Nach monatelangem Ringen haben sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD nun auf einen Kompromiss für die „Grundrente“ oder auch „Respektrente“ geeinigt. Eine Aufwertung von Entgeltpunkten soll lange Einzahlungen in die Rentenkasse bei geringem Einkommen belohnen. Bis zu 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner könnten ab 2021 davon profitieren, wenn der Entwurf in den Koalitionsparteien nun Zustimmung findet.
Jedoch: Aus den Regierungsparteien kündigt sich erster Widerstand gegen den Kompromiss an. Auch mahnte bereits der ehemalige Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger Franz Ruland: Die Pläne verstoßen gegen das Grundgesetz.
„Sozialpolitischer Meilenstein“ rettet den Frieden der Großen Koalition
Die Landtagswahlen 2019 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind Geschichte. Und siehe da: Plötzlich kommt Bewegung in eine Sache, die den Parteien zunächst zur Profilierung im Wahlkampf galt. Denn nach monatelangem Ringen einigten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD nun überraschend auf einen Kompromiss bei der Grundrente – als Belohnung für all jene Menschen, die bei geringem Verdienst mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) eingezahlt haben. Eigentlich festgeschrieben im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur aktuellen Legislaturperiode, brachte die Grundrente nämlich zuletzt viel Unfrieden in die Koalition.
Denn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warb mit dem Vorstoß einer „Respekt-Rente", die weit über die Pläne des Koalitionsvertrags hinausging. Es kam zum offenen Konflikt der Koalitionspartner: Insbesondere eine Zahlung der Rentenleistung ohne Bedürftigkeitsprüfung lehnten die Unionsfraktionen grundsätzlich ab und boykottierten in der Folge die Pläne aus dem SPD-geführten Ministerium. SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann brachte deswegen sogar einen Bruch der Großen Koalition ins Spiel, wie der Versicherungsbote berichtete. Demnach stand durch das Streit-Thema "Grundrente" letztendlich nicht weniger als der Fortbestand der Regierung auf dem Spiel.
Nun jedoch, am Sonntag nach fünfstündiger Verhandlung, konnte laut Bericht der Tagesschau doch noch ein Kompromiss bei der Grundrente gefunden werden. Spitzenpolitiker der Regierungsparteien sparen nicht mit Lob. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer meint, man habe "einen dicken Knoten durchschlagen". Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer spricht sogar von einem „sozialpolitischen Meilenstein“.
Maßgebend: Die durchschnittliche Zahl der jährlich erhaltenen Entgeltpunkte
Auch wurden erste Maßgaben für neue Pläne verkündet, die nun kurz vorgestellt werden sollen. Nach der Einigung gilt, wie bisher: Die Grundrente soll jene Menschen belohnen, die bei geringem Verdienst mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) eingezahlt haben. Für das Einkommen gelten hierbei zwei maßgebende Grenzen: Es darf einerseits für die Dauer der maßgebenden Jahre durchschnittlich nicht unter 30 Prozent des jährlichen Durchschnittseinkommen aller Versicherten liegen. Andererseits darf es aber auch nicht 80 Prozent des jährlichen Durchschnittseinkommen aller Versicherten übersteigen. Diese beiden Werte nennt aktuell die "Tagesschau". Zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Menschen sollen laut Malu Dreyer ab 2021 „zum ersten Mal ihre Rente aufgewertet“ erhalten. Ermittelt wird der Anspruch über die Beitragsleistung und damit über den Durchschnittswert der Entgeltpunkte.
Bei 0,3 Entgeltpunkten liegt die Minimalgrenze für den Anspruch – es gibt also einen Grenzwert, der alle Rentnerinnen und Rentner von der neuen Leistung ausschließt, die sehr wenig verdient haben. Zugleich gibt es eine Kappungsgrenze bei 0,8 Entgeltpunkten. Wer darüber liegt und mehr als 80 Prozent vom Durchschnittslohn über die Jahre hinweg verdiente, hat zu viel für die neue Rentenleistung verdient.
Vier von fünf Anspruchsberechtigte sind Frauen
Sind die Bedingungen für den Bezug der Grundrente jedoch erfüllt, werden die Entgeltpunkte aufgewertet. Da aktuell nichts anderes vermeldet wurde, muss – gemäß den bisherigen Plänen – von einer Verdoppelung der Entgeltpunkte ausgegangen werden (der Versicherungsbote berichtete). Bis zu 447,00 Euro mehr – so lauteten die aufsehenerregenden Schlagzeilen der Vergangenheit – sollen Bezieherinnen und Bezieher der neuen Rente dadurch unter bestimmten Bedingungen erhalten. Die Koalition sieht darin insbesondere ein politisches Signal für weibliche Erwerbsbiographien: Vier von fünf Anspruchsberechtigte auf die neue Leistung sind laut SPD-Politikerin Dreyer Frauen.
Automatisierte Einkommensprüfung: Bedürfnisprüfung light
Wie aber erreichte die Koalition nun, sich zu einigen, sprich: Welcher Kompromiss führte nach lautstarkem öffentlichen Streit zur Einigung? Hier kommen weitere Bedingungen ins Spiel, unter denen die neue Rente gezahlt werden soll. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollte die Rente ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung zahlen – ein Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, der eine „Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung“ vorsah. Ein völliger Verzicht hätte aber dazu geführt, dass Grundrente auch dann gewährt wird, wenn bereits eine Absicherung oder gar großzügige Absicherung des Rentenempfängers durch den jeweiligen Ehepartner, durch Ansprüche aus einer Hinterbliebenenrente oder durch vorhandenes Vermögen besteht, wie der Versicherungsbote berichtete.
Grundrente für Menschen mit hohem Einkommen aber war aus Sicht der Unionsparteien reine Verschwendung von Geldern. "Eine Grundrente ganz ohne Vermögensprüfung ist für die Union nicht vorstellbar“, erklärte folglich mit Peter Weiß der sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Dieser Konfliktpunkt wurde nun ausgeräumt.
Denn wenn schon keine Vermögensprüfung stattfindet, so findet auf Drängen der CDU/CSU zumindest eine Einkommensprüfung statt – als eine Art „Bedürfnisprüfung light“. Diese sei aber laut Tagesschau „umfassend“ und umfasse zum Beispiel auch Kapitalerträge. Für die Grundrente-Bezieherinnen und Bezieher würde diese Einkommensprüfung jedoch keinen Aufwand erfordern. Stattdessen ruft die Deutsche Rentenversicherung (DRV) die Daten auf digitalem Wege bei den Finanzämtern ab. Für den Bezug der neuen Rente soll ein monatlicher Einkommensfreibetrag in Höhe von 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für Paare gelten – bis zu dieser Höhe wird die neue Rente im vollen Umfang gezahlt.
Grundrente als Kampf gegen verschämte Altersarmut
Die Bedingungen für den Datenaustausch zwischen den Finanzbehörden, um den Anspruch zu ermitteln, müssen laut Ausführungen der "Tagesschau" freilich erst geschaffen werden. In einem eigenen Videobeitrag erläutert Bundesarbeitsminister Hubertus Heil das Vorgehen, wie es der SPD wichtig war: Das automatisierte Verfahren über die DRV diene dazu, dass Menschen die neue Rente ohne Abschreckung beziehen. Fällt doch das Ausfüllen komplizierter Formulare oder das schwierige Einholen von Vermögensnachweisen weg.
Stattdessen soll ein möglichst automatisiertes Verfahren auch der Bekämpfung von verschämter Altersarmut dienen. Studien hatten schließlich in der Vergangenheit wiederholt gezeigt: Aus Angst, zum Sozialamt zu gehen oder Kinder durch Unterhaltsleistungen zu belasten, rufen viele ältere Menschen Sozialleistungen gar nicht ab, die ihnen eigentlich zustehen würden (der Versicherungsbote berichtete). Wird jedoch automatisch durch die Behörden geprüft, ob den Rentnerinnen und Rentnern die Leistung zusteht, entfällt das Problem.
Zweimal Freibeträge: Für Grundsicherung und Wohngeld
Wenig überraschend beinhaltet der neue Kompromiss noch zwei zusätzliche Elemente zur Aufwertung der Entgeltpunkte: Freibeträge für die Bezieher von ergänzenden Grundsicherungsleistungen sowie Freibeträge auf Wohngeld. Solche Freibeträge galten sowohl der SPD als auch der CSU für alternative Vorschläge als wichtig (der Versicherungsbote berichtete). Sind doch Freibeträge notwendig, damit Geringverdiener und damit Bezieher von ergänzenden Grundsicherungsleistungen oder Wohngeld überhaupt ein „Plus“ durch die neue Rente in der Tasche haben. Das zeigten beispielhaft die Berechnungen des Münchener ifo-Instituts, wie der Versicherungsbote bereits berichtete.
Bezieher von Grundsicherung: Plus einzig durch Freibeträge
Für Geringverdiener gilt nämlich: trotz Grundrente würden Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung noch unterhalb des Grundsicherungsniveaus liegen – ohne Freibeträge hätten sie von der Grundrente letztendlich nichts. Denn das Grundsicherungsniveau errechnet sich aus dem Regelbedarf von derzeit 424,00 Euro sowie aus Kosten für Unterkunft und Heizung. Sobald Rente plus Grundrente in der Summe aber unterhalb dieses Grundsicherungsniveaus liegen, würde die Grundrente komplett auf die Grundsicherung angerechnet – Empfängerinnen und Empfänger der neuen Leistung hätten keinen Cent mehr in der Tasche. Erst die Koppelung neuer Freibeträge für die Grundsicherung an die neue Rentenleistung sichert demnach ein Plus in der Tasche zukünftiger „Respektrentner“.
Anspruch auf Wohngeld soll gesichert bleiben
Doch auch für Bezieherinnen und Bezieher von Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) werden neue Freibeträge geschaffen. Das dient laut aktueller Videobotschaft von Hubertus Heil dazu, dass die Grundrente- Bezieherinnen und -Bezieher ihren jetzigen Anspruch auf Wohngeld behalten.
Denn ohne Freibeträge auf Wohngeld hätten diese Personen zwar mehr Rente, würden dieses Geld aber beim Wohngeld verlieren oder sogar komplett den Anspruch – und dadurch vielleicht sogar mehr Geld als die neue Grundrentenleistung verlieren. Gerade für Ballungszentren mit hohen Mietkosten seien Freibeträge auf Wohngeld demnach eine wichtige Nachricht, pointiert der Bundesarbeitsminister.
Steuergelder für Rentenleistungen: Ein sozialpolitischer Wandel?
Kosten für die Freibeträge beziffert die Koalition auf rund 80 Millionen Euro. Finanziert werden sollen diese Kosten und weitere Kosten über Steuern – Beitragserhöhung in der Rentenversicherung drohen demnach laut Koalition nicht. Demnach könnte die Grundrente ein erster Schritt sein, Probleme der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung wie steigende Vorsorgelücken über Steuergelder abzufedern.
Grundrente könnte gegen Grundgesetz verstoßen
Ist nun aber beim Thema Grundrente „die Kuh vom Eis“, wie CSU-Chef Markus Söder aufgrund der Einigung fröhlich pointierte? Ganz so einfach ist es nicht. Denn nun ist die Zeit gekommen, in den Parteien um Zustimmung für den Kompromiss zu werben. Könnte der Entwurf doch ansonsten im Gesetzgebungsverfahren dennoch mit Pauken und Trompeten durchfallen.
Hier aber kündigen sich erste Konflikte an, wie die "Tagesschau" in einem Kommentar darlegt. Zum einen kritisiert, wie zu erwarten, die Opposition den Kompromissentwurf als „Willkürrente“ und Steuerverschwendung (FDP-Chef Christian Lindner) oder „zynische“ Härte gegenüber Rentnerinnen und Rentnern im Vergleich zu üppigen Kaufprämien für E-Autos (Linksfraktionschef Dietmar Batsch). Zum anderen aber, und hier keimen neue Konflikte, regt sich erster Widerstand aus den Reihen der Regierungsparteien selbst.
„Das wird ja immer verrückter in Berlin“
So äußerte zum Beispiel Fraktionsvorstandsmitglied Axel Fischer: "Dieser Kompromiss ist für mich nicht akzeptabel." Und der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand und CDU-Abgeordnete Christian von Stetten empörte sich laut "Tagesschau" sogar: "Die Parteivorsitzenden haben im Koalitionsausschuss beschlossen, die getroffenen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu brechen, um die Koalition über den SPD-Parteitag hinaus zu retten. Das wird ja immer verrückter in Berlin."
Grundrente könnte gegen Grundgesetz verstoßen
Doch nicht nur der Widerstand aus den eigenen Reihen könnte letztendlich zu einem Problem der Grundrente werden. Denn ein weiteres Problem tritt hinzu: Werden die Freibeträge an den Bezug der Grundrente gekoppelt, verstößt die Grundrente möglicherweise gegen das Grundgesetz. Die Koppelung nämlich würde bedeuten, dass für Bezieherinnen und Bezieher der Grundrente weit günstigere Freibeträge für Grundsicherungsleistungen und Wohngeld gelten würden als zum Beispiel für Rentnerinnen und Rentner, die gerade so aus dem Anspruch auf diese Leistung herausfallen würden – weil sie statt durchschnittlich 0,8 Entgeltpunkte jährlich beispielsweise durchschnittlich 0,9 Entgeltpunkte erworben hätten.
Diese Rentnerinnen und Rentner wären gleich doppelt benachteiligt: Obwohl auch sie weniger als den Durchschnittslohn verdient hätten, würden sie zum einen keine Grundrente erhalten. Zum anderen aber würden sie auch die großzügigen Freibeträge nicht geltend machen können. Für Franz Ruland, den ehemaligen Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, verstößt eine solche Ungleichbehandlung bei Freibeträgen schlicht gegen die Verfassung. Demnach stellt der ehemalige Funktionär der Rentenpolitik auch eine bittere Prognose „wider die Grundrente“: Da sie nicht mit dem deutschen Verfassungsrecht konform geht, werde sie letztendlich scheitern.