Ein aktuelles Revisions-Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt: Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Rente verjähren wie eh und je, Grundlage ist das Bürgerliche Gesetzbuch. Eine Gesetzreform von 2008 hatte das Oberlandesgericht Jena zuvor zu einem fehlerhaften Urteil geführt.
"Stammrechtsverjährung" gilt gemäß den Maßgaben des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), wie ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Datum vom 3. April 2019 zeigt (Az. IV ZR 90/18). "Stammrecht" bezeichnet hierbei den Gesamtanspruch aus einer BU-Rente oder den Gesamtanspruch aus einer anderen wiederkehrenden Leistung für den Versicherungsnehmer. Das Urteil ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit – das Oberlandesgericht (OLG) Jena hatte zuvor noch anders entschieden (unter dem Aktenzeichen 4 U 392/17). Grund des fehlerhaften Urteils durch die Vorinstanz: Eine Reform des Versicherungsvertragsrechts von 2008 und damit einhergehende Rechtsunsicherheit.
Nach Berufsunfähigkeit: Frau verfolgte Ansprüche spät
Um was ging es in dem aktuellen Rechtsstreit, der zum maßgebenden Urteil durch den Bundesgerichtshof führte? Eine Frau hatte eine fondsgebundene Rentenversicherung mit verschiedenen Zusatzbausteinen abgeschlossen, woraus ihr außerdem Ansprüche bei Berufsunfähigkeit entstanden: Eine Zusatzversicherung sicherte der Frau vertraglich zu, bei Berufsunfähigkeit für die Hauptversicherung und weitere Zusatzleistungen beitragsfrei gestellt zu werden. Am 1. Februar 2009 erlitt die Frau einen Skiunfall, der zur Berufsunfähigkeit führte. Folglich hätte die Frau auch Anspruch auf Befreiung von ihren Beiträgen gehabt. Mit dem Einfordern ihrer Ansprüche aber schien es die Versicherungsnehmerin nicht eilig zu haben.
Erst im Mai 2010 stellte die Frau aufgrund ihrer Berufsunfähigkeit einen Leistungsantrag. Diesen lehnte ihre Versicherung im Oktober 2010 ab. Nun ging weitere Zeit ins Land: 2014 führten weitere Erkrankungen zu einem neuen Leistungsantrag – diesen lehnte die Versicherung im März 2015 ebenfalls ab. Und erst im Oktober 2016 (und damit über sieben Jahre später) verklagte die Frau ihren Versicherer vor dem Landgericht (LG) Gera (Az. 3 O 903/16).
Das Landgericht gab zunächst durch Versäumnisurteil der Klage der Frau statt … hob aber das eigene Urteil wieder auf, nachdem der Versicherer die Einrede der Verjährung erhoben hatte – und wies die Klage in der Folge ab. Die Frau wollte eine solche Entscheidung jedoch nicht hinnehmen, legte vor dem Oberlandesgericht Jena Berufung ein, errang zunächst einen Erfolg: Das Oberlandesgericht änderte das Urteil des Landgerichts ab. Das Jenaer Gericht sprach mit Urteil vom 29. März 2018 der Frau zu, zumindest ab 1. Januar 2013 beitragsfrei gestellt zu werden.
Ein solches Urteil wiederum wollte der verklagte Versicherer nicht hinnehmen, ging in Revision vor dem Bundesgerichtshof. In letzter Instanz entschied nun Justitias Waage wieder für den Versicherer: Das Urteil des Oberlandesgerichts Jena hielt einer Überprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand und wurde aufgehoben, da zum Nachteil des beklagten Versicherungsunternehmens entschieden wurde.
Auch nach Reform des Versicherungsvertragsrechts: Gesamtanspruch aus der BU-Versicherung unterliegt Verjährung
Ein wichtiger Knackpunkt, der zur Aufhebung des Urteils führte: Das Oberlandesgericht Jena hatte zum Nachteil des beklagten Versicherers nicht ausreichend bedacht, dass der Gesamtanspruch aus einer BU-Versicherung auch nach der Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG) in 2008 noch immer der Verjährung unterliegt. Maßgebend ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) mit Paragraph 194 und seinen Folgeparagraphen – hierdurch werden Bedingungen definiert, die auch auf das Stammrecht und damit auf Ansprüche aus einer BU-Versicherung anzuwenden sind. So regelt zum Beispiel Paragraph 195 BGB eine „regelmäßige Verjährungsfrist“ von drei Jahren.
Warum aber nahm das Oberlandesgericht an, diese Paragraphen würden für Ansprüche aus der BU-Versicherung nicht mehr gelten? Im Grunde deutete das Oberlandesgericht eine Gesetzreform aus dem Jahre 2008 fehl. In der Tat sollte diese Reform auch die Rechte des Versicherungsnehmers stärken – jedoch nicht so weit gehend, wie das Oberlandesgericht meinte.
Gerüttelt nämlich wurde mit dieser Reform an einem Privileg für die Versicherer, und dieses Privileg hebelte bis 2008 über das Versicherungsvertragsrecht Bedingungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus. Dieser Missstand sollte beseitigt werden. An den Maßgaben des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Verjährung hingegen änderte der Gesetzgeber nichts.
Bis 2008: Versicherer konnten Verjährungsfrist einseitig verkürzen
Denn bis zur Reform machte ein Passus in Paragraph 12 Abs. 3 VVG, eine zusätzliche Regel, dem BGB Konkurrenz. Sprach der Absatz die Versicherungsunternehmen doch von der Leistung frei, falls der Anspruch auf die Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten durch den Versicherungsnehmer gerichtlich geltend gemacht wird (eine alte Fassung des Paragraphen 12 ist noch im Netz verfügbar). Demnach hatten bis 2008 Versicherer die Möglichkeit, die Verjährungsfrist zu Lasten des Vertragspartners einseitig zu verkürzen.
Weil die zusätzliche Regelung aber die Versicherungsnehmer einseitig benachteiligte, wurde sie in 2008 gestrichen (hierzu die neue Fassung ab 2008). Jedoch: Der Wegfall dieser Regel ändert nichts an der selbständigen Verjährung des Leistungsanspruchs nach allgemeinem Verjährungsrecht gemäß BGB. Das stellt der Bundesgerichtshof mit seinem Revisions-Urteil deutlich heraus.
Das Oberlandesgericht Jena deutete die Gesetzesänderung aber anders: Aus Sicht des OLG hatte sich der Gesetzgeber mit dem Streichen der Absätze auch gegen eine Stammrechtsverjährung entschieden und deren normativen Anknüpfungspunkt gestrichen. Im Lichte dieser Fehldeutung urteilte das Oberlandesgericht auch zugunsten der Frau und wertete die Erhebung der Verjährungseinrede durch den Versicherer als „treuwidrig“. Das Oberlandesgericht verkannte in seinen Urteilsgründen letztendlich, dass in 2008 ja gerade Maßgaben des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegenüber einstigen Sonderregeln aus dem Versicherungsvertragsrecht gestärkt werden sollten.
„Schuldrechtsmodernisierungsgesetz": Hohe Verjährungsfristen nur für Betriebsrenten
An dieser Tatsache rüttelt übrigens auch eine andere, der Reform von 2008 vorausgehende Gesetzesänderung durch das so genannte „Schuldrechtsmodernisierungsgesetz“ nicht, die unter anderem das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) betraf. Der Hinweis ist nötig, um einen Irrtum der Revisionserwiderung aufzuklären. Wollte die Partei der Klägerin doch dem Prozess-Gegner die Revision ebenfalls streitig machen, indem eine Gesetzreform ins Feld geführt wurde. Jedoch: Was für Betriebsrenten gilt, gilt nicht für das Stammrecht auf Leistungen der BU-Versicherung.
Betriebsrenten verfügen seit 2001 nämlich über das Privileg wahrlich komfortabler Verjährungsfristen – Paragraph 18a des Betriebsrentengesetzes schreibt eine Frist von 30 Jahren für Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung fest. Das wertete die klagende Partei als Wille des Gesetzgebers, eine ebensolche lange Verjährungsfrist für Ansprüche aus der BU-Rente gelten zu lassen. Dem aber ist nicht so, wie der Bundesgerichtshof herausstellt. Die besondere Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt ausschließlich für Betriebsrenten.
Warum verjähren Ansprüche aus der BU-Rente?
Warum aber ist es nach Darlegung des Bundesgerichtshofs sogar geboten, dass Ansprüche aus der BU-Rente mit Maßgabe der kürzeren Frist aus Paragraph 195 BGB verjähren? Grund ist eine wichtige Eigenschaft des Stammrechts für BU-Renten: Das Leistungsversprechen auf Dauer, unter dem der Versicherungsnehmer Ansprüche erwirbt. Leistung ist vom Vertragspartner zu erbringen, so lange der auslösende Zustand – im konkreten Fall die Berufsunfähigkeit zu mindestens 50 Prozent – anhält. Erst bei Ablauf der vertraglichen Leistungsdauer, beim Unterschreiten der 50-Prozent- Schranke oder bei Tod des Versicherungsnehmers erlischt der Anspruch aus der BU-Versicherung wieder.
Ein solches Leistungsversprechen verpflichtet den Versicherer nicht nur, sondern führt zugleich zu schutzwürdigen Interessen, die auch bei der Verjährung zu beachten sind. Das gilt unabhängig von der Versicherungsleistung – und demnach unabhängig von der Frage, ob die Leistung die häufigere Regel einer BU-Rente oder wie im vorliegenden Fall eine Beitragsbefreiung betrifft.
Im Sinne dieses dauerhaften Anspruchs nämlich ist es auch „interessengerecht“, wenn das Recht auf BU-Leistungen verjährt. Würde es doch die Versicherungsunternehmen „unbillig belasten, sich Jahre nach einer Leistungsablehnung noch mit einem für abgeschlossen gehaltenen, angesichts des Zeitablaufs typischerweise nur noch unter Schwierigkeiten aufklärbaren Versicherungsfall auseinandersetzen zu müssen“, wie das Gericht ausführt. Das Gericht verweist auch auf den Gedanken des Rechtsfriedens und des Schuldnerschutzes. In diesem Sinne soll ein Schuldner auch davor bewahrt werden, „noch längere Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen überzogen zu werden.“
Ohne Verjährung werden BU-Ansprüche schnell zu einem Kalkulationsrisiko, das auch das Versichertenkollektiv treffen könnte. In diesem Sinne weist der Bundesgerichtshof aber auch darauf hin, dass einem Versicherungsnehmer Möglichkeiten zur Hemmung der Verjährung zur Verfügung stehen. Eine solche Möglichkeit ist zum Beispiel die Klage auf künftige wiederkehrende Leistungen nach Paragraph 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB oder die Klage auf wiederkehrende Leistungen nach Paragraph 258 Zivilprozessordnung (ZPO). Da solche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sei dem Versicherungsnehmer auch eine Verjährung des Stammrechts zuzumuten.
Oberlandesgericht Jena muss nun urteilen
Wie aber verhält es sich nun mit den Ansprüchen der Frau aus ihrer Zusatzversicherung? Welche Ansprüche sind verjährt bei der komplizierten Vorgeschichte mehrfacher Leistungsanträge? Und können noch Ansprüche geltend gemacht werden? Der Ausgang des Gerichtsprozesses steht offen, denn der Bundesgerichtshof wies die Sache mit seinem Urteil zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht Jena zurück.
Fakt jedoch ist: Für seine Entscheidung muss das Oberlandesgericht nun fehlende Feststellungen nachholen und falsche Urteilsgründe korrigieren. Und dies geschieht unter der Prämisse, dass eine Verjährung im Sinne der Paragraphen 194 ff. BGB für das neu zu fällende Urteil maßgebend ist.