CDU: "Die gesetzliche Rente wird oft unterschätzt!"

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"Werte Parteien im Bundestag, wie stellen Sie sich die Zukunft der Rente in Deutschland angesichts einer alternden Gesellschaft und drohender Altersarmut vor?" Mit einem umfangreichen Fragenkatalog hierzu hat der Versicherungsbote alle Fraktionen im Bundestag angeschrieben. Und alle haben geantwortet - mit Ausnahme der AfD. Für die Unionsfraktion antwortete Peter Weiß (CDU), seit 1998 Mitglied im Bundestag und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er eröffnet den Interviewmarathon.

Versicherungsbote: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die Bundesbürger Altersarmut fürchten — und was kann dagegen getan werden?

Peter Weiß: Aktuell sind weniger als drei Prozent der Seniorinnen und Senioren in Deutschland auf Grundsicherungsleistungen angewiesen. Die Alterssicherung ist oft abhängig vom aktiven Erwerbsleben und dem, was man in die Alterssicherung eingezahlt hat. Insofern hilft uns die robuste wirtschaftliche Entwicklung, Altersarmut zu vermeiden. Da wo es nicht reicht, gibt es die Grundsicherung. Und wir wollen die Grundrente einführen. Schwankende und unstete Erwerbsverläufe sowie neue Erwerbsformen lassen darauf schließen, dass wir die Systeme auf den Prüfstand stellen und uns etwa die Absicherung ungesicherter Selbständiger genauer ansehen müssen. Hier hat die Koalition einen Handlungsauftrag. Und mit den Zukunftsfragen beschäftigt sich außerdem eine Kommission.

Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die umlagefinanzierte Rente?

Quelle: CDU / Claudia ThomaDie gesetzliche Rentenversicherung wurde oft unterschätzt, wenn es um ihre Leistungsfähigkeit geht. Schon Ende der 80er Jahre hatte man Sorgen wegen der demographischen Entwicklung, was den damaligen Minister Norbert Blüm veranlasste zu plakatieren: Die Rente ist sicher. Nun zeigt sich: Wir haben nicht nur zuletzt die Beiträge senken, sondern auch die Leistungen wieder deutlich ausbauen können. Die Rentenlaufzeiten sind mit der Lebenserwartung schneller gestiegen als das Renteneintrittsalter.

Der Grund für die positive Bilanz: Die Rente ist nicht nur abhängig von der Zahl der Beitragszahler, sondern auch vor der wirtschaftlichen Entwicklung. Natürlich aber muss man sich wappnen für schwierigere Zeiten und demografische Veränderungen. Die Rentenkommission wird hierzu für die Zeit ab 2025 Wege aufzeigen und mögliche Antworten geben, was man tun sollte.

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden, etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland ein denkbares Modell?

Dazu erwarten wir Vorschläge der Rentenkommission. Fakt ist aber auch: die Systeme sind nicht einfach zu vergleichen, da muss man genau hinsehen. In Deutschland bekommt man die Altersrente schon mit nur 5 Beitragsjahren, in Österreich muss man dafür mindestens 15 Jahre eingezahlt haben. Beamte entlasten das System nur eine kurze Phase lang. Wenn sie Leistungen empfangen, werden sie das System eher belasten, weil auch hier weniger Neulinge einer größer werdenden Gruppe von Leistungsempfängern gegenüberstehen.

Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar bleibt?

In der Tendenz ist das sicherlich so und bis 2030 haben wir auch die Rente mit 67 schrittweise eingeführt. Momentan steigt das Renteneintrittsalter auch tatsächlich. Und ältere Fachkräfte werden dringend gesucht, ihre Erwerbsbeteiligung steigt. Die Rentenkommission beschäftigt sich auch damit, wie es dann ab 2030 weitergehen kann. Dabei muss darauf geachtet werden, dass man auch jenen gerecht wird, die im Alter nicht ohne weiteres harte oder gefährliche Arbeiten verrichten können. Bei Piloten ist das so, dass sie früher gehen können müssen, ebenso bei Handwerkern oder Pflegern. Wir brauchen insgesamt mehr Flexibilität. Und freiwilliges längeres Arbeiten muss sich in der Rente noch mehr lohnen als heute.

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren Sie sich zu dieser Pflicht — wie könnte diese gestaltet sein?

Nicht abgesicherte Selbständige haben ein hohes Armutsrisiko im Alter und bei Erwerbsminderung. Wir stehen zur Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die für diese Selbständigen eine Versicherungspflicht vorsieht mit Opt-out-Möglichkeit. An dem Konzept wird derzeitig gefeilt. Es muss gründerfreundlich sein, den Selbständigen die notwendige soziale Sicherheit geben, aber auch genug Flexibilität für die unterschiedlichen Modelle von Selbstständigkeit. Die grundsätzliche Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung hat den Vorteil, dass man hier auch das Risiko der Erwerbsminderung abdeckt und z.B. eine Reha bekommen kann.

Ich schlage vor, unter dem Dach der landwirtschaftlichen Sozialversicherung Kompetenzzentren für Selbständige zu schaffen, die in sämtlichen Fragen der sozialen Absicherung und der privaten Vorsorge beraten und auch entscheiden können, bei welcher eigenen Vorsorgeanstrengung man raus optieren kann. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen.

...die Riester-Anbieter sind selbst gefordert!

Versicherungsbote: Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen hatten zum Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.

Peter Weiß: Wir haben die Riester-Rente durch mehrere Gesetze vereinfacht und prüfen, was hier noch erreicht werden kann. Hauptkritikpunkt ist auch das Gebaren mancher Anbieter. Oft rentieren sich die Verträge nur noch über die staatliche Förderung. Die mit Abschluss und Durchführung der Riester-Verträge verbundenen Kosten stehen seit jeher in der besonderen Kritik, denn nicht selten schmälern sie die Rendite erheblich. Einige Anbieter verschleiern die anfallenden Kosten in nicht immer transparent formulierten Vertragsbedingungen.

In unserer Fraktionsarbeitsgruppe zur Begleitung der Rentenkommission beraten wir sehr intensiv, ob die Riester Rente weiter reformiert werden kann. Es geht einerseits darum, die Kriterien zu vereinfachen, die die Produkte erfüllen müssen. Andererseits sind die Anbieter aber selbst gefordert, die Produkte attraktiver, transparenter und kostengünstiger auszugestalten. Es gibt bereits zahlreiche sehr interessante Vorschläge, auch aus unseren eigenen Reihen. Wir diskutieren hierzu ergebnisoffen – sowohl was die Frage der Organisation anbelangt als auch was die Rahmenbedingungen betrifft.

Sowohl die Reform der Riester-Rente als auch ein womöglich daneben stehendes Alternativprodukt werden diskutiert. Zu den Rahmenbedingungen zählen Fragen, ob künftig auch Produkte ohne Garantien, aber mit mehr Renditechancen auf den Markt kommen können. Gerade in unruhigen Zeiten wie in diesen Tagen muss man sich aber gut überlegen, ob man Garantien dann auch gänzlich abschaffen will. Altersvorsorge muss auch ein Mindestmaß an Verlässlichkeit bieten. Ganz ohne Regeln wird es also nicht gehen.

Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger 2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein Modell auch für Deutschland?

Wir diskutieren schon seit längerem etwa das Modell der Deutschland-Rente, das von der hessischen Landesregierung in die Diskussion gebracht wurde. Ich halte das für eine Erwägung wert, so etwas auch in Deutschland einzurichten. Dabei sollte man aber auch das Risiko nicht verkennen. Die Bilanz des schwedischen Standardfonds in den ersten Jahren nach der Einführung war ernüchternd: Er verlor sieben Prozent im Jahr 2000, elf Prozent 2001 und dann nochmals 27 Prozent 2002. Man hat den Fonds auch über Kredite gehebelt. Man muss sich genau überlegen, wer so viel Kapitalmasse managen soll und was die Rahmenbedingungen sind.

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?

Wer privat vorsorgt, muss ständig die Änderungen in den Blick nehmen, die Auswirkungen auf die eigene Anlage haben können. In der Niedrigzinsphase lohnen sich riskantere Anlagen. In einer Rezension könne sie aber auch vernichtend wirken. Auf den gesunden Mix kommt es an. Man sollte Geldanlagen breit streuen und von Zeit zu Zeit über Umschichtungen nachdenken. Lebens- und Rentenversicherungen können sich weiterhin lohnen, etwa weil sie auch Hinterbliebene absichern oder langfristig gewisse Garantien geben. Wegen der geringen Rückkaufswerte lohnt sich der Ausstieg und ein Umschichten oft auch nicht.

Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren anhalten — und mit welchen Konsequenzen für deutsche Sparer?

Er wird noch einige Zeit andauern. Sicherlich haben viele Anbieter die Niedrigzinsphase nicht vorausgesehen und den Sparern zu hohe Renditen in Aussicht gestellt. Viele müssen feststellen, dass sie ihr Sparziel nur mit riskanteren Anlagen oder einem höheren Einsatz erreichen können. Bisweilen werden bei sichereren Anlageformen gar keine Zinsen gezahlt oder gar Negativzinsen erhoben. Wir diskutieren gerade darüber, wie wir Sparer vor Negativzinsen schützen können.

Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum zu mehr Wohlstand führt: dies wird auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den „Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken, ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc. Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum anpeilt — wie könnte sie aussehen?

Ich glaube, alle haben erkannt, dass Wachstum auch nachhaltig sein muss und künftigen Generationen nicht die Zukunft verbauen darf. Andererseits hat die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 70 Jahre auch erst jene Bedingungen geschaffen, die gut versorgten Kindern heute überhaupt die Möglichkeit gibt, ohne eigene Not oder Hunger demonstrieren zu können. Nie war die Frage von Work-Life-Balance so entspannt zu führen wie heute in Zeiten des Fachkräftemangels. Dank der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Renten gestiegen und wir haben kaum Arbeitslose. Ich sehe keine Alternative zum Wirtschaftswachstum. Und man darf auch nicht vergessen: hier steht Deutschlands Industrie und Wirtschaft in einem harten internationalem Wettbewerb. Nachdenken und optimieren kann man hinsichtlich der Nachhaltigkeit. Für die Ausgestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen sind die Sozialpartner zuständig.

Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel durch kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in 30 Jahren?

Es besteht kein Zweifel daran, dass Digitalisierung die Arbeitswelt verwandelt. Man kann das sehen, dass Kunden in Supermärkten ihren Einkauf selber an Automatenkassen scannen, ihr Gepäck am Flughafen selber an Automaten einchecken, dort automatische Körperscanner durchlaufen, am Taxistand auf autonom fahrende Elektroautos warten. Die Callcenter werden durch Sprachcomputer ersetzt. Bankschalter gibt es dann keine mehr, Bargeld auch nicht, nur noch Online-Banking. Das alles deutet sich heute schon an und ist in einigen Jahren Realität. Die Frage ist: wie weit wollen wir zulassen, dass Menschlichkeit durch Technik ersetzt wird. Vielleicht haben wir das in 30 Jahren auch satt, und man möchte wieder den Service von einem echten Menschen erleben, so wie heute in der Produktion der Trend zur Manufaktur in der Mode festzustellen ist. Auch in Zeiten zunehmender Automatisierung sehen wir immer mehr Manufakturen, die sprießen gerade überall aus dem Boden, sozusagen als Gegenbewegung.

Die Fragen stellte Mirko Wenig