Die Ergo will künftig Versicherungen über digitale Sprachassistenten wie Alexa verkaufen. "Wir wollen bei diesem Thema ganz vorne dabei sein", sagte Deutschland-Chef Achim Kassow dem Berliner „Tagesspiegel“. Ein Grund: Sorge, dass andere Versicherer das Geschäft über digitale Sprachassistenten wegschnappen.
Die Ergo will zukünftig verstärkt Versicherungen über digitale Sprachassistenten wie Alexa verkaufen. Das berichtete Deutschland-Chef Achim Kassow in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ (Dienstag).
Auf die Frage, ob Alexa künftig die Autoversicherung automatisch bei der Ergo abschließe, antwortete der Manager: „Wenn die Kunden das wollen, klar. Ich glaube, die Menschen werden immer mehr Dinge über Voice-Anwendungen erledigen. Deshalb wollen wir bei diesem Thema ganz vorne sein, genauso wie wir das ja heute bereits bei der Internetsuche versuchen.“
Auch Online-Vertrieb kostet
Bei den eigenen Vertretern dürfte das Bekenntnis zu Alexa und Co. für Aufhorchen sorgen: ihnen droht im Zweifel der Verlust von Geschäft, Stichwort: Kannibalisierung. Doch Kassow bekennt sich im Interview zu einem Mehrkanalvertrieb, von dem die Vertreter aus Fleisch und Blut wichtiger Bestandteil sind.
Achim Kassow trat im Gespräch sogar der Behauptung entgegen, die eigenen Vertreter seien wegen der erhaltenen Provision teurer als der Digitalvertrieb: eine oft gelesene These, da Agenturen ja Mitarbeiter unterhalten und Büros bezahlen müssen. „Die Akquisitionskosten von Versicherungen, die über Agenturen verkauft werden, und die von Direktversicherungen sind ähnlich“, so Kassow. Schließlich müssten die Policen im Netz teuer beworben werden — und auch bei Onlinekanälen fließt Provision an Webanbieter und Vergleichsportale.
Die letzte strategische Entscheidung: Im Mai hat der Versicherer seinen Agentur- und Direktvertrieb zusammengelegt, nachdem beide bisher getrennt voneinander agierten. Der Kunde soll über eine einheitliche Webseite sowohl einen persönlichen Berater kontaktieren als auch einen digitalen Kanal wählen können (der Versicherungsbote berichtete). „In einer zunehmend digitalen Gesellschaft ist die Trennung zwischen Online- und Agenturvertrieb nicht mehr zeitgemäß“, sagte nun Kassow dem „Tagesspiegel“. Der Kunde wolle im Kontakt mit dem Versicherer nahtlos wechseln.
Der promovierte Ökonom hebt hervor, dass Versicherungen Push-Produkte sind: der Kunde muss aktiv darauf angesprochen werden, damit sein Interesse geweckt wird. „Versicherungen werden nicht gekauft, sondern bedarfsorientiert verkauft“, sagte der 52jährige. „Die meisten Menschen interessieren sich nicht für Versicherungen, sie wollen sich nicht mit Risiken beschäftigen oder schieben es gerne auf. Das ist in der analogen wie in der digitalen Welt so“. Auch deshalb brauche man Vermittler, die ihre Kunden aktiv ansprechen.
Alexa verkauft bisher kaum Versicherungen
Überraschend ist es nicht, dass ein großer Personenversicherer wie die Ergo Policen über Alexa verkaufen will. Eine Handvoll Versicherer nutzt bereits den Sprachassistenten von Amazon mittels sogenannter Skills: Extraprogramme, die der Nutzer installieren muss, um auf bestimmte Funktionen zuzugreifen (der Versicherungsbote berichtete).
Zu den deutschsprachigen Versicherern bei Amazon zählen die Allianz, Axa, Techniker Krankenkasse und Zurich. Oft handelt es sich bei den Anwendungen um Services, die sich an die eigenen Bestandskunden wenden: Entspannungs- und Yoga-Skills wie „TK Smart Relax“ oder ein Rentenrechner („Allianz Rente Skill“).
Als Vertriebskanal für das Neukundengeschäft spielt Alexa bisher allerdings kaum eine Rolle. Zwar vertreibt Amazon eigene Smartphone- und Elektronikversicherungen für ausgewählte Produkte, die über das Portal gekauft werden. Aber die Policen sind vergleichsweise teuer, ihr Nutzen umstritten: unter anderem wegen vieler Ausschlussklauseln (der Versicherungsbote berichtete). Produktgeber für „Amazon Protect“ ist die britische Warranty Group.
Aktuell vertreibt erst ein deutscher Versicherer offensiv Policen über Amazons Sprachassistenten: Die Deutsche Familienversicherung (DFV). Der relativ kleine Konkurrent aus Frankfurt am Main wirbt damit, das „erste börsennotierte Insurtech Europas“ zu sein und präsentiert die Alexa-Box offensiv auf seiner Startseite. Das Versprechen: „eine volldigitale Beratung“.
digitale Bastelstube
Um den Verkauf von Versicherungen über Sprachassistenten zu fokussieren, gönnt sich die Ergo ein eigenes Versuchslabor, oder besser gesagt: ein ganzes Netz davon. Rund 300 Mitarbeiter arbeiten aktuell an der digitalen IT des Versicherers, berichtet Kassow dem „Tagesspiegel“. Darüber hinaus beschäftige der Versicherer projektbasiert Freelancer und arbeite mit Start-ups zusammen.
Das digitale Hirn der Ergo wird von Berlin aus gesteuert, weitere IT-Bastelstuben sind in Düsseldorf, Nürnberg und Polen. So hat die Ergo in Warschau vor zwei Jahren ein eigenes Softwarehaus gegründet („Ergo Digital IT“), damit beauftragt, kundennahe Anwendungen zu entwickeln: etwa Apps für Schadenmeldungen, digitale Kundenordner und Telematik-Systeme. Polens Hauptstadt entwickelte sich in den letzten Jahren zu einer Boomtown für junge Gründer, weil hier Gewerbeflächen preiswert sind, die Infrastruktur gut ausgebaut und ausreichend Fachkräfte vorhanden (der Versicherungsbote berichtete).