Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung hat einen schweren Stand in der Branche. Für einige Vermittler sind die Produkte schlicht eine ungenügende und lückenhafte Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Andere aber sehen darin ein wichtiges Plus der Einkommensabsicherung. Erstmalig unterzog nun das Analysehaus Morgen & Morgen die umstrittenen Produkte einem Test. Das Ergebnis fällt durchwachsen aus: Viele Tarife schneiden nur durchschnittlich ab, drei rauschen sogar ganz durch. Testsieger wird die MetallRente Plus Komfort der Swiss Life.
Erwerbsminderungsrente: Die Hürden sind hoch
Die private Erwerbsunfähigkeitsversicherung ist ein Stiefkind der Branche: Laut einer Umfrage aus dem Medienhaus AssCompact hat sie nur circa jeder fünfte Makler regelmäßig im Portfolio (23 Prozent), wie der Versicherungsbote berichtete. Das hat seinen guten Grund: Die Hürden für eine Erwerbsminderungsrente sind groß, was sowohl den gesetzlichen als auch den privaten Versicherungsschutz betrifft.
Medizinische Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sind erst dann erfüllt, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden täglich arbeiten können – und zwar nicht nur in ihrem bisherigen Beruf, sondern in allen Berufen. Das Gesetz definiert auch eine teilweise Erwerbsminderung – die jedoch erst dann erfüllt ist, sobald in allen Berufen weniger als sechs Stunden gearbeitet werden kann. Bedingungen hierfür sind im 6. Sozialgesetzbuch (SGB VI) über Paragraph 43 festgeschrieben.
Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung durch die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist halb so hoch wie die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ob auch eine private Police sowohl bei voller als auch bei teilweiser Erwerbsminderung leistet, hängt von Bedingungen der Tarife ab.
Die Schwierigkeit aber, überhaupt eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten, zeigen Zahlen für die gesetzliche Rentenversicherung: Von 342.000 Anträgen im Jahr auf eine Erwerbsminderungsrente werden 44 Prozent abgelehnt (der Versicherungsbote berichtete). Da die private Erwerbsunfähigkeitsversicherung sich bei ihren Definitionen an Vorgaben des Sozialgesetzbuchs orientiert, dürfte die Bilanz für den privaten Versicherungsschutz kaum besser ausfallen.
Einkommens- ohne BU-Schutz: Die Produktkategorie mit dem großen Mangel
Braucht es da eine private Versicherung, die wie ein Spiegel des ungünstigen Versicherungsschutzes durch die gesetzliche Rentenversicherung wirkt? Bedingungen für den privaten Berufsunfähigkeits-Schutz sind nämlich wesentlich günstiger als Bedingungen für den Schutz bei Erwerbsunfähigkeit. Beide Begriffe sind voneinander zu scheiden.
Denn laut Paragraph 172 Absatz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) gilt bereits als „berufsunfähig“, wer seinen „zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann“. Orientierungswert ist hier eine Einschränkung ab 50 Prozent, der in vielen privaten Tarifen erreicht sein muss, um Anspruch auf eine Leistung zu haben. Die Berufsunfähigkeit orientiert sich folglich schon laut Definition an Status und Einkommen des bisher ausgeübten Berufes. Das jedoch ist bei der Erwerbsminderungsrente nicht der Fall.
Für den privaten Versicherungsschutz durch eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung gilt demnach das Gleiche wie für den gesetzlichen Schutz: Sobald länger als drei Stunden täglich (oder je nach Tarif länger als sechs Stunden täglich) gearbeitet werden kann, kann der Versicherte trotz Berufsunfähigkeit in jeden Beruf verwiesen werden – auch mit geringem Status und niedrigem Einkommen. Vorstellbar ist demnach zum Beispiel, dass ein Mediziner bei Berufsunfähigkeit als Pförtner arbeiten oder er einfache Sortierarbeiten erledigen muss. Der Versicherer bzw. die Rentenkasse müssen in solchen Fällen nicht zahlen.
Beitrags-Tücke bei Berufsunfähigkeit?
Doch es gibt eine zusätzliche Tücke der privaten Produkte. Da Szenarien sehr wahrscheinlich sind, in denen ein Versicherungsnehmer eher berufsunfähig als erwerbsunfähig wird, der Versicherer dann noch nicht zahlen muss, lauert hinter den Erwerbsunfähigkeitspolicen eine Prämienfalle. Sie sehen keine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit vor.
Wovon jedoch soll der Versicherte bei Berufsunfähigkeit die Beiträge für seine Erwerbsunfähigkeits-Police aufbringen? Derartige Überlegungen machen die Erwerbsunfähigkeitsversicherung zu einem bei Vermittlern umstrittenen Produkt, wie der Versicherungsbote berichtete.
Morgen & Morgen: Die skeptischen Befürworter der Erwerbsunfähigkeitsversicherung
Aber es gibt innerhalb der Branche auch die Partei der skeptischen Befürworter einer solchen Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Zu diesen Befürwortern gehören auch die Experten von Morgen & Morgen. Zwar wird auch hier der fehlende BU-Schutz als Nachteil des Produkts benannt. Die private Erwerbsunfähigkeitsversicherung wird aber dennoch zugleich in einer Presseerklärung als „einzige Möglichkeit“ neben der Berufsunfähigkeitsversicherung gepriesen, bei gesundheitlicher Beeinträchtigung ein Erwerbseinkommen zu erzielen.
Damit füllt die Produktkategorie aus Sicht des Analysehauses eine Lücke in der Einkommensabsicherung insbesondere für jene Kunden, die sich eine BU-Versicherung nicht leisten können oder diese nur zu sehr ungünstigen Bedingungen angeboten bekommen – zum Beispiel aufgrund eines nachteiligen Risikoprofils.
Zwar lässt das Analysehaus auch den Einwand des „gleichen Leistungsauslösers“ zwischen gesetzlichem und privaten Schutz gelten. Jedoch: Die Gesamtabsicherung wäre „wesentlich höher“ im Leistungsfall, wenn neben der gesetzlichen eine private Erwerbsunfähigkeitsversicherung existiert. Unter dieser Prämisse haben die Experten nun 29 Tarife von 18 Versicherern erstmalig einem Rating und damit einem Produkttest unterzogen.
Das erste M&M-Rating Erwerbsunfähigkeit: Die Ergebnisse
Was wurde im ersten Rating Erwerbsunfähigkeit der Experten gemacht? 24 Leistungsfragen führten zu maximal 64 Punkten für gute Tarifeigenschaften. Die Punkte wurden in einem zweiten Schritt in Noten bzw. in zu vergebende „Sterne“ übersetzt. Jedoch: Nicht alle in die Bewertung eingehenden Leistungsfragen wurden gleich schwer gewichtet.
Stattdessen waren für schwer gewichtete Leistungsfragen fünf Punkte möglich, für gering gewichtete hingegen wurde maximal ein Punkt vergeben. Folgende Fragen brachten den Tarifen bei positiver Antwort der Vertragsbedingungen bis zu fünf Punkte und wurden demnach besonders stark für die Endnote bedacht:
- Wird bei einem verspätet gemeldeten Versicherungsfall ohne Einschränkung rückwirkend geleistet?
- Wird der Prognosezeitraum auf sechs Monate verkürzt?
- Wird bei einer bereits sechs Monate andauernden ununterbrochenen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend von Beginn an geleistet?
- Leistet der Versicherer einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Anlehnung an die gesetzliche Definition bei voller und teilweiser Erwerbsminderung?
- Verzichtet der Versicherer auf unübliche Einschränkungen bzw. Klauseln, die nicht zu den ratingrelevanten Sachverhalten gehören?
- Verzichtet der Versicherer auf sein Recht auf Beitragserhöhung oder Kündigung bei unverschuldeter Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers nach Paragraph 19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)?
- Besteht der Versicherungsschutz weiter, wenn die versicherte Person während der Versicherungsdauer ins Ausland verzieht?
Die Ergebnisse zeigen viel Durchschnitt am Markt
Wie aber schlossen die 29 Tarife der 18 Anbieter ab? Das Feld gibt sich ambivalent, wenn nicht gar "durchschnittlich". Denn nur ein Tarif erhält sechs Sterne und damit die Bestnote „ausgezeichnet“. Immerhin neun Tarife (plus eine Tarif-Variante) erhalten zudem, mit vier Sternen, eine immerhin „sehr gute“ Bewertung. Freilich aber: Zugleich weist das Rating insgesamt neun Tarife aus mit drei Sternen und damit mit einer nur „durchschnittlichen“ Bewertung.
Aber es kommt noch schlimmer: Drei der getesteten Tarife erhalten sogar nur einen Stern und damit ein „sehr schwach“. Ein solches Ergebnis für das Gesamtfeld aller getesteten Produkte sticht schon deswegen heraus, weil die Liste mit den Testergebnissen nicht mehr 29 Tarife, sondern nur noch 24 Tarife ausweist – Ursache hierfür könnte sein, dass Anbieter Produkte mittlerweile vom Markt nahmen, wie uns für andere Ratings erklärt wurde.
Bedenkt man die Flut an guten Bewertungen bei anderen Produkttests der Agentur insbesondere für BU-Produkte, ist ein solches Abschneiden des Gesamtfeldes durchaus beachtlich. Nicht nur scheint die Erwerbsunfähigkeitsversicherung ein Stiefkind der Vermittlerschaft. Auch die Qualität der Anbieter kann sich nach Maßgabe der Ratings nicht mit jenem bereits hohen Niveau am Markt für die Berufsunfähigkeitsversicherung messen.
Die besten Tarife des Ratings
Folgende Testergebnisse fallen besonders auf:
- Bester Tarif und einziger Tarif mit einer Höchstnote von fünf Sternen ist die MetallRente EMI Plus Komfort des Anbieters MetallRente Swiss Life LV.
Eine sehr gute Benotung und damit vier Sterne erhalten immerhin folgende Tarife (aufgelistet in alphabetischer Reihenfolge):
- SEU der Axa LV
- premiumEU der Continentale LV
- SEU der DBV LV
- SEU der Dialog LV
- SEU (Verzicht §163) der Dialog LV
- EU Premium der Europa LV
- EGO Basic der HDI LV
- Premium EUV der Iduna Leben LV
- SEU der Volkswohl Bund LV
- SEU der Zurich Dt. Herold LV
Die schlechtesten Rating-Ergebnisse
Folgende Tarife jedoch rauschen, mit einem Stern und einem „sehr schwachen“ Ergebnis, völlig durch den Test (alphabetisch aufgelistet):
- EUV der Signal Iduna LV
- SEU der Öfftl. Braunschweig LV
- EUV der Stuttgarter LV
Alle ausgewiesenen Ergebnisse des Ratings sowie eine Dokumentation der Methodik sind auf den Seiten der Rating-Experten abrufbar.