene Kapital in einem ersten Schritt irgendwo „zu parken“, um es in einem zweiten Schritt in Immobilien-Fonds anzulegen. Was zunächst wenig nach „Hand und Fuß“ klingt, wurde jedoch durch einen Versicherungsmakler im Auftrag des Strukturvertriebs „konkret“ gemacht: Musterberechnungen gingen von einer Rendite in Höhe von 6,85 Prozent jährlich aus. Aufgrund dieser Rendite sollten sich sowohl die Kosten des Kredits als auch die Kosten für die Tilgungsversicherung errechnen.
Mehr noch: Auch unter Berücksichtigung steuerlicher Gesichtspunkte sollte der Versicherungsnehmer letztendlich eine lebenslange Rente erhalten, deren Beitragsaufwand sich durch die Gewinne der Tilgungsversicherung selbst erwirtschaftet und dem Versicherungsnehmer zudem ein Plus verspricht. Trotz Kredit und Kreditkosten also hätte die Kapitallebensversicherung ein gutes Geschäft werden müssen…so die Prognosen der Modellrechnung zugetroffen hätten.
Die Realität: Hohe Kreditkosten und Vermögensschaden
Freilich aber: So einfach ist das mit der Selbst-Vermehrung des Geldes nicht. Denn die Rendite der Geldanlage in zwei Fonds blieb weit hinter den Erwartungen zurück, so dass der Mann auf den Kosten für Kredit und Versicherung sitzenblieb und zudem noch einen zusätzlichen Vermögensschaden aufgrund der als Sicherheit abgetretenen Risikolebensversicherungen seiner Frau erlitt. Das Problem jedoch: Über Risiken seines Geschäfts wurde der Mann unzureichend aufgeklärt, so dass er wegen vermuteter Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht klagte.
Weil ein wirtschaftlicher Erfolg für den Kläger durch den Einsatz von fremdfinanziertem Kapital erwirtschaftet werden sollte und zudem das Kapital in Fonds fließen sollte, gilt eine Kapitallebensversicherung nach Art des vermittelten Produkts als Anlagegeschäft. Der Kunde hätte also durch eine schriftliche Verbraucherinformation deutlich auf die mit seinem Produkt verbundenen Risiken hingewiesen werden müssen … auch darüber, dass bei schlechter Entwicklung der Renditen die Gewinne hinter den Kosten der Finanzierung zurückbleiben könnten oder dass bei Investitionen in einen Fond sogar ein Verlustrisiko droht.
Mehr noch: Für die Modellrechnung mit einer Rendite von 6,85 Prozent auf das Anlagekapital jährlich gab es überhaupt keine realistische Grundlage. Denn die Kapitallebensversicherung wurde durch den Mann im Jahre 2004 abgeschlossen – seit 2002 war der Tarif auf dem Markt. Mehrere vergleichbare Tarife des Versicherungsunternehmens aber hatten im Zeitraum vom 01. Februar 2004 bis 31. Januar 2005 nur eine Durchschnittsrendite von 2,49 Prozent erwirtschaftet. Das Werben mit 6,85 Prozent Rendite war deswegen pflichtwidrig, wie das Gericht betonte und wie der Lebensversicherer auch zugab. Wer aber haftet nun für die pflichtwidrige Werbung sowie die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten?
Aufklärungspflicht-Verletzung: Mann verklagt Lebensversicherer statt Makler
Der Mann hatte das Versicherungsunternehmen verklagt. Vermittelt aber hat ihm das Produkt ein Versicherungsmakler, der für einen Maklerdienst tätig war. Diesen Maklerdienst hatte das Versicherungsunternehmen als Untervermittler beauftragt. Nicht unwesentlich für das folgende Urteil: Der Tarif wurde wohl explizit für einen Vertrieb über diesen Maklerdienst entworfen, worauf auch ein gemeinsames Prospekt über das zu vermittelnde Produkt deutet. Das Prospekt enthielt auch just die notwendigen Informationen zu Risiken, wurde dem Mann bei den Vertragshandlungen aber nicht vorgelegt, sondern erst wesentlich später. Das hat einen Grund: Das Prospekt informiert auch konkret über die Fonds, in die das Geld floss.
Diese Informationen hätten dem Mann bei Vertragsabschluss aber gar nicht zugänglich gemacht werden können. Denn bei Abschluss des Geschäfts wusste der Anbieter noch gar nicht, in welche Fonds er investieren will. Schon deswegen war die Rendite-Rechnung des Maklers eine reine werbetechnische Luftbuchung – das Versicherungsunternehmen konnte sich übrigens während des gesamten Rechtsstreits nicht festlegen, in welche Fonds eine Anlage des Einmalbetrages nach dem Versicherungsvertrag erfolgen sollte, als die Antragsgespräche stattfanden. Das stellen die Leitsätze des Kammergerichts zum Urteil explizit heraus. Das Produkt wurde demnach schon vermittelt, obwohl gesetzlich notwendige Informationen noch gar nicht detailliert vorliegen konnten.
Kammergericht Berlin musste entscheiden: Haftet der Lebensversicherer für den Makler?
Muss aber nun das Versicherungsunternehmen haften, wenn es einem Maklerdienst mit der Vermittlung eines Produkts betraute? Muss das Unternehmen demnach für die fehlerhafte Aufklärung durch einen Versicherungsmakler haften, wenn es diesem gleichzeitig die Erfüllung der Aufklärungs- und Informationspflichten überlässt? Darüber musste nun das Kammergericht Berlin entscheiden. Denn der enttäuschte Kunde wollte gegenüber dem Lebensversicherer einen Schadensersatzanspruch geltend machen, trat demnach als Kläger in dem Rechtsstreit auf.
Auch verlangte der Geschädigte von dem Versicherungsunternehmen, ihn finanziell so zu stellen, als hätte der Kunde sämtliche Verträge in Verbindung mit dem Produkt nie geschlossen. Eine Freistellung von den noch offenen Verbindlichkeiten gegenüber der finanzierenden Bank gehörte ebenfalls zum Forderungskatalog des klagenden Kunden. Das Versicherungsunternehmen aber sah sich nicht in der Verantwortung für die pflichtwidrige Vertragsvermittlung.
So wollte der Lebensversicherer im Gegenzug unter anderem geltend machen: Das Fehlverhalten des vermittelnden Maklerdienstes sowie des Vermittlers sei ihm nicht zuzurechnen. Auch meinte das Versicherungsunternehmen, ihm sei ebenso nicht die Gesamtheit der mit dem Produkt verbundenen Risiken zuzurechnen. Zumal gar nicht einzusehen sei, ob der Versicherungsnehmer bei ordnungsgemäßer Aufklärung von dem Produkt abgelassen hätte. Konnte doch insbesondere die mit dem Produkt verbundene Tilgungskomponente auch bei anderen Anbietern abgeschlossen werden. Kurz: Die Klage des enttäuschten Kunden insgesamt sei abzuweisen.
Wie entschied das Kammergericht Berlin und mit welchen Gründen?
Wie aber entschied das Kammergericht Berlin? Vorauszusetzen ist: Das Kammergericht nahm sich der Sache als Berufungsgericht an. Denn zuvor urteilte bereits das Landgericht Berlin in der Sache – und entschied mit Urteil vom 10. März 2016 im Sinne des enttäuschten Versicherungsnehmers. Folgte doch das Landgericht weitgehend dem Antrag des klagenden Kunden und verurteilte das Versicherungsunternehmen auf Schadensersatz. Gegen dieses Urteil legte der Lebensversicherer vor dem Kammergericht Berufung ein…und scheiterte erneut mit seiner Sicht, denn durch einstimmigen Beschluss wurde die Berufung zurückgewiesen.
Kunde hätte nie Produkt gewählt
So begründete das Kammergericht im Einklang mit dem Landgericht: Bei pflichtgemäßer Aufklärung über das gesamte Konzept hätte der Versicherungsnehmer den Tarif nicht abgeschlossen, weswegen sich der Schaden zunächst tatsächlich aus der pflichtwidrigen Verletzung der Aufklärungspflicht ergibt. Gerade die Tilgungsversicherung als maßgeblicher Baustein des Gesamtkonzeptes deutet nämlich darauf hin, dass eine langfristige Renditeerwartung Ursache des Abschlusses für den Kunden war. Das Versicherungsunternehmen hingegen wollte den erlittenen Schaden für den Kunden relativieren, indem es die Risikolebensversicherung als wesentlichen Baustein des Produkts darlegte. Das Gericht ließ sich aber auf diese Sichtweise nicht ein.
Hätte nämlich der Kunde wirklich als maßgebendes Motiv die finanzielle Absicherung seiner Angehörigen für den plötzlichen Todesfall bezweckt, hätte er ein ganz anderes Produkt bevorzugt. Denn zwar wurden ihm 105 Prozent des Kreditvolumens garantiert, wäre der Kunde plötzlich verstorben. Dennoch hätte die Summe nicht gereicht, die dauerhaften Kosten des Kredits für die Angehörigen zu decken. Auch, dass die Risikolebensversicherung der Frau als Sicherheit eingebracht wurde, spricht dagegen, aufgrund des Risikoschutzes hätte der Mann das Produkt gewählt. Vielmehr ging es um langfristig erwirtschaftete Renditen für die Rente. Und falsche Versprechen diesbezüglich köderten den Mann.
Andere Tilgungsversicherungen bot der Makler nicht an
Auch das Argument, der Mann hätte sich für andere Tilgungsversicherungen entscheiden können, wodurch der Schaden eher der vermittelnden Tätigkeit zugeschoben werden sollte, ließ das Gericht nicht gelten. Denn zwar gab es diese Produkte. Beim Beratungsgespräch des Vermittlers waren dem Kunden aber gar keine alternativen Produkte anderer Versicherer angeboten worden. In diesem Kontext betonte das Gericht auch mehrfach die enge Zusammenarbeit zwischen dem beauftragten Maklerdienst und dem Versicherungsunternehmen. Der abgeschlossene Spezialtarif nämlich war exklusiv für den Vertriebsweg über diesen Maklerdienst entwickelt worden. Auch durfte der Dienst mit der langjährigen Zusammenarbeit werben beim Vertrieb des Produkts.
Fehlverhalten auch durch Versicherer verursacht
Mehr noch: Die mit der Vermittlung beauftragte Maklergruppe wies das beklagte Unternehmen sogar darauf hin, dass Kunden, Steuerberater und Vertriebspartner bereits mit Schadensersatzklagen drohten. Sei doch nicht klar, „in welcher Form und mit welchem Renditeergebnis eine Investition“ im Rahmen des Tarifs erfolge. Dennoch sollten die Vermittler nicht nur weiterhin mit dem unrealistischen Renditeergebnis von 6,85 Prozent jährlich werben, sondern durften sogar einbringen, in der Vergangenheit hätte die Fondsperformance auch schon bei 8,5 Prozent Rendite gelegen (wenngleich ein solches Ergebnis nicht garantiert sei). Keineswegs also lässt sich das pflichtwidrige Verhalten nur dem Maklerdienst sowie für den konkreten Gerichtsfall dem vermittelnden Makler anlasten.
Makler als Erfüllungsgehilfen: Der Versicherer haftet mit
Darüber hinaus aber stellte das Gericht auch klar: Werden Makler oder wird ein Maklerdienst als Erfüllungsgehilfe des Versicherungsunternehmens tätig und übernimmt demnach mit Wissen und Wollen Aufgaben, die typischerweise dem Versicherer obliegen, haftet der Versicherer auch für Fehlverhalten durch den Erfüllungsgehilfen (nach § 278 BGB). So hat sich der Lebensversicherer zur Erfüllung der Aufklärungs- und Informationspflichten des Vermittlungsdienstes bedient und die Erfüllung seiner Pflichten der beauftragten Maklergruppe überlassen. Aus diesem Grund muss sich das beklagte Unternehmen auch „solche in den Antragsgesprächen abgegebenen Erklärungen zu Chancen und Risiken der Anlage zurechnen lassen, die innerhalb der Grenzen ihrer eigenen Aufklärungspflicht nicht geschuldet waren.“ Auskünfte der beauftragten Erfüllungsgehilfen müssen folglich „richtig oder, wenn es um eine Risikobewertung geht, jedenfalls ex ante vertretbar sein“. Ist dies nicht der Fall, steht auch das Unternehmen für das Fehlverhalten der Makler in Haftung.