Versicherungsbote: Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen hatten zum Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.
Peter Weiß: Wir haben die Riester-Rente durch mehrere Gesetze vereinfacht und prüfen, was hier noch erreicht werden kann. Hauptkritikpunkt ist auch das Gebaren mancher Anbieter. Oft rentieren sich die Verträge nur noch über die staatliche Förderung. Die mit Abschluss und Durchführung der Riester-Verträge verbundenen Kosten stehen seit jeher in der besonderen Kritik, denn nicht selten schmälern sie die Rendite erheblich. Einige Anbieter verschleiern die anfallenden Kosten in nicht immer transparent formulierten Vertragsbedingungen.
In unserer Fraktionsarbeitsgruppe zur Begleitung der Rentenkommission beraten wir sehr intensiv, ob die Riester Rente weiter reformiert werden kann. Es geht einerseits darum, die Kriterien zu vereinfachen, die die Produkte erfüllen müssen. Andererseits sind die Anbieter aber selbst gefordert, die Produkte attraktiver, transparenter und kostengünstiger auszugestalten. Es gibt bereits zahlreiche sehr interessante Vorschläge, auch aus unseren eigenen Reihen. Wir diskutieren hierzu ergebnisoffen – sowohl was die Frage der Organisation anbelangt als auch was die Rahmenbedingungen betrifft.
Sowohl die Reform der Riester-Rente als auch ein womöglich daneben stehendes Alternativprodukt werden diskutiert. Zu den Rahmenbedingungen zählen Fragen, ob künftig auch Produkte ohne Garantien, aber mit mehr Renditechancen auf den Markt kommen können. Gerade in unruhigen Zeiten wie in diesen Tagen muss man sich aber gut überlegen, ob man Garantien dann auch gänzlich abschaffen will. Altersvorsorge muss auch ein Mindestmaß an Verlässlichkeit bieten. Ganz ohne Regeln wird es also nicht gehen.
Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger 2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein Modell auch für Deutschland?
Wir diskutieren schon seit längerem etwa das Modell der Deutschland-Rente, das von der hessischen Landesregierung in die Diskussion gebracht wurde. Ich halte das für eine Erwägung wert, so etwas auch in Deutschland einzurichten. Dabei sollte man aber auch das Risiko nicht verkennen. Die Bilanz des schwedischen Standardfonds in den ersten Jahren nach der Einführung war ernüchternd: Er verlor sieben Prozent im Jahr 2000, elf Prozent 2001 und dann nochmals 27 Prozent 2002. Man hat den Fonds auch über Kredite gehebelt. Man muss sich genau überlegen, wer so viel Kapitalmasse managen soll und was die Rahmenbedingungen sind.
Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?
Wer privat vorsorgt, muss ständig die Änderungen in den Blick nehmen, die Auswirkungen auf die eigene Anlage haben können. In der Niedrigzinsphase lohnen sich riskantere Anlagen. In einer Rezension könne sie aber auch vernichtend wirken. Auf den gesunden Mix kommt es an. Man sollte Geldanlagen breit streuen und von Zeit zu Zeit über Umschichtungen nachdenken. Lebens- und Rentenversicherungen können sich weiterhin lohnen, etwa weil sie auch Hinterbliebene absichern oder langfristig gewisse Garantien geben. Wegen der geringen Rückkaufswerte lohnt sich der Ausstieg und ein Umschichten oft auch nicht.
Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren anhalten — und mit welchen Konsequenzen für deutsche Sparer?
Er wird noch einige Zeit andauern. Sicherlich haben viele Anbieter die Niedrigzinsphase nicht vorausgesehen und den Sparern zu hohe Renditen in Aussicht gestellt. Viele müssen feststellen, dass sie ihr Sparziel nur mit riskanteren Anlagen oder einem höheren Einsatz erreichen können. Bisweilen werden bei sichereren Anlageformen gar keine Zinsen gezahlt oder gar Negativzinsen erhoben. Wir diskutieren gerade darüber, wie wir Sparer vor Negativzinsen schützen können.
Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum zu mehr Wohlstand führt: dies wird auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den „Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken, ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc. Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum anpeilt — wie könnte sie aussehen?
Ich glaube, alle haben erkannt, dass Wachstum auch nachhaltig sein muss und künftigen Generationen nicht die Zukunft verbauen darf. Andererseits hat die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 70 Jahre auch erst jene Bedingungen geschaffen, die gut versorgten Kindern heute überhaupt die Möglichkeit gibt, ohne eigene Not oder Hunger demonstrieren zu können. Nie war die Frage von Work-Life-Balance so entspannt zu führen wie heute in Zeiten des Fachkräftemangels. Dank der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Renten gestiegen und wir haben kaum Arbeitslose. Ich sehe keine Alternative zum Wirtschaftswachstum. Und man darf auch nicht vergessen: hier steht Deutschlands Industrie und Wirtschaft in einem harten internationalem Wettbewerb. Nachdenken und optimieren kann man hinsichtlich der Nachhaltigkeit. Für die Ausgestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen sind die Sozialpartner zuständig.
Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel durch kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in 30 Jahren?
Es besteht kein Zweifel daran, dass Digitalisierung die Arbeitswelt verwandelt. Man kann das sehen, dass Kunden in Supermärkten ihren Einkauf selber an Automatenkassen scannen, ihr Gepäck am Flughafen selber an Automaten einchecken, dort automatische Körperscanner durchlaufen, am Taxistand auf autonom fahrende Elektroautos warten. Die Callcenter werden durch Sprachcomputer ersetzt. Bankschalter gibt es dann keine mehr, Bargeld auch nicht, nur noch Online-Banking. Das alles deutet sich heute schon an und ist in einigen Jahren Realität. Die Frage ist: wie weit wollen wir zulassen, dass Menschlichkeit durch Technik ersetzt wird. Vielleicht haben wir das in 30 Jahren auch satt, und man möchte wieder den Service von einem echten Menschen erleben, so wie heute in der Produktion der Trend zur Manufaktur in der Mode festzustellen ist. Auch in Zeiten zunehmender Automatisierung sehen wir immer mehr Manufakturen, die sprießen gerade überall aus dem Boden, sozusagen als Gegenbewegung.
Die Fragen stellte Mirko Wenig